Alan Cassidy: «Twitter macht schlechte Laune»

Publiziert am 21. Juli 2021 von Matthias Zehnder

Die Fragebogeninterview-Sommerserie mit Schweizer Korrespondent:innen über ihre Mediennutzung – heute mit Alan Cassidy, bis im Juni 2021 USA-Korrespondent für Tamedia und die «Süddeutsche Zeitung». Er sagt, in den USA «arbeiten viele Journalistinnen und Journalisten inzwischen in einem aufgeheizten Klima, in dem sich Leute ermuntert fühlen, Medienschaffende einzuschüchtern und zu attackieren.» Mit Blick auf die Situation in der Schweiz betrübt Cassidy, dass «so viele feine Kolleginnen und Kollegen ihre Stelle verloren oder die Branche verlassen haben, weil sie darin keine Perspektive mehr sahen. Da läuft etwas schief.» Angesprochen auf die News-Deprivierten Jugendlichen sagt Cassidy, sein Eindruck sei, dass viele jüngere Menschen «News-Deprimiert» seien. Sie hätten zwar Kompetenz und Zugang zu Nachrichtenmedien, «entscheiden sich aber bewusst, sich mit News nicht zu beschäftigen. Wahrscheinlich braucht es da andere Zugänge.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Für den ersten Überblick am Morgen: Newsletter, viele Newsletter. Jene von «Axios» und «Politico» waren in Washington unerlässlich. Danach digital die wichtigsten Zeitungen, quer durchs politische Spektrum, und ein bis zwei Nachrichten-Podcasts, in den USA meist von NPR. An freien Tagen: die gedruckte Ausgabe des «Atlantic» oder des «New Yorker».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter war früher oft unterhaltsam, aber heute finde ich das Gekeife und Gebrüll dort nur noch mühsam. Twitter macht schlechte Laune. Facebook war für mich in den USA hilfreich für Recherchen und für die Kontaktaufnahme. Privat mag ich Instagram. Es hat etwas erstaunlich Meditatives, sich durch Wanderfotos anderer Leute zu scrollen.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Zu Beginn der Pandemie litt ich darunter, dass es schwierig wurde, auf Reisen zu gehen. Mit Leuten einen Termin zu vereinbaren, war aufwändig, es gab im US-Wahlkampf auch nur wenige Anlässe, zu denen man einfach hinfahren konnte. Das wurde später zum Glück wieder besser.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Aus Nutzersicht: weder noch. Was die Medien als Berufsfeld angeht: Mich betrübt, dass so viele feine Kolleginnen und Kollegen ihre Stelle verloren oder die Branche verlassen haben, weil sie darin keine Perspektive mehr sahen. Da läuft etwas schief.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich.

Was soll man heute unbedingt lesen?

As Journalist zum Beispiel die Essays von Christopher Hitchens (etwa im Sammelband «Arguably»). Wie er sich den verschiedensten Themen nähert, wie gewaltig der Wissensfundus ist, aus dem er schöpft, sein Sprachwitz: grossartig.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Leider lese ich ab und zu selbst gute Bücher nicht zu Ende.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Büchern oder Filmen, die mir Freunde empfehlen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange es noch genügend Abonnentinnen und Abonnenten gibt, die dafür bezahlen wollen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich verbinde mit dem Begriff vor allem den systematischen Versuch, das Misstrauen gegenüber den traditionellen Medien zu schüren. In Amerika arbeiten viele Journalistinnen und Journalisten inzwischen in einem aufgeheizten Klima, in dem sich Leute ermuntert fühlen, Medienschaffende einzuschüchtern und zu attackieren.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Nutze ich kaum mehr. In der Schweiz gibts hoffentlich wieder öfter das «Echo» zum Kochen!

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre oft und gerne Podcasts, beim Pendeln, beim Aufräumen, beim Kochen. Für US-Politik die «New Yorker Radio Hour» und die Podcasts von «The Bulwark», «FiveThirtyEight» und «Vox». Für Geschichte «History Extra» der BBC. Und in der Schweiz die Podcasts meiner Tamedia-KollegInnen, von «Apropos» bis «Dritte Halbzeit».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Mein Eindruck ist eher, dass viele jüngere Menschen News-Deprimiert sind. Sie haben zwar durchaus die Kompetenz und den Zugang zu Nachrichtenmedien, entscheiden sich aber ganz bewusst, sich mit (harten) News nicht zu beschäftigen. Wahrscheinlich braucht es da andere Zugänge.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Guter Journalismus: nein. Aber es gibt bestimmt gewisse Medieninhalte (um ein Branchen-Unwort zu verwenden), die automatisiert hergestellt werden können. Ich bin zum Beispiel ganz froh um Apps, die mir das Transkribieren von Interviews abnehmen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Der Journalismus ist (in einer Demokratie wie der Schweiz) zum Glück schon lange sehr frei.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Bestimmt.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Erstaunlich viel.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er war schlecht, weil die obsessive Beschäftigung mit ihm von vielen anderen Themen abgelenkt hat. Und er ist gut, weil er die Medien – besonders zum Ende seiner Amtszeit – zwang, Haltung zu beziehen. Wenn ein US-Präsident die Demokratie attackiert, kann es keinen ernsthaften Both-Sides-Journalismus mehr geben.

Wem glaubst Du?

Den Wetterprognosen, leider.

Dein letztes Wort?

Ist hoffentlich noch eine Weile hin.


Alan Cassidy
Alan Cassidy (geb. 1983) ist Journalist im Inlandressort der Redaktion Tamedia. Bis im Juni 2021 war er USA-Korrespondent für Tamedia und die «Süddeutsche Zeitung». Zuvor arbeitete er unter anderem als Bundeshausredaktor für die «Basler Zeitung» und die «Schweiz am Sonntag». Er hat an der Universität Zürich Politikwissenschaft studiert. Er ist mit Philipp Loser Co-Autor des Buchs «Der Fall FDP – Eine Partei verliert ihr Land».
https://www.sueddeutsche.de/autoren/alan-cassidy-1.4214649


Basel, 21. Juli 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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