Warum sich Schweizer Zeitungen Mäntel zulegen
Die Zeitungen von Tamedia haben einen, die AZ-Blätter und die NZZ-Regionalzeitungen werden sich künftig einen teilen und BaZ und Südostschweiz sollen an einem stricken: einem gemeinsamen Mantel. Das bezeichnet Seiten, die in einer Zentralredaktion für eine ganze Reihe von Regionaltiteln hergestellt werden. Aus der Gemeinschaftsküche kommen meistens Ausland, Inland, Wirtschaft, Wissen, Kultur und Sport, ergänzt werden die Mantelseiten um lokale und regionale Inhalte, die oft auch Wirtschaft, Kultur und Sport umfassen. Für den Leser ist das Resultat durchzogen: Er kriegt in seiner Regionalzeitung zwar eine bessere Auslandsberichterstattung als dies eine normale Regionalzeitung anbieten kann, dafür werden regionale Aspekte in Wirtschaft, Kultur und Sport vernachlässigt.
Aber woher kommt dieser helvetische Drang zum Mantel? Warum legen sich gleich drei Zeitungshäuser solche Mantelkonzepte zu? Das bin ich in den letzten Tagen oft gefragt worden. Es lässt sich relativ einfach erklären. Ich greife dafür auf Grafiken aus einer Vorlesung über die ökonomischen Fallen der Medien zurück, die ich kürzlich an der Universität Basel gehalten habe.
Der Manteldrang hängt mit der Kostenstruktur einer Zeitung zusammen. Sehen wir uns diese Kosten einmal etwas vereinfacht an. Wir stellen die Kosten in einer Grafik in Relation zum Verkaufserfolg. Auf der X-Achse (also in der Vertikalen) ist die Höhe von Einnahmen und Kosten in Franken abgebildet, auf der Y-Achse die Zahl der Abonnenten oder Käufer. Die Kosten der industriellen Aspekte der Zeitungsproduktion verhalten sich einigermassen proportional zum Erfolg: Wenn der Verlag eine Zeitung verkauft, braucht er ganz wenig Papier, wenn er viele Zeitungen verkauft, braucht er viel Papier. In dieser Hinsicht verhält sich eine Zeitung bezüglich Kosten etwa wie eine Backstube: Wer wenig Brot verkauft, hat wenig Mehlkosten, wer viel Brot verkauft, zahlt hohe Mehlrechnungen.
Nun ist eine Zeitung aber kein Brot. Eine Zeitung besteht nicht nur aus Papier, Druckfarbe und Distributionsaufgaben. Eine Zeitung besteht auch aus Inhalt. Die Kosten, die für die Herstellung des Inhalts aufzuwenden sind, verhalten sich ganz anders als die Kosten für Papier und Farbe: Auch wer nur eine einzige Zeitung verkauft, braucht eine Auslandredaktion, eine Inlandredaktion und eine Kulturredaktion, er braucht Fotografen, Redaktoren, Layouter und Korrektoren. Kurz: Auch wer nur eine einzige Zeitung verkauft, hat sehr hohe Sockelkosten.
Die Schweizer Verlage haben jahrelang von diesen Sockelkosten profitiert. Wer viele Zeitungen verkauft, braucht nämlich auch nur eine Auslandredaktion, eine Inlandredaktion und eine Kulturredaktion. Die Kosten steigen mit anderen Worten bei steigendem Ertrag nicht gleichmässig an. Die Kostenkurve ist flach, die Ertragskurve steil. Irgendwo gibt es einen Schnittpunkt. Jahrelang lagen die Zeitungsverlage rechts von diesem Punkt: Deshalb haben sie richtig viel Geld verdient. In den letzten Jahren sind sie auf die linke Seite dieses Punktes geraten – deshalb verlieren sie richtig viel Geld.
Etwas schematisch gezeichnet sieht das so aus:
Anders gesagt: Die Schweizer Verlage befinden sich der hohen Sockelkosten wegen in der Kostenfalle. Der einzige Ausweg, der sich ihnen anbietet: der unvermeidliche Kostenblock auf mehr Schultern zu verteilen. Deshalb kommen Tamedia, AZ und NZZ auf die Idee, den Sockelinhalt in Form eines Mantels auf mehrere Zeitungstitel auszubreiten. Mantelkonstrukte sind also eine pure Kostenreduktionsmassnahme aus Notwehr.
Kurzfristig funktioniert das: Die Kostenblöcke lassen sich auf diese Weise lindern. Aber die Zeitungen lösen damit ihre Probleme nicht, sie verschärfen sie. In die rote Zone der Grafik sind sie geraten, weil die Auflagen und damit die Erträge sinken. Die Mantelkonstrukte lösen weder die Ertragsprobleme im Lesermarkt, noch im Werbemarkt. Die Zeitungen werden inhaltlich im regionalen Markt durch die Mäntel nicht attraktiver und sie werden nicht zu besseren Werbeträgern. Ganz im Gegenteil. Das einzige, was die Zeitungen erreichen, ist ein Aufschub.