Über den Irrtum, Luxemburg sei ein Vorbild für die Schweiz

Publiziert am 22. Januar 2018 von Matthias Zehnder

In der Sendung «Medienclub» auf SRF hat NoBillag-Befürworter Giuseppe Scaglione Luxemburg als Vorbild für die Schweiz ins Spiel gebracht. Luxemburg sei ein kleines, mehrsprachiges Land, das trotzdem ohne öffentlichen Rundfunk auskomme. Also könne das auch die Schweiz, die Argumente «klein» und «mehrsprachig» würden nicht für eine Rundfunkgebühr sprechen. Stimmt das? Wie funktioniert das Mediensystem in Luxemburg? Taugt es als Vorbild für die Schweiz? Schauen wir genauer hin: Fünf Irrtümer zu Luxemburg, zwei Folgerungen und ein Fazit.

«Nehmen wir Luxemburg», fuhr Giuseppe Scaglione in der Sendung «Medienclub» auf SRF Caspar Selg über den Mund (abrufbar hier, bei Minute 42:30). Luxemburg sei kleiner als der Kanton Aargau, es gebe in Luxemburg keine Fernsehgebühr, Luxemburg habe ein reiches Medienangebot, sei mehrsprachig und, wie Scaglione erklärte: «Es wäre mir nicht bekannt, dass in Luxemburg die Demokratie den Bach runter gegangen wäre und da chaotische Zustände herrschten.» Taugt Luxemburg also als Vorbild für eine Schweiz ohne Fernsehgebühren? Schauen wir uns das Land etwas genauer an.

Irrtum 1: Luxemburg ist eine Demokratie

OK: Das ist jetzt etwas spitzfindig. Trotzdem: Von der Staatsform her gesehen ist Luxemburg keine Demokratie, sondern eine konstitutionelle Erbmonarchie. Staatsoberhaupt ist der Grossherzog von Luxemburg, derzeit Grossherzog Henri. Das Regierungssystem ist das einer parlamentarischen Demokratie. Luxemburg hat 590’667 Einwohner (Stand: 1. Januar 2017, Quelle hier), davon sind fast die Hälfte, nämlich genau 47,7 Prozent Ausländer. Der Kanton Aargau ist etwas grösser (er hatte 2015 653’675 Einwohner, Quelle hier) und deutlich weniger Ausländer (24,2 Prozent).

Irrtum 2: Luxemburg ist wie die Schweiz mehrsprachig

Das stimmt nicht ganz. Schauen wir uns die Zahlen etwas genauer an: 70.5 % der Bevölkerung sprechen Luxemburgisch als Umgangssprache zuhause oder in der Schule beziehungsweise am Arbeitsplatz; 55.7 % sprechen Französisch; 30.6 % sprechen Deutsch. (Quelle: hier) Fällt Ihnen etwas auf? Genau: Die Summe ergibt deutlich mehr als 100%. Die Mehrsprachigkeit der Luxemburger ist vor allem eine Mehrsprachigkeit der einzelnen Bürgerinnen und Bürger: Im Schnitt sprechen Luxemburger 2,2 Sprachen. Die Mehrsprachigkeit von Luxemburg unterscheidet sich also von jener der Schweiz. Hierzulande sind die vier Sprachen geografisch klar voneinander getrennt in den vier Landesteilen angesiedelt (drei davon grenzen zudem an grosse Länder, in denen dieselbe Sprache gesprochen wird).

Irrtum 3: In Luxemburg hatten die privaten Medien schon immer freie Hand

Das ist falsch. Wie in anderen europäischen Ländern galt auch in Luxemburg lange ein Monopol. Im Unterschied zu den Monopolen in den Nachbarländern handelte es sich in Luxemburg jedoch nicht um ein staatliches, sondern um ein privates Monopol. Juristisch wurde dieses Monopol erst mit der gesetzlichen Liberalisierung der Funkfrequenzen im Jahr 1991 aufgehoben. (Quelle: hier)

Irrtum 4: Die Luxemburger sind auch ohne Rundfunkgebühren gut bedient

Tatsache ist: Die ersten Radiosendungen wurden in Luxemburg schon 1924 produziert. 1930 wurden französische Investoren auf Luxemburg aufmerksam und richteten da einen Sender ein – aber nicht für Luxemburg, sondern zur Ausstrahlung kommerzieller Rundfunksendungen nach Frankreich. 1931 entstand so die Compagnie luxembourgeoise de radiodiffusion, also die heutige RTL Gruppe. Diese Firma strahlte ab 1933 Sendungen auf Französisch, Deutsch und Englisch aus. Erst 1951, also 20 Jahre nach der Betriebsaufnahme des Senders, wurden die ersten Sendungen in luxemburgischer Sprache produziert. Am 19. September 1959 ging dann Radio Lëtzebuerg als vollwertige Radiostation auf Sendung. Luxemburg spielte also jahrelang die Rolle eines «Pizzo Groppero» für Frankreich. Weil das so erfolgreich war, entstand mit der Zeit auch ein Radioangebot für die lokale Bevölkerung. (Quelle: hier)

Ähnlich verlief die Entwicklung des Fernsehens: RTL produzierte jahrelang vor allem für Frankreich und Deutschland. Unter dem Namen «Hei Elei, Kuck Elei» wurde von 1969 bis 1991 jeden Sonntag eine 45-minütige Fernsehsendung in luxemburgischer Sprache ausgestrahlt. Thats it! 1994 wurde diese Sonntagssendung auf Initiative der Regierung durch ein tägliches einstündiges Live-Programm ersetzt, das jeden Abend mehrmals wiederholt wurde. (Quelle: hier) Inzwischen produziert RTL Télé Lëtzebuerg täglich ein zweistündiges als Wiederholung ausgestrahltes Abendprogramm, das tagsüber durch Teleshopping- oder Kindersendungen anderer RTL-Gesellschaften ergänzt wird. Das entspricht also etwa dem Programm eines Schweizer Privat-TV-Senders. Roger Blum schreibt in seinem Buch «Lautsprecher&Widersprecher», dass RTL Télé Lëtzebuerg sei eine Art Gegenleistung für die Sende- und Aktionsfreiheit (S. 276), die RTL in Luxemburg geniesse. Seit 2001 gibt es zudem Chamber TV, ein staatlich finanzierter Fernseh-Kanal, der live die Parlamentsdebatten überträgt.

Die Nachrichtensendung De Journal auf RTL Télé Lëtzebuerg

Übrigens gibt es in Luxemburg seit 1993 auch einen öffentlich-rechtlichen Radiosender, das soziokulturelle «Radio 100,7». Der Sender erreicht etwa 4,8 % der Bevölkerung. Er wird mit Steuergeldern finanziert und hat ein Budget von etwa 7 Mio. Euro pro Jahr.

Irrtum 5: Heute kann Luxemburg ohne öffentlich-rechtliches Fernsehen problemlos leben

Fakt ist: Die Mehrheit der Luxemburger (62% der Einwohnerinnen und Einwohner) ziehen die ausländischen TV-Sender den inländischen Sendern vor, wenn sie sich politisch informieren wollen. Geschätzt werden dabei vor allem ZDF und ARD. Die Luxemburger kommen also nicht ohne öffentlich-rechtliches Fernsehen aus – bloss zahlen es die Bürger anderer Länder. (Quelle: hier)

Insgesamt sehen 16 % der Bevölkerung täglich den französischen Sender TF1. Alles in allem sind jedoch die deutschen Sender mit ARD (15 %), RTL Television (14,8 %) und Pro 7 (13,2 %) nach wie vor am beliebtesten. Die belgischen Sender RTL-TVI und La Une (RTBF) erreichen mit 3,1 % bzw. 2,6 % weniger Zuschauer. (Quelle: hier)

Über lokale Politik informieren sich die Luxemburger unter anderem auf Chamber TV, dem staatlich finanzierten Parlamentsfernsehen.

Folgerung: Die Grösse ist der entscheidende Faktor

Luxemburg ist in der Ausgestaltung seiner Radio- und Fernsehlandschaft speziell, weil das kleine Land mit RTL eine so grosse Radio- und TV-Gruppe beherbergt, aber es ist kein Sonderfall. Es scheint nämlich eine Regel zu geben, welche Länder sich für die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks eignen und welche für rein marktwirtschaftlich organisierte Medien prädestiniert sind. Der entscheidende Faktor ist dabei die Grösse. Kleine Länder wie Luxemburg können sich ein öffentlich-rechtliches Fernsehen schlicht nicht leisten, weil die Summe der eintreibbaren Gebühren nicht für die Finanzierung eines Fernsehangebots ausreicht. Deshalb haben Länder wie Luxemburg oder Liechtenstein typischerweise nur ein öffentlich-rechtliches Radio. Umgekehrt ist es in sehr grossen Ländern wie den USA dank der Marktgrösse möglich, ein ausdifferenziertes Angebot aufzubauen, das sich am Markt finanziert.

Dieser Zusammenhang zwischen Grösse eines Landes und öffentlich-rechtlichem Fernsehen ist nicht etwa erst jetzt aufgetaucht, sondern eine medienökonomische Binsenweisheit, die genau so zum Beispiel im Lehrbuch «Medienökonomie. Eine problemorientierte Einführung» von Bjorn von Rimscha und Gabriele Siegert steht (Springer Fachmedien: Wiesbaden 2015). Die beiden schreiben wörtlich (S. 186): Kleinstaaten wie Luxemburg oder Liechtenstein richten meist nur ein öffentliches Radio, nicht jedoch öffentliches Fernsehen ein; die Kosten der TV-Produktion wären auch nach Umlage auf alle Bürger noch zu hoch. In Grossstaaten wie z.B. den USA kann prinzipiell eher davon ausgegangen werden, dass der Markt eine Vielzahl von unterschiedlich ausgerichteten Anbietern finanzieren kann

Und das Fazit

Kurz: Luxemburg ist nicht das Beispiel, das beweist, dass es die Schweizer Radio- und Fernsehlandschaft auch ohne Radio- und Fernsehgebühren geben könnte, sondern umgekehrt eine gute Erklärung dafür, warum es nur mit Gebühren möglich ist, eine solche Landschaft zu finanzieren. Wer behauptet, die Luxemburger könnten gut ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk leben, blendet aus, dass die Luxemburger sich vor allem über die grossen, ausländischen Fernsehsender informieren. Das wäre in der Schweiz ähnlich: Schon heute haben die ausländischen Sender in der Schweiz einen Marktanteil von rund 60 Prozent. Nach einer Annahme der NoBillag-Initiative (und damit einer Abschaffung der SRG) würde dieser Anteil drastisch ansteigen.

Fazit: Luxemburg ist das beste Argument für die Ablehnung der NoBillag-Initiative.

Basel, 22. Januar 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Märchenstunde mit NoBillag-Initianten im «Medienclub»

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Ein Kommentar zu "Über den Irrtum, Luxemburg sei ein Vorbild für die Schweiz"

  1. Jetzt kommts ja ganz dick: Weltwoche-Daly-TV (täglich Mo-Do)…
    (Heute mit Eric Gujer, Drik Schümer und übers WEF…)
    So kann jeder gucken, was er will: SRG oder WW
    Beide machens gar nicht so schlecht.
    Doch beides bitte ohne Zwang…
    Es geht ja hoch her in der Schweizer Medienszene….
    Link:

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