Plädoyer gegen NoBillag
Die Hochschule der Künste Bern hat am Dienstag, 27.2.2018, zu einem letzten Podiumsgespräch zur NoBillag-Initiative eingeladen. Auf dem Podium habe ich mit dem Satiriker und Kolumnisten Andreas Thiel über die Initiative und den Medienmarkt gestritten. Die Moderation besorgte Thomas Strässle, Leiter des Y Instituts an der HKB.
Zum Start der Diskussion haben Andreas Thiel und ich je ein kurzes Plädoyer für resp. gegen die Initiative gehalten. Lesen Sie hier mein Plädoyer gegen NoBillag.
Mein Plädoyer gegen die NoBillag-Initiative
Die NoBillag-Initiative will uns dazu bringen, Radio und Fernsehen in der Schweiz dem freien Markt zu überlassen.
Freier Markt.
Klingt gut.
Klingt nach Freiheit und Abenteuer.
Doch es wäre nicht sehr frei, aber sehr abenteuerlich.
Denn der Medienmarkt in der Schweiz funktioniert nicht so, wie uns das die NoBillag-Promotoren glauben machen wollen. Der Medienmarkt falliert in drei Punkten:
1) Der Markt ist zu klein – und zu gross
Der Markt in der Schweiz ist winzig klein.
Schon in der Deutschschweiz: Ein Zwanzigstel von Deutschland, halb so gross wie die Stadt London. Die Märkte in der Westschweiz und erst recht im Tessin sind noch viel kleiner. Sie geben schlicht viel zu wenig Geld her, um ein Fernsehprogramm zu finanzieren und auch für Qualitätsradio wird es nicht reichen.
Dazu kommt etwas, was die NoBillag-Promotoren konsequent ausblenden: Die Landesteile der Schweiz grenzen je an ein gleichsprachiges, grosses Land mit riesigem (kostenlosem) Medienangebot. Wenn wir in der Schweiz den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abbauen, schaffen wir kein Gewächshaus für private Schweizer Angebote, sondern bieten den grossen Anbietern aus Deutschland, Frankreich und Italien willkommene Gelegenheit. Denn Broadcastangebote kennen keine Grenzen. Es droht also quasi die mediale Überfremdung. Bloss seltsam, dass die SVP für die Initiative ist.
2) Der Markt funktioniert nicht – bzw. ganz anders
Die Marktlogik sagt: Gute Produkte finden immer Käufer. Die Tagesschau ist gut, also werden sich Käufer finden.
Das ist leider falsch.
Im Medienmarkt geht es nämlich nicht nur um Geld, sondern auch um Aufmerksamkeit. Eine Gratiszeitung etwa verwandelt die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser über die Anzeigenkunden in Geld für den Verleger.
Deshalb sind viele Medienangebote im Internet (und auch im Radio und Fernsehen) gratis, weil sie die Aufmerksamkeit (im Nutzermarkt) in Geld (im Anzeigenmarkt) verwandeln.
Im Nutzermarkt kann man nur Geld verlangen, wenn man einen sehr begehrenswerten Inhalt hat – und wenn man der einzige ist, der diesen Inhalt anbietet. Deshalb funktioniert Sport im Pay-TV, Filme und Serien auf Netflix – und es funktioniert Porno.
Nachrichten funktionieren im PayTV nicht, weil sie nie exklusiv sind.
Die Tagesschau kann deshalb noch so gut sein – sie wird nie Geld verlangen können.
Dazu kommt: Die Aufmerksamkeit lässt sich nicht nur zu Geld machen, sondern auch zu Einfluss. Deshalb gibt es Medien, die zwar Geld verlieren, aber dennoch interessant sind, weil sich ihre Besitzer Einfluss versprechen. (In Basel kennen wir das.) Deshalb funktioniert der Aufmerksamkeitsmarkt anders als ein normaler Markt.
3) Der Markt bringt Quote statt Qualität
Quoten bilden die Nachfrage ab. Nachfrage kann es nur nach Bekanntem geben. Die Fokussierung auf die Quote reduziert Fernsehen deshalb auf Variation von Bekanntem.
Kultur ist das Gegenteil davon: Kultur ist Vorstossen in Unbekanntes.
Weil sich die Wirtschaft nach der Quote richtet, lässt sich Kultur oft nicht über den Markt finanzieren. Das bedeutet: Nur Gebühren garantieren Kultur.
Man könnte sagen:
Aufgabe der Kultur ist die Lücke, nicht der Mainstream. Deshalb macht es auch nichts, wenn im Theater Sessel leer bleiben – und die Quote von Radio SRF2 Kultur nicht berauschend ist. Kultur muss die Lücke bewirtschaften.
Mit dem Markt geht das nicht.
Das geht nur mit Gebühren.
Bern, 27. Februar 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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4 Kommentare zu "Plädoyer gegen NoBillag"
MZ, Sie sind ein Leuchtturm in der Wüste.
Nebst mit seinen Artikeln beglückt uns MZ täglich mit klugen, zum Nachdenken anregenden Fragen. Obwohl sie mir meist ungemein gefallen, reagiere ich darauf meist nur mit einem „Gefällt mir“. Und jetzt stelle ich fest, dass meine Fähigkeit, aufrichtig zu loben, irgendwie verkümmert ist, wohl auch wegen der Sozialen Medien. Loben ist eben etwas grundsätzlich anders als Liken. Deshalb gefällt mir Kommentar von Gerd Haisch. Ihm schliesse ich mich so gerne so sehr an, auch wenn mir bewusst ist, dass auch dies letztlich einer Art „Gefällt mir“ –Attitüde entspricht. Vielleicht sollten wir wieder mehr loben lernen, denn La Rochefoucauld hatte wohl Recht, als er sagte, eine schöne Handlung aus vollem Herzen zu loben, heisse in gewissem Sinne an ihr teilhaben
MZ, Sie sind nicht ein Leuchtturm in der Wüste, Sie sind der Gott des Rundfunks…
NB:
Die Berichterstattung über die Hochschule der Künste Bern, welche am Dienstag, 27.2.2018 zu einem letzten Podiumsgespräch zur NoBillag-Initiative lud, und auf deren Podium unter der Moderationsleitung von Thomas Strässle (Leiter des Y Institutes an der HKB) der Satiriker und Kolumnisten Andreas Thiel und M. Zehnder über die Initiative und den Medienmarkt ihre Gedanken austauschten, ist mir doch etwas (zu) einseitig ausgefallen. Wie hat A. Thiel sich geäussert? Was hat der Satiriker von sich gegeben? Ein paar kurze Worte darüber, eine Zeile der Zusammenfassung? Schuldet man das dem Gegenüber nicht? Schuldet man das im Sinn einer Gesamtschau nicht – auch wenn man nicht der selben Meinung ist? Danke für die Vervollständigung.
Lieber Herr Zweidler, das war keine Berichterstattung, ich habe lediglich mein Plädoyer wiedergegeben. Ich kann doch nicht über ein Podium berichten, auf dem ich eine Meinung vertreten habe. Ich kann Ihnen aber aus dem Gedächtnis erzählen, was mir von der Argumentation von Andreas Thiel geblieben ist (ich erstatte also nicht Bericht, sondern schildere einen subjektiven Eindruck): Thiel hat dafür plädiert, Radio, Fernsehen und auch die Kultur dem Markt zu überlassen. Er hat gesagt, wenn der Staat eine öffentlich-rechtliche Velofabrik unterhalten würde und für jedes Tal und jede Region ein eigenes Velomodell herstellen würde, dann würde er auch sagen: Ohne uns gäbe es keine Fahrräder mehr – und wenn, dann schlechtere. Aber der Markt würde das richten. Es gäbe weiterhin Fahrräder in der Schweiz, sie kämen dann vielleicht aus Frankreich oder Italien und wenn es ein Bedürfnis dafür gebe auch aus der Schweiz. Er wolle nicht für etwas bezahlen, was er nicht benutze, sondern nur dann, wenn er es benutze. Der Staat solle sich raushalten. Er hat mehrmals betont, dass er ein Liberaler, ja ein Anarcho-Liberaler sei und auf die persönliche Freiheit und den Markt setze. Und er findet die SRG zu links. Ich habe argumentiert, dass ein Markt für Informationen und Medieninhalte nicht gleich funktioniert wie ien Markt für Fahrräder, weil Medien immaterielle Güter sind und zum Beispiel an der Grenze nicht aufgehalten werden. Information zum Beispiel ist ein Gut, dass man beliebig oft teilen kann und es wird trotzdem nicht weniger. Deshalb funktioniert dieser Markt ganz anders. Weil die Folgen eines reinen Dem-Markt-Überlassen für dei Schweiz negativ wären, haben wir uns per Abstimmungen im Parlament und per Volksabstimmung immer wieder für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgesprochen. Die SRG ist nicht links, sondern in der Mitte der Pole – und das bedeutet, dass sie von rechts aus gesehen links ist und umgekehrt. Zudem: Die Schweiz ist politisch bürgerlich, kritische Journalisten, welche diese bürgerliche Politik kritisieren, wurden immer schon als links bezeichnet. So viel dazu, nicjht im Sinne einer Berichterstattung, sondern einer subjektiven Nacherzählung…