Mein Kommentar zur NoBillag-Abstimmung: Die «Aber» der schlechten Demokraten
Das Verdikt könnte eindeutiger nicht sein: 71,6% der Schweizer Stimmbürger stellen sich hinter die SRG. Nur gerade 28,4% der Stimmbürger wollen die Rundfunkgebühren abschaffen. Das ist, mit Verlaub, sensationell. Die Schweizerinnen und Schweizer haben sich in aller Deutlichkeit für das System des gebührenfinanzierten Rundfunks ausgesprochen. Die NoBillag-Promotoren haben eine überdeutliche Abfuhr erhalten. Klar, dass die rechtsbürgerlichen SRG-Gegner jetzt die Niederlage eingestehen, ihre Knie vor dem Stimmvolk beugen und die Klappe halten. Just kidding: Es ist die grosse Zeit der Aber-Kommentare: Das Volk hat die NoBillag-Initiative abgelehnt, aber…
Das «Aber» der NZZ
NZZ-Inlandchef Michael Schoenenberger fordert in einem Videokommentar die Höhe der heutigen SRG-Steuer mindestens zu halbieren und die SRG auf ihren Kern zu beschränken, die Vermittlung von Information und Kultur. Online dürfe die steuerfinanzierte SRG private Medien nicht verdrängen.
Wie bitte? Fast drei Viertel der Schweizer stellen sich hinter das heutige Modell und Schoenenberger fordert eine Halbierung der Gebühr? Und dann das Märchen von der SRG, welche online die privaten Medienhäuser verdränge. Das ist ein Witz und sachlich komplett falsch (siehe die Grafik in meinem Wochenkommentar). Das Gegenteil ist wahr: Die SRG erreicht online noch zu wenig Menschen und muss dringend digital Gas geben, damit sie den Medienwandel nicht verschläft.
Das «Aber» des Gewerbeverbands
Der Schweizerische Gewerbeverband hat eine deftige Ohrfeige eingefangen. Trotzdem schreibt er am Abstimmungssonntag in einer Mitteilung: Der Schweizerische Gewerbeverband sgv fordert grundlegende Reformen bei der SRG. Nach der Abstimmungsdebatte zu No Billag muss die SRG endlich aus der Blockadehaltung herauskommen.
Wie bitte? Der SGV hat für Schweizer Verhältnisse schärfstes Geschütz aufgefahren, Kanonier Bigler hat Salve um Salve auf die SRG abgefeuert. Jetzt verzieht sich der Pulverdampf, die SRG-Burg steht stärker da als zuvor, da hämmert derselbe SGV ans Schlosstor und fordert von der SRG, endlich die Blockadehaltung aufzugeben. Bin ich im falschen Film? In einer Demokratie pflegt man die Niederlage einzuräumen, sich das Sägemehl vom Hintern wischen zu lassen und dann mal erst aufs Maul zu sitzen. Dann wechselt man den Kanonier aus und versucht auf anderen Wegen seine Interessen zu verteidigen. Aber am Abstimmungssonntag nach der krachenden Niederlage die Forderungen zu wiederholen und zu beklagen, dass das Schlosstor zu bleibt, das ist dummdreist.
Das «Aber» der AZ-Medien
Auch Rolf Cavalli, Chefredaktor Ad Interim der Aargauer Zeitung, relativiert in einem Videokommentar die vielen Ja-Stimmen. Die SRG sei im Abstimmungskampf überhöht worden. Es brauche jetzt eine Service-Public-Debatte. Am besten drehe man der SRG den Geldhahn zu, dann stelle sich rasch heraus, was wirklich wichtig sei. Wie bitte? Nachdem 71,6% der Schweizer Stimmbürger sich hinter die SRG gestellt haben?
Auch sein Chef, Verleger Peter Wanner, will nicht von Erleichterung sprechen. In einem Videointerview auf Tele M1 sagt er, viele Leute empfänden die SRG zu gross, zu mächtig und zu dominant. Es sei zu hoffen, dass die Privaten mehr Anteil an den Gebühren erhalten und dass mehr Wettbewerb stattfinde. Es müsse nicht alles bei der SRG sein. Sagt Peter Wanner, nachdem das Stimmvolk mit über 70% Nein-Stimmen der SRG das Vertrauen ausgesprochen hat. Seltsames Demokratieverständnis.
Das «Aber» von Natalie Rickli und der Initianten
Natalie Rickli erklärt gegenüber SRF, dass sie von der SRG-Führung erwarte, dass die SRG jetzt auf die SVP zugehe, mit der SVP diskutiere und Vorschläge mache, wo die SRG auf was verzichten könne. Die Politik müsse jetzt die SRG-Konzession sistieren und eine Service-Public-Debatte führen. Wie bitte? Wenn die SVP gewonnen hätte, wären die Mannen und Frauen wohl die ersten, die darauf pochen würden, dass man den Volkswillen respektieren müsse.
Mitinitiant Andreas Kleeb sprach gegenüber Radio SRF von einer Angstkampagne. Die Gegner der NoBillag-Initiative hätten nie konstruktive Vorschläge gemacht. Kunststück. Der Bund hat der GsoA auch keine Szenarien entwickelt, wie man eine Schweiz ohne Armee sicher machen könnte. Mitinitiant Olivier Kessler dreht das Ergebnis gleich um: Ein signifikanter Teil der Bevölkerung sei nicht bereit, die Zwangsgebühren zu bezahlen. Es stelle sich die Frage, ob man nicht ein Opting-out-Prinzip einführen müsse. Nachdem das Volk genau diese Gebühr zu über 70% bestätigt hat? Das sind noch Demokraten…
Das ist ein deutliches «Ja» zu einer starken SRG
Liebe Politiker, Initianten und Verleger, akzeptiert doch zuerst einmal, dass sich die Schweizer Stimmbevölkerung so deutlich hinter die SRG gestellt hat. Als erstes Land hat die Schweiz über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgestimmt und die Öffentlich-rechtlichen haben sehr deutlich gewonnen. Punkt, Aus, Schluss. Die SRG, oder besser gesagt: SRF, RTS, RSI und RTR sind in der Bevölkerung viel beliebter, als es die Rechtspopulisten und die Verleger gerne hätten.
Jetzt politisch an der SRG herumzusäbeln, zeugt von schlechtem Stil – und von kurzsichtigem Fokussieren auf Partikularinteressen. Die SRG steht, wie die Zeitungsverlage auch, vor grossen Herausforderungen, die sich durch den Medienwandel, also durch die Digitalisierung und die mit ihr verbundene Globalisierung ergeben. Ich habe die fünf Herausforderungen, vor denen die SRG jetzt steht, in meinem Wochenkommentar beschrieben. Aus der Sicht der Schweiz und ihrer Bevölkerung ist es schlicht dumm, die nationale SRG zu schwächen und auf Augenhöhe mit dem Dorffernsehen zu bringen. Die wahre Konkurrenz heisst Google, Facebook & Co., das wahre Problem sind Fake News und E-Propaganda – dagegen hilft uns nur eine starke SRG. Die Stimmbevölkerung hat ihr Ja dazu heute gegeben.
Basel, 4. März 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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6 Kommentare zu "Mein Kommentar zur NoBillag-Abstimmung: Die «Aber» der schlechten Demokraten"
Mich hat die Reaktion der Verliererseite der NO-Billag-Abstimmung gestern sehr geärgert. Man hätte meinen können, SIE hätten die Abstimmung gewonnen. Dabei ist es doch sonnenklar: Auch wer – vielleicht, vielleicht… – keinen TV-Apparat zuhause stehen hat, nimmt ganz viele Angebote der SRG auf seinem Smartphone in Anspruch. Es gibt nun einmal verschiedene Themenfelder, die erst in der ganzen Breite ausgeleuchtet eine persönliche Meinung bilden helfen. Man kann ja bei komplexen Themen nie alles dazu Wichtige selber lesen, ist deshalb über journalistische Aufarbeitung froh.
Mich ärgert weiter, dass man meinen könnte, der Abstimmungskampf sei noch nicht zu Ende. Ich interpretiere das Ergebnis so: Man will in unserm Land ein vielfältiges Angebot der SRG – und man ist auch bereit, dafür zu bezahlen. Ich möchte keinesfalls eine von interessierten, finanziell gut ausgestatteten Kreisen in eine bestimmte politische Richtung hin überflutet werden. Klar ist, dass für stark rechts stehende Medien alles links ist, was auch nur ein wenig nach Solidarität und Gerechtigkeit riecht. Dabei wird doch gerade von diesen Kreisen unser christliches Abendland so hochgehalten…
Ich bin bereit, für diese Dienstleistungen auch einen angemessenen Beitrag zu bezahlen, ich mag diese Schnäppchenmentalität überhaupt nicht. Dabei ist doch Fr. 1.00 pro Tag sogar mehr als nur ein solches. Dazu gehören bei mir auch Tageszeitungen aus verschiedenen Häusern, damit ich mir eine umfassende Meinung zu gesellschaftliche wichtigen Themenkreisen bilden kann.
In der Freude und dem Überschwang ob gewonnenen Abstimmungen gehen oft Sachen unter. Das ist immer so. Auch im Hier und Jetzt: Denn die 70% bedeuten nicht 70% Zustimmung zur SRG. Es hat auch etliche Wähler darunter, die sehr sehr kritisch dem Medienmoloch SRG und den Zwangsgebühren gegenüberstehen, aber trotzdem Nein zur Initiative sagten, weil diese ihnen dann doch zu weit ging. Sie wurde als totaler Kahlschlag und als destruktiv eingestuft.
In meinem Umfeld kenne ich viele solche Stimmenden. Z.B. Markus Somm (BaZ): Ein grosser Kritiker der SRG, trotzdem legte er ein Nein ein, um den Sendeschluss zu verhindern.
Also – 70% Nein nicht mit einer 100%igen Carte Blance für die SRG verwechseln.
Und zur „Aber-„Mentalität der Verlierer: Das hat sich in den letzten Jahren (leider) so eingebürgert. Die Verlierer sagen immer (öfter) „Aber“: Veloweg-Abstimmung verloren: „Aber“ wir müssen trotzdem weiter ausbauen. IV-Abstimmung verloren: „Aber“ wir müssen trotzdem weiter kürzen. Masseneinwanderung-Initative angenommen: „Aber“ wir müssen trotzdem offene Scheunentore beibehalten…. usw, usw…
M. Zehnder betitelt dies als schlechte Demokraten, schlechte Verlierer: Absolut richtig – …und die sind wahrlich stets von links bis rechts zur Genüge anzutreffen.
„Wie bitte? Fast drei Viertel der Schweizer stellen sich hinter das heutige Modell und Schoenenberger fordert eine Halbierung der Gebühr?“
Und was hätten Sie vor einer Woche einem Unentschlossenen geraten abzustimmen, der zwar das Gebührenmodell nicht ganz abschaffen wollte, jedoch 200 genug findet? Sie hätten Ihm ein Nein empfohlen, richtig? Ihr Kommentar ist eine Einladung an alle, das nächste Mal eben doch taktisch zu stimmen, wie vielel andere Kommentare heute auch. (Nebenbei: ich bin NICHT für die Halbierung und mit dem Status Quo ganz zufrieden).
Was ist, wenn über 70% nicht ein deutliches «Ja» zu einer starken SRG abgaben, sondern ein klares NEIN zum beabsichtigten Kollateralschaden? Woher und wie nehmen Sie, Herr Zehnder, diese selbstzufriedene Deutungshoheit (die Menschen mögen das SRF)? Wenn ich Sie so schwadronieren und räsonieren höre, wünscht ich mir, ich hätte am 4.3 NEIN gestimmt! Ja, verdamminomol! NEIN! Aber ich habe Ja gestimmt. Zu einem selbstzufriedenen SRF. Und in letzter Konsequenz wohl auch zu Ihnen.