Märchenstunde mit NoBillag-Initianten im «Medienclub»

Publiziert am 17. Januar 2018 von Matthias Zehnder

Im Medienclub auf SRF haben Initianten/Befürworter und Gegner der NoBillag-Initiative miteinander darüber diskutiert, wie die Schweiz nach einer Annahme der NoBillag-Initiative aussehen würde. Dabei fällt auf, dass die Befürworter die ökonomischen Folgen der Initiative kleinreden und die Freiheit von Medien und Markt als alleinseeligmachendes Ziel verkünden. Ich habe mir die Sendung genauer angesehen. Sie finden hier die sieben dreistesten Behauptungen der Befürworter, nüchtern analysiert.

Im Medienclub haben Initiant Olivier Kessler, Giuseppe Scaglione von der Musikapp «my-105», Ladina Heimgartner, stellvertretende Generaldirektorin SRG, und Caspar Selg, langjähriger Redaktionsleiter von «Echo der Zeit», darüber diskutiert, wie es mit der SRG nach einer Annahme der NoBillag-Initiative weitergehen würde. Sie finden unten die sieben dreistesten Behauptungen, jeweils mit Zeitangabe. Den Medienclub finden Sie hier: https://www.srf.ch/sendungen/club/sendungen-2

Behauptung 1) Die Gebührenlast steigt

Olivier Kessler 02:18: Wenn die Steuern, Abgaben und Gebühren immer mehr steigen in dem Land, dann ist es nötig, dass wir die Bürger in dem Land entlasten und ihnen mehr Wahlfreiheit zugestehen, welche Medien sie konsumieren möchten.

Das Gegenteil ist war: Die Radio- und Fernsehgebühr wird billiger. Heute kostet die Empfangsgebühr 451.10 Franken im Jahr (siehe hier). Ab 2019 sinkt die Empfangsgebühr um 86 Franken auf noch 365 Franken im Jahr – also einen Franken pro Tag. Das hat Doris Leuthard im Oktober 2017 bekannt gegeben.

Wahlfreiheit, was die Bürger konsumieren möchten, haben die Bürger schon heute. Etwa 60 Prozent des Fernsehkonsums fällt auf ausländische Sender. Da ist es natürlich praktisch, dass ein Teil dieser Sender (ARD und ZDF) von den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland finanziert werden…

Behauptung 2) Der Bürger wird bevormundet

Olivier Kessler 08:40: Jeder Mensch in dem Land kann danach selber bestimmen, welche Medien er konsumieren und finanzieren will. Es ist nicht einfach das Grosskapital, das über unsere Medien bestimmt, wie es in der Strassenumfrage hiess, sondern jeder Bürger in dem Land kann selber mitbestimmen, was er heute eben nicht kann. Heute ist es die Politik, die jeden einzelnen Bürger bevormundet und sagt: Du musst 450 Franken zahlen zur Finanzierung von den von uns privilegierten Medien.

Das ist ein Argument, das von den Initianten häufig ins Spiel gebracht wird – aber das macht es nicht wahrer. Bekanntlich haben die Schweizer Stimmbürger am 14. Juni 2015 über die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) abgestimmt und das neue Gesetz angenommen. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land werden also nicht einfach bevormundet, sondern konnten über das Gesetz abstimmen. Dass Kessler diese Aussage in einem Fernsehstudio der SRG während des Abstimmungskampfs um die Existenz dieser SRG macht, zeigt deutlich, dass die Bürger nicht bevormundet werden: Sie können darüber abstimmen, ob sie weiterhin einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben möchten und dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk verbreitet getreulich die Argumente der Befürworter und der Gegner der Initiative

Für Kessler gibt es offenbar nur freiwilligen Konsum, alles andere ist Bevormundung. Steuern, Abfallgebühren, Krankenkasse – alles Bevormundung, ganz egal, ob der Bürger darüber abgestimmt hat oder nicht. Ganz offensichtlich hat Olivier Kessler einen eigenen Begriff von Gesellschaft und Demokratie. Die Politik, welche die Bürger angeblich bevormundet, ist ja von genau diesem Bürger gewählt worden. Wenn schon, legen sich die Bürger diese Gebühr selbst auf.

Und noch ein Satz dazu, dass der Bürger dann ganz frei selber bestimmen kann, was er konsumiert: Das stimmt nur insofern, als er frei auswählen kann aus dem, was auch wirklich angeboten wird. Das «Echo der Zeit» oder die «Tagesschau» gehören mit allergrösster Wahrscheinlichkeit nicht dazu. Insofern bestimmt eben tatsächlich das «Grosskapital» (meint: Investoren), was es zu sehen gibt in der Schweiz. Weil der Bund keine Gebühren mehr eintreibt, kann er keine Regeln mehr erlassen. Insofern entgleitet dem Bürger sogar Kontrolle.

Behauptung 3) Amerika als Vorzeigemodell

Giuseppe Scaglione 13:00: Es wird den Leuten im Moment so viel Angst gemacht. Etwa, dass man sagt, wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse. Das ist aber gar kein Schreckgespenst mehr für die meisten Leute. Amerika ist mittlerweile sogar das Vorzeigemodell, was Medien angeht in ganz vielen Fällen.

Wie bitte? Giuseppe Scaglione will etwa alle zehn Minuten Werbung, keine ausführlichen Nachrichten mehr, nur noch Talkshows und eine Ausrichtung von Sendungen allein nach der Quote? Natürlich gibt es interessante Phänomene wie Netflix (in einem riesigen Markt von 280 Millionen Konsumenten lässt sich das auch finanzieren). Aber es gibt keine journalistisch ausgewogenen Sendungen mehr im Fernsehen. Es gibt TV für die Rechten und TV für die Linken – es gibt keinen Sender mehr, der von allen geschaut wird. Das ist mit ein Grund dafür, warum die USA heute einen Präsidenten im Oval Office sitzen hat, der alle seriösen Medien Fake News schimpft.

Behauptung 4) Die SRG wird es noch lange nach der Abstimmung geben

Giuseppe Scaglione 13:46: Zu den Liquidations-Horrorszenarien, die SRG müsse liquidiert werden und man habe keine Zeit. Vorab muss man sagen, die NoBillag-Initiative ist vor dreieinhalb Jahren lanciert worden. Seit dreieinhalb Jahren weiss man, dass da eine latente Gefahr am Horizont ist und dass man sich irgendwie darauf einstellen müsste. … Wenn das am 4. März mit einem Ja ausgeht, passiert am 4. März noch gar nichts. Zuerst muss mal ein Gesetz verabschiedet werden, das die Umsetzung festlegt. Das Gesetz muss zuerst ausgearbeitet werden, dann gibt es eine Vernehmlassung, dann gibt es eine bundesrätliche Botschaft, dann muss der Stände- und der Nationalrat das Gesetz verabschieden. Das geht zwei Jahre, vielleicht drei Jahre.

Schon interessant. Die Initianten werben für die Initiative mit der Behauptung, es werde sich danach nichts ändern. Aber zur Sache: Das Problem ist nicht die Zeit, welche die SRG seit Lancierung der initiative hatte, sondern dass sie nach einer Annahme fast keine zeit mehr hätte. Wenn man einem so grossen Betrieb über eine Volksabstimmung drei Viertel seiner Einnahmen wegnimmt, dann wird der Betrieb abstürzen. Selbst wenn alle Menschen auch nach der Abstimmung weiterhin ihre Billag-Gebühr bezahlen würden – es ist allen Beteiligten klar, dass der SRG der Stecker gezogen wird. Jedes Engagement für die SRG, jeder Vertrag mit der SRG, jede Werbebuchung in einem Medium der SRG ist immer auch eine Wette auf die Zukunft. Und all diese Wetten fallen ab dem 4. März flach, weil völlig unklar ist, was mit der SRG passieren wird.

Das bedeutet, dass die SRG keine Verträge mehr abschliessen kann. Angestellte werden neue Stellen suchen, so lange sie noch können. Die Leistungsträger werden es etwas einfacher haben und rascher unterkommen. Kurz: Die SRG blutet aus. Lieferanten werden vorsichtiger. Sie hören von Liquiditätsproblemen, verlangen Vorkasse und verstärken damit die Engpässe. Die SRG muss rasch Leistungen abbauen und verliert deshalb auch Werbeeinnahmen.

Selbst wenn der völlig unrealistische «Plan B» des Gewerbeverbandes in allen Zügen funktionieren würde, käme es zu einer Krise, bis die neuen Businessmodelle greifen. Scaglione täuscht sich dabei, wenn er meint, es sei für die SRG ein Vorteil, dass der Gesetzesprozess so lange dauert. Das vergrössert die Unsicherheit nur und verlangsamt den Übergang. Nein, die SRG würde nach einem «Ja» recht rasch einbrechen. Da müssen wir uns nichts vormachen.

Behauptung 5) Pay-TV, Crowdfunding, Onlinewerbung

Olivier Kessler 18:50: Die Initiative ist möglichst rasch umzusetzen. Aber was wir sagen, ist, dass nachher nicht einfach Lichterlöschen ist, wenn das umgesetzt wird. Die SRG hätte Zeit gehabt und hat immer noch Zeit, eine entsprechende Strategie auszuarbeiten, dass es nachher mit der SRG in einem ähnlichen Umfang weitergehen könnte. Zum Beispiel könnte die SRG sagen, wenn man nicht mehr zahlen muss, wenn man die Kunden nicht mehr zwingen kann, für etwas zu bezahlen, was sie nicht möchten, dann muss man Pay-TV oder Bezahlmodelle machen, man macht es wie die Republik mit Crowdfunding, oder man macht werbefinanzierten Onlinecontent. Die SRG ist ja nachher auch frei.

Ach, Olivier Kessler. Die SRG ist dem Service public verpflichtet und erfüllt dabei einen Auftrag aus der Bundesverfassung, dem Radio- und Fernsehgesetz sowie der Konzession (Quelle: hier). Wenn man der SRG den Service public wegnimmt (indem man ihr die Mittel dafür streicht), wenn man ihr den Auftrag und die Konzession streicht, bleibt nicht mehr viel übrig, oder?

Ich habe hier schon ausführlich gezeigt, warum das mit Pay-TV und Bezahlmodell nicht funktionieren wird. Dass Olivier Kessler die Republik als Argument ins Feld führt, ist schon fast eine Frechheit. Das Beispiel ist nämlich ein Beweis dafür, dass seine Argumentation nicht funktioniert. Die Republik war das mit Abstand grösste Mediencrowdfunding der Schweiz – und hat 3,4 Millionen Franken eingebracht. Allein die Informationsformate des Deutschschweizer Radios kosten fast das zehnfache. Und zwar jedes Jahr. Und dann noch die Sache mit den werbefinanzierten Onlineinhalten: Woher soll so viel Werbung kommen? Der Werbemarkt in der Schweiz, da sind sich die Experten einig, wird insgesamt bei etwa 5 Mrd. Franken stagnieren (Quelle: hier). Das bedeutet: Es wird Werbung umgeschichtet. Entweder von anderen Onlineträgern, oder aus dem Print. Das würde heissen: Durch die Annahme der Initiative wird die SRG erst zur Konkurrenz für die Verleger. Doch das Potenzial für Displaywerbung in der Schweiz ist beschränkt, weil der grössere Teil des Werbekuchens von Suchmaschinen aufgesogen wird. Die Aussicht, grosse Teile des SRG-Inhalts künftig durch Onlinewerbung finanzieren zu wollen, sind nicht gegeben.

Behauptung 6) Nachrichten lassen sich per Pay-TV bezahlen

Giuseppe Scaglione 28:06: Es gibt eine Studie von Ernst Young aus dem letzten Herbst, auf die Schweiz bezogen, da hat man die Leute gefragt, wie ihr Mediennutzungsverhalten ist. Da haben 50% der Leute gesagt, dass sie heute schon auf Plattformen Geld einsetzen für Content. Das ist vor allem im Unterhaltungsbereich. 12% nur sind im journalistischen Bereich. Aber, und jetzt kommt der springende Punkt, 50% wären bereit, für den journalistischen Content zu bezahlen.

Und das ist die Studie von EY: EY-Vorschlag «Swiss-Media-Plattform» gemäss repräsentativer Umfrage Erfolg versprechend EY schreibt: Gemäss einer Untersuchung des Beratungsunternehmens EY könnte eine «Swiss-Media-Plattform» die konkrete Möglichkeit bieten, damit ein unabhängiger und selbsttragender Schweizer Journalismus auch in der digitalen Welt eine Chance hat. Und weiter: Die Swiss-Media-Plattform ist ein möglicher Lösungsansatz, welcher der Medienindustrie zu neuem Wachstum verhelfen könnte. Nutzer hätten dadurch einfach und unkompliziert Zugriff auf alle teilnehmenden Medienquellen.

Es geht bei der Untersuchung von EY also nicht um Pay-TV, sondern um eine kostenpflichtige Onlineplattform à la Spotify oder Netflix, die möglichst alle Inhalte in der Schweiz bündelt und gegen eine Abo-Gebühr zur Verfügung stellt. Vermutlich würden dann die Urheber (ebenfalls wie bei Spotify) pro Stream entschädigt. Weil sich auf der Plattform sehr viele Anbieter tummeln, würde der Verkehr auf der Plattform vielleicht gross ausfallen, aber auf sehr viele Anbieter verteilt. Es ist sehr unrealistisch, dass auf diese Weise eine «Tagesschau» oder ein «Echo der Zeit» finanziert werden könnte. Ganz streichen müsste man die journalistischen Inhalte in der Romandie und im Tessin: Diese Märkte sind ohne Gebührenumverteilung aus der Deutschschweiz viel zu klein, als dass sie journalistische Angebote finanzieren könnten.

Behauptung 7) Blocher würde das schon recht machen

Giuseppe Scaglione 40:56: Die SRG hat heute im Fernsehbereich auf SRF 1 einen Marktanteil von 19 Prozent. Haben Sie das Gefühl, wenn Herr Blocher das machen würde, er sei so blöd, und tauscht das ein gegen einen Marktanteil von vielleicht einem Prozent, weil er nachher einfach seine Propaganda über den Sender lässt? Das würde ja kein vernünftiger Geschäftsmann machen.

Öh, Herr Scaglione, wir machen in Basel ungefähr genau diese Erfahrung, ja. Es wäre nicht gerade ein Prozent, aber wenn der Grund für ein Engagement nicht ein ökonomischer ist, sondern ein politischer, dann spielt der Erfolg im Markt eben eine kleinere Rolle als der politische Erfolg. Abgesehen davon: Rupert Murdoch beweist mit seinen Sendern und den USA und in England, dass man geschäftlichen Erfolg und politische Wirkung verbinden kann. In einer Demokratie wie der Schweiz wäre das verheerend.

Basel, 17. Januar 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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3 Kommentare zu "Märchenstunde mit NoBillag-Initianten im «Medienclub»"

  1. Nicht in allen Punkten nüchtern analysiert. Z.B. geht es in Punkt 2 nicht darum, dass das Volk nicht bestimmen könnte, sondern, dass auch Leute mitzahlen müssten, die die Leistungen gar nicht beanspruchen. Sie werden von der Mehrheit gezwungen, was von einigen Befürwortern der Initiative als Bevormundung bezeichnet wird.

    Punkt 3: Dass es in den USA gleich gar keine ausführlichen Nachrichten mehr gibt, ist übertrieben. Ausserdem mischen im Markt noch britische Medien mit, die zum Teil staatlich finanziert sind. Wie es wäre, ganz ohne staatliche Sender, wissen wir nicht.

    Punkt 4: Die SRG hatte vor der Abstimmung Zeit, sich Gedanken zu machen. Ja, wenn man es erst danach macht, wird die Zeit in der Tat extrem knapp.

  2. Gut analysiert, danke.
    … nur am laut denken… diese bescheuerte Initiative verbietet dem Bund nicht einen Streamingdienst zu finanzieren? Oder?
    Was, wenn die SRG in zb SSS ( Swiss Stream Service ) umbenannt wird und nicht mehr über air, nur noch über net sendet? Finanziert über Steuern/Unabhängige Komission?
    Klar, riesenchaos für Autoradio und so, Riesengeschäft für Hardwaredealer, aber die SRG kann weiter existieren (fast) wie bisher.
    ( und mich würde es freuen diesen suppper smarten Libertären ans Bein zu p….)

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