Eine kleine Bewertung der grossen AZ/NZZ-Hochzeit
AZ Medien und NZZ gründen ein Joint Venture: Zusammengeführt werden:
- Die Regionalzeitungen (Aargauer Zeitung, Solothurner Zeitung, BZ Basel, Basellandschaftliche Zeitung, Oltner Tagblatt, Grenchner Tagblatt sowie St. Galler Tagblatt und Luzerner Zeitung mit ihren Kopfblättern)
- Die Online-Portale dieser Titel.
- Die nichtkonzessionierten Radio- und TV-Stationen.
- Die Zeitschriften.
- Die Druckereien.
Was ist von der grossen Hochzeit von AZ und NZZ zu halten? Konkret stellen sich drei Fragen:
- Die wirtschaftliche Sicht: Lösen die beiden Zeitungsgruppen mit dem Zusammengehen ihre wirtschaftlichen Probleme?
- Die publizistische Sicht: Welche Konsequenzen hat die Heirat für den Inhalt?
- Die politische Sicht: Was bedeutet die Fusion für die Demokratie?
Die wirtschaftliche Sicht
AZ und NZZ erklären, zusammen bilde man ein wettbewerbsfähiges Medienunternehmen, das die nötige Finanzkraft hat, um in die Zukunft zu investieren. Umgekehrt gelesen heisst das: Offenbar sind derzeit weder die AZ, noch die NZZ Regionalzeitungen wettbewerbsfähig und sie können nicht in die Zukunft investieren. Anders gesagt: Zwei Schwache heiraten, damit sie zusammen stärker sind. Fragt sich: Können die beiden ihre Schwäche durch die Heirat beseitigen?
Gedruckte Zeitungen verdienen zu wenig Geld, deshalb sind die Kosten zu hoch. Wo setzt der Zusammenschluss der beiden Häuser an? Ausschliesslich auf der Kostenseite: Stärker sind die beiden zusammen nur, wenn sie die gleiche Leistung, die sie jetzt einzeln erbringen, zusammen mit weniger Aufwand, also zu geringeren Kosten schaffen – das heisst: wenn sie Personal abbauen und Aufwand zurückfahren. Möglich ist das, indem die Zeitungen einen gemeinsamen, überregionalen Mantel bilden und jene Teile der Zeitungsproduktion, die einer Industrielogik unterliegen, zusammenführen, weil da Skaleneffekte zu holen sind. Deshalb macht es Sinn, dass die Druckereien Teil des Zusammenschlusses sind.
Das grosse Problem dabei: Gedruckte Zeitungen haben, nicht nur in der Schweiz, vor allem ein Einnahmenproblem, Ihr Businessmodell funktioniert nicht mehr. Im Lesermarkt ist immer weniger Geld zu holen, weil immer weniger Menschen bereit sind, für eine (immer dünnere) gedruckte Zeitung (immer mehr) Geld zu bezahlen. Im Werbemarkt generieren die Zeitungen immer weniger Geld, weil eine Zeitung als Werbeträger für viele Werbekunden nicht mehr attraktiv ist und viele Titel in ihren jeweiligen Regionen heute eine zu kleine Rolle spielen.
Die ökonomischen Probleme haben übrigens nichts mit einer starken SRG zu tun. In der Schweiz ist der Anteil der Zeitungen am Werbemarkt mit 37% deutlich höher als im globalen Durchschnitt (10%). Es ist also zu erwarten, dass sich die Probleme im Werbemarkt in der Schweiz noch akzentuieren werden.
Wertung der Fusion: Der Zusammenschluss ändert an diesen Problemen nichts.
Die publizistische Sicht
AZ und NZZ setzen künftig (noch stärker) auf das Mantelprinzip: Die Zeitungsseiten mit überregionalen Inhalten, also Ausland, Inland, Wirtschaft, nationale Kultur und Themenseiten wie Leben, Technik, Auto werden zentral einmal für alle produziert. Managern leuchtet das sofort ein, dass man auf diese Weise Geld sparen kann. Die Teufel liegen im Inhalt und im Detail. Die Gefahr ist nämlich gross, dass der Mantel eine Art Hors-Sol-Zeitung wird, die überall ein bisschen gefällt, aber nirgends wirklich verwurzelt ist. In einer Stadt wie Basel stösst das den Lesern sofort sauer auf, wenn die Perspektive auf die Bundespolitik keine Basler Perspektive mehr ist, sondern eine generische St. Galler-Luzerner-Aarauer-Solothurner-Basler-Allerweltsperspektive. Es genügt dabei nicht, den lokalen Ständerat reinzuflicken, es beginnt mit der Wahl der Themen und der Herangehensweise.
Die meisten Schweizer denken beim Stichwort AKW-Störfall an Gösgen und Leibstadt. Basler denken an Fessenheim. Für das Mittelland und für St. Gallen ist die A1 die wichtige Autobahn. Für Basler und Luzerner ist es die A2. Es gibt viele solche Beispiele, die den Leser vor Ort immer wieder spüren lassen, dass Mantelzeitungen eine Art gedrucktes DRS1 sind (um bewusst die alte Benennung des Landessenders zu nehmen). Oder nehmen wir die Wirtschaft: Für alle Zeitungen im Verbund sind Roche und Novartis nationale Firmen, entsprechend werden sie im nationalen Wirtschaftsteil abgehandelt. Für eine Zeitung in Basel sind Roche und Novartis aber lokale Themen. Hier sind nicht nur Umsatz und Gewinn interessant, sondern auch Aspekte wie Arbeitsplätze, Gebäude oder Verkehrsanbindung. Ganz zu schweigen von FCB und Kunstmuseum, Fondation Beyeler und Baselworld. Mein Merksatz dazu: Das Lokale ist nie nur Thema, sondern immer auch Perspektive – gerade in der föderalistischen Schweiz.
Wertung der Fusion: Inhaltlich wird das für die Leserinnen und Leser in den einzelnen Regionen ein Verlustgeschäft, weil das relative Gewicht der einzelnen Region im Gesamtkonstrukt kleiner wird. Die Probleme im Lesermarkt werden sich entsprechend kaum verringern.
Die politische Sicht
Nun könnte man argumentieren, immerhin werde mit dem Zusammenschluss die regionale Publizistik erhalten, es gebe weiterhin in Basel, Luzern, St. Gallen und Aarau regionale Zeitungen. Regionalmedien leisten in der föderalistischen, direktdemokratischen Schweiz einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung, lässt sich Peter Wanner in der AZ zitieren. Schon. Aber die Regionalmedien sind nicht mehr regional verwurzelt. AZ/NZZ und Tamedia mausern sich zu Grossproduzenten von Hors-Sol-Zeitungen – demokratiepolitisch ist das problematisch, weil die publizistische Macht stark konzentriert ist. Die gute Nachricht ist dabei, dass die beiden Verlage sich publizistisch positionieren und keine politische Agenda haben. Hätte Christoph Blocher die Zeitungen gekauft, wäre das ganz anders.
Wertung der Fusion: Ein blaues Auge für die Demokratie, eine gute Nachricht für die sogenannt unabhängige Publizistik.
Wie geht es weiter?
Die Fusion löst die strukturellen, wirtschaftlichen Probleme der Zeitungen nicht. Wir brauchen in der Schweiz weiterhin gute, neue Ideen. Watson.ch und die Republik sind zwei solche neuen Modelle. Daneben werden sich viele kleine, unabhängige Plattformen und Publikationsmodelle etablieren. Dabei werden die einzelnen Medienschaffenden, Präsentatoren und Autoren wichtiger werden. Die Zukunft liegt in der digitalen Produktion, nicht nur im Internet, sondern auch in elektronischen Zeitungen. Das verringert nicht nur die Kosten im Bereich Produktion und Distribution, es ermöglicht auch aktuellere Produkte und individualisierte Werbung. Ergänzt wird die digitale Aktualität durch hochwertige Printprodukte – Longseller auf Papier. Ich bezweifle stark, dass die bestehenden Verlagshäuser die Phantasie und die Kraft haben, sich neu zu erfinden. Sie setzen auf das Dinosaurier-Sein, so lange es geht. Und dann sterben sie aus.
5 Kommentare zu "Eine kleine Bewertung der grossen AZ/NZZ-Hochzeit"
Lieber Matthias,
Ich bin nicht ganz einverstanden. erlaube mir drei Bemerkungen:
– Es heiraten nicht zwei Schwache, sondern zwei, die wissen, dass sie alleine nicht mehr lange stark sein können. Zusammen haben sie Kraft, um gemeinsam in neue Projekte zu investieren.
– Der Mantelteil muss bei vielen (den meisten) Zeitungen heute schon in mehreren Kantonen funktionieren. Das Joint Venture ist insofern bloss ein nächster Schritt. Man mag das bedauern (was ich auch tue), aber wichtiger ist die regionale Information. Und wenn dafür mehr (oder zumindest nicht weniger) Mittel zur Verfügung stehen, dann kann eine Redaktion auch selbst jemand nach Bern schicken, so wie es zum Beispiel die bz tut. Im Übrigen beweist die lokale Konkurrenz, dass man auch als Eigenproduzent einen Mantel praktisch ohne regionalen Bezug herstellen kann (zumindest bundespolitisch).
@ David Sieber: Zu glauben, die einzelnen Regionalmedien werden danach dank mehr Mitteln jeweils eigene Leute nach Bern schicken, ist nun doch etwas abenteuerlich beziehungsweise optimistisch. Geschickt wird der, der am nächsten ist (geografisch), allenfalls mit der Auflage, doch bitte auch noch die Luzerner / Aargauer / Ostschweizer Perspektive abzudecken. Was in der Praxis nicht gelingt, weil er oder sie nur eine der drei Perspektiven wirklich kennt. Und der Mantel „praktisch ohne regionalen Bezug“ ist sicher machbar, aber will ich ihn lesen? Bundespolitik aus reiner Bundesperspektive kriege ich auch anderswo zu lesen.
Die bz mag ich. Kooperationen finde ich grundsätzlich sinnvoll und voller Chancen. Aber wäre es nicht glaubwürdiger, zu schreiben: Es sind vor allem finanzielle Gründe und die Konkurrenz, die uns zu diesem Schritt bewegt haben. Wir haben vor, mit (regionaler) Vielfalt weiterhin kreativ und konstruktiv zu wirtschaften. Ob uns dies gelingt, wissen wir nicht sicher. Wir hoffen es.
Warum ich mit der „BZ Basel“ und der „Basellandschaftlichen Zeitung“ nie richtig „heimisch“ werde ist, dass ich einfach keinen heimischen Bezug bemerke. Die paar hingeschriebenen Regionalseitchen reichen mir einfach nicht aus, aus diesen Blättern „Zeitungen von hier“ zu machen.
Ich sass kürzlich im Migros-Restaurant in Dietikon (ZH) zum Mittagsmahl. Sehr zu empfehlen, besser als in manchem konventionellen Restaurant. Dort legen sie die „Limmattaler Zeitung“ für die Gäste auf. Und tatsächlich sahen die meisten Seiten (Beginn, Schweiz, Welt, Garten, Reisen, Haushalt, Wirtschaft, Dossiers) genau gleich aus wie im BZ-BL/BS Blatt. Das schockierte mich erstmal. Traurigkeit. Alle bekommen das gleiche Futter. Und die „Macht“ dieser Schreiberlinge dachte ich….
Kürzlich sass ich im Coop-Restaurant in Grenchen, welches es tatsächlich gibt. Und dort fuhr tatsächlich ein „Grenchner Tagblatt“ zum Lesen herum. Und tatsächlich sahen die meisten Seiten (Beginn, Schweiz, Welt, Garten, Reisen, Haushalt, Wirtschaft, Dossiers) genau gleich aus wie im BZ-BL/BS Blatt. Das schockierte mich erstmal. Traurigkeit. Alle bekommen das gleiche Futter. Und die „Macht“ dieser Schreiberlinge, fuhr es mir durch den Sinn….
Ich möchte nicht schon wieder ein Loblied auf die „Basler Zeitung“ singen, doch bemerkt der aufmerksame Leser an vielen kleinen Kleinigkeiten, dass das Blatt von hier für hier ist. „Hausgemacht“ baslerisch eben. (Dass die Besitzverhältnisse unbaslerisch sind, sondern – positiv ausgedrückt: … „interkantonal“ – ist mir bekannt. Doch bei der „BZ&Co“ ist es nicht anders, dort sind sie ebenso unbaslerisch – nämlich „aargauerisch-zürcherisch“).
Das die „BaZ“ eine eher bürgerlich-pofilierte Grundmeinung vertritt, ist mir ebenso bekannt. Nicht anders wie die BZ-Blätter. Denn zum Satz: „Die gute Nachricht ist dabei, dass die beiden Verlage sich publizistisch positionieren und
k e i n e politische Agenda haben…“ muss hinzugefügt werden, „ausser die SVP stetig herabzuwürdigen“. Oder wann haben Sie den letzte positive Story über diese Partei in diesen Blättern gelesen?
Journalistisch keine Ausgewogenheit und kein Ruhmesblatt. Doch gottlob haben die Print-Journalisten heute keine so grosse Beeinflussung der Wählerschaft mehr, wie sie selbst immer noch meinen. Weil sie an Bedeutung verlieren, weil die Wähler mündiger und gebildeter worden sind und weil er sich, was absolut richtig ist, an der Partei-Leistung selbst, an der SVP direkt misst und sie deswegen schätzt. Deshalb die stärkste Partei der Schweiz. Da kann in den Redaktionsstuben noch so viel Trübes verwässert werden und Despektierliches verfasst werden, die Zeit der Manipulation ist definitiv vorbei.
Meine erste Reaktion als ich vom neuen Joint Venture las: Vermutlich wird dann die bz Basel meine letzte abonnierte gedruckte Zeitung sein! Allerdings ist es wohl im Moment nur ein gradueller Abstieg (wie z.B. damals der Abgang von Chefredaktor Matthias Zehnder…).
Vor langer Zeit war ich eifriger Leser der Weltwoche – und als die dann unlesbar gemacht wurde sind wir zur BaZ geflohen. Ja, das ist wirklich das richtige Wort! Als die dann allerdings zur BloZ umgebaut wurde war eine nächste Flucht angesagt…
Leider ist die Tageswoche ja gescheitert! Stolz gestartet als „Print und Digital“, dann bald gemerkt dass das Print-Standbein viel mehr Substanz hat. Und es dann leider nur geschafft, das Print-Bein zu schwächen anstatt Ideen für eine bessere Digital-Ausgabe zu entwickeln. Schade!
Die bz Basel wird, wie es im Moment aussieht, sich wohl einfach mit der Zeit bis zur völligen Belanglosigkeit verdünnen; dann kann man sie getrost abbestellen. Ohne Ersatz!
Vom gesparten Geld kann man dann die zukünftige allgemeine Staatsfernseh-Gebühr bezahlen: Während man die sterbenden Tageszeitungen einfach gelegentlich abbestellen kann muss man dann neu für ein sterbendes Fernsehen bezahlen – was wir schon seit Jahrzehnten nicht konsumieren…
Beide Medien werden dann durch’s Internet ersetzt – wie auch immer – und ob wir wollen oder nicht!