Die NZZ fordert, die SRG müsse abspecken. Eine Widerrede.

Publiziert am 9. Februar 2018 von Matthias Zehnder

Es zeichnet sich ab, dass das Schweizer Volk die NoBillag-Initiative ablehnt. Die NZZ schiesst sich bereits warm für den Kampf nach der Abstimmung und behauptet: Die SRG müsse abspecken. Michael Schoenenberger begründet diese Forderung in einem Kommentar mit sieben Behauptungen. Bei genauerer Betrachtung lösen sich jedoch die Vorwürfe der NZZ in Luft auf. Eine Widerrede.

Die Meinungsseite der NZZ gehört heute Michael Schoenenberger, dem Inlandchef der NZZ. In einem ganzseitigen Meinungsartikel schiesst er sich warm für den Kampf gegen die SRG nach der NoBillag-Abstimmung und schreibt: Die No-Billag-Initiative ist abzulehnen, aber die SRG muss trotzdem abspecken. Online findet sich der Artikel hier: https://www.nzz.ch/meinung/die-srg-muss-abspecken-ld.1355087 Schauen wir uns die einzelnen Behauptungen etwas genauer an.

Fehlbehauptung 1)
Die SRG überhöht ihre Rolle bezüglich der Schweizer Identität

Schoenenberger schreibt: Die SRG bedient das Verlangen nach nationalen Gefühlserhebungen gerne und oft. Sie behauptet gar, als Einzige dazu in der Lage zu sein, weil Privaten die finanziellen Mittel fehlten. Wer sich so anmassend positioniert, macht sich unersetzlich, auch wenn es letztlich eine Behauptung bleibt, als einzige mediale Institution zur Identitätsstiftung beizutragen. Und daraus folgt in der Logik der SRG-Verteidiger: Wer die SRG abschaffen will, muss ein Landesverräter sein.

Tatsache ist: Die vier Landessender bedienen in der Tat viele Schweizbilder im Inland und auch im Ausland. Das ist hübsch und sollte eigentlich bei rechten Patrioten Herzklopfen auslösen – aber darum geht es nicht, wenn von der Rolle der SRG für den Zusammenhalt der Schweiz die Rede ist.

Einmal abgesehen davon, dass wohl wirklich nur die SRG in der Lage ist, Grossereignisse wie das Lauberhornrennen so perfekt zu inszenieren, dass die Bilder auf der ganzen Welt gezeigt werden (Siehe hier: https://www.htr.ch/tourismus/ohne-srg-kein-rennen-47196.html ), ist die SRG für die Schweiz wohl vor allem deshalb wichtig, weil sie die Schweizer Themen, die Schweizer Geschichten und die Schweizer Menschen transportiert. Dabei positioniert sich die SRG weniger gegen die kleinen privaten Schweizer TV-Sender, als gegen die grossen ausländischen TV-Sender. Nur die SRG bedient die Schweiz mit Nationalinhalten, weil RTL und Sat.1 das nicht tun.

Fehlbehauptung 2)
Die SRG überhöht ihre Rolle bezüglich der Landesregionen

Schönenberger schreibt: Suggeriert wird, ohne die SRG würde überhaupt niemand adäquat aus Regionen oder für Sprachgebiete berichten. Das ist heute schon leicht zu widerlegen. In dieser Logik muss die Schweiz ohne SRG auseinanderbrechen. Nur: Das Land gab es bereits vor der SRG.

Der letzte Satz ist ein dämliches Totschlagargument. Das Land gab es auch schon vor der SBB, vor der Swisscom und vor der Post. Für sich genommen gibt es keine Institution, die so wichtig wäre, dass das Land ohne sie auseinanderbricht. So wichtig ist nicht einmal die Armee. Relevanter ist der Hinweis auf die Rolle für die Sprachregionen. Sorgt die SRG für Zusammenhalt oder nicht? Sie sorgt. Aber nicht so, wie Schoenenberger es meint. Wesentlicher als die Berichterstattung aus anderen Landesteilen ist nämlich die Umverteilung der Gebührengelder in der Schweiz. Die drei Landesteile grenzen je an grosse, gleichsprachige Länder, die mit ihren Radio- und Fernsehstationen ungehindert in die Schweiz ausstrahlen. Die grossen Privatsender verkaufen in der Schweiz für ihr Schweizer Publikum auch Werbung. Die wesentliche Leistung der SRG ist es, mit Gebührengeldern dafür zu sorgen, dass alle Landesteile eigene Radio- und TV-Angebote haben und damit den viel grösseren Sendern in Deutschland, Frankreich und Italien etwas entgegensetzen können.

Umverteilung der Gebührengelder innerhalb der SRG. Quelle: SRG 2017

Fehlbehauptung 3)
Der Zwang ist das Problem

Schoenenberger schreibt: Die derzeitige Emotionalität hat auch viel mit der Abstimmung von 2015 und dem äusserst knappen Ja des Stimmvolks zu einer obligatorischen «Gebühr» für die konzessionierten Radio- und TV-Stationen zu tun.

Es ist schon interessant, dass die politische Rechte immer wieder auf diese Abstimmung zurückkommt. Das Stimmvolk hat das RTVG angenommen. Knapp, aber angenommen. Ende der Fahnenstange. Ständig von Zwang zu fabulieren, ist bloss Zeichen eines seltsamen Staatsverständnisses. Jede Steuer, jede Abgabe, jede Gebühr ist «erzwungen». Die Radio- und Fernsehgebühr ist eine obligatorische Haushaltabgabe, die nicht über die Steuern erhoben wird, damit die SRG nicht durch das Parlament kontrolliert wird, weil sonst die Gefahr zu gross wäre, dass das SRG-Budget in der Budgetdebatte politischen Partikularinteressen ausgesetzt wäre. Das Problem ist mit anderen Worten nicht der Zwang, das Problem ist, dass gewisse Kreise das Ergebnis der Volksabstimmung on 2015 nicht akzeptieren wollen.

Fehlbehauptung 4)
Die SRG ist politisch einseitig

Schoenenberger schreibt: Öffentliche Medien sind zu Ausgewogenheit verpflichtet. Die Ausgewogenheit erschöpfe sich aber nicht im Zeitmessen. Zentral sind Themenwahl und Themenbehandlung. Wie oft haben wir schon Anmoderationen gehört, die den Duktus einer Sendung und die zugrunde liegenden Denkmuster offen zu Tage treten liessen: gegen Föderalismus, gegen Wettbewerb, gegen Kapitalismus, gegen die bösen Unternehmer, für den armen Sozialhilfeempfänger, für die geschundenen Beamten, gegen Autos, für Velos usw. Wertfreier Journalismus, den gibt es auch in der SRG nicht. Aber weil er in der SRG meist eine bestimmte Brille trägt, opponieren nun jene, die nicht länger bereit sind, dafür auch noch zur Kasse gebeten zu werden.

Die alte Kamelle des Hofer-Clubs: Leutschenbach ist links. Das ist schlicht und einfach Quatsch – es sei denn, man stehe so weit rechts, dass alles andere links steht. Guter Journalismus hinterfragt, alle, vom Sozialhilfeempfänger bis zum CEO. So weit ich die Radio- und Fernsehprogramme von SRF überblicke, geschieht das auch.

Fehlbehauptung 5)
Die SRG ist reformunfähig

Schoenenberger schreibt: Aufgrund der Erfahrungen bleibt das Misstrauen gross bei der Frage, ob es je zu Reformen kommen wird.

Tatsache ist: Die SRG muss sich rascher reformieren, als es manchem Zuschauer lieb sein dürfte. Der Hauptgrund ist der Medienwandel, der durch die Digitalisierung ausgelöst wird. Die SRG muss sich in den nächsten Jahren vom Kanalanbieter zum Contentanbieter weiterentwickeln. Nur eine starke SRG kann diesen Wandel erfolgreich bewältigen.

Fehlbehauptung 6)
Die SRG schürt Abhängigkeiten

Schoenenberger schreibt: Die Debatte um die «Gebührengelder» ist auch deshalb derart aufgeladen, weil Politik und private Verleger es fertiggebracht haben, Abhängigkeiten zu schaffen. Schoenenberger meint damit nicht nur die regionalen TV-Sendern, sondern auch die Kultur, wo die SRG die von ihr abhängige Klientel ständig vergrössere. Deshalb wehren sich zum Beispiel die Kulturschaffenden so vehement gegen die Initiative. Überhaupt scheinen fast alle in fataler Weise auf die SRG, und nur auf sie, angewiesen zu sein: Politik, Wirtschaft, Verbände, Kirchen, Musiker, Filmschaffende, Satiriker, Jasser, Schwinger, Cervelat-Prominenz. Genau so macht man sich vermeintlich unentbehrlich. Bezahlen soll die Bedienung aller Interessengruppen die Allgemeinheit.

Das ist schon fast absurd: Es ist die Definition von Service Public gegen den Service Pulic verwendet. Das ist ja gerade das Ziel der Institution SRG: Im Dienst der Allgemeinheit zu stehen. Und die Allgemeinheit ist nun mal keine amorphe Masse, sondern besteht aus vielen verschiedenen Interessengruppen. All die einzelnen Gruppen kommen nur deshalb vor, weil die Allgemeinheit beschlossen hat, über Gebühren einen öffentlichen Rundfunk zu finanzieren.

Fehlbehauptung 7):
Die SRG hat sich nach den Entwicklungsmöglichkeiten der Privaten zu richten

Schoenenberger schreibt: Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist nicht so, dass die Probleme der Privaten gelöst wären, gäbe es die SRG nicht mehr. Aber die SRG ist so zu formen, dass sie die Zukunftsfelder und Entwicklungsmöglichkeiten der Privaten nicht tangiert.

Das ist das Mantra der NZZ und der Wirtschaft. Es ist interessant, zu beobachten, welche Politiker dieses Mantra übernehmen. Dieses Credo ist nämlich nur im Interesse der privaten Anbieter, nicht im Interesse der Konsumenten. Die Konsumenten in der Schweiz müssen sich im klaren sein, dass sie auf Sendungen und Angebote verzichten müssen, wenn die SRG «abspecken» muss. Es ist etwa so, wie wenn man verlangen würde, dass eine Buslinie eingestellt wird, damit auch Taxibetriebe Arbeit haben. Das mag im Interesse der Taxibetriebe sein, aber sicher nicht im Interesse der Allgemeinheit.

Basel, 9. Februar 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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3 Kommentare zu "Die NZZ fordert, die SRG müsse abspecken. Eine Widerrede."

  1. Was Herr Schoenenberger schreibt, ist in rein destruktiver Beitrag, der nicht den Hauch einer Perspektive aufzeigt, wie und wo die SRG „abspecken“ soll. Damit niemandem gedient. Die Nischen, die den Privaten durch die SRG verstopft werden, müssen klar benannt werden. Und zwar für alle Sprachgebiete – nicht nur für die deutsche Schweiz! Und dann muss das auch noch dem Willen der Mehrheit passen. Eine Aufgabe, die um ein vielfaches schwieriger ist, als das Aneinanderreihen von einigen unspezifischen Allgemeinplätzen.

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