Medientipp
Kopf voran
Ein neuer Podcast von Radio SRF – das ist eine so originelle Empfehlung wie ein Bier von Feldschlösschen. Könnte man meinen. Aber dieser Podcast hat es in sich: Anders als die meisten Podcasts von Radio SRF ist «Kopf voran» nämlich keine Radiosendung, die auch als Podcast vertrieben wird, sondern eine Originalproduktion. Die Sendung ist also von Anfang an als Podcast gedacht. Ein Unterschied ist das deshalb, weil Radiosendungen so produziert sein müssen, dass sie in unterschiedlichen Hörsituationen funktionieren, ganz egal, ob das Radio in der Küche, unterwegs im Auto oder im Wohnzimmer läuft und ob es über Lautsprecher oder Kopfhörer konsumiert wird. Podcasts dagegen werden meistens über Kopfhörer konsumiert. Das ermöglicht eine anderen Einbezug der Hörkulisse, also von Geräuschen und Hintergrundtönen. Genau das macht «Kopf voran»: Man hat akustisch den Eindruck, zusammen mit der Reporterin oder dem Reporter in ein Stück Welt einzutauchen, konkret in ein Stück Wissenschaftswelt. So gesehen ist das Thema der zweiten Staffel von «Kopf voran» vielleicht nicht ganz glücklich gewählt: Man landet Kopf voran im Dreck – in der ersten Folge sogar in der Kläranlage.
Produziert wird «Kopf voran» von der Wissenschaftsredaktion von Radio SRF 2 Kultur, also von Thomas Häusler und seinem Team. Regelmässigen HörerInnen des «Wissenschaftsmagazins» (wie mir) sind die Stimmen und die zu ihnen gehörenden Themen also bekannt. Anders als das «Wissenschaftsmagazin» berichtet der Podcast «Kopf voran» nicht nüchtern vom Redaktionspult aus über ein Wissenschaftsthema. Die Journalisten tauchen als Reporterinnen und Reporter in ein Thema ein und lassen die Hörerin und den Hörer an den Erlebnissen und Erkenntnissen teilhaben. Man wird mitgenommen in die Kläranlage, wo es tönt und stinkt, oder auf ein Gräberfeld, wo vor 5000 Jahren ein verkrüppeltes Kind bestattet wurde. «Kopf voran» berichtet dabei nicht nur über die wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern auch über die Menschen, die Forscherinnen und Forscher, die sich leidenschaftlich damit befassen.
Ist das revolutionär? Nein, ist es nicht. Aber es ist interessant. Und für SRF 2 Kultur ist es ein Anfang. Das Revolutionärste (für SRF 2 Kultur-Verhältnisse) ist vielleicht, dass die Moderatoren nicht Schriftdeutsch sprechen, sondern Dialekt. Mag sein, dass sich der Podcast auf diese Weise ein neues Publikum erschliessen kann, mir persönlich gefällt es nicht. Der Dialekt ist mir für naturwissenschaftliche Erklärungen zu langsam und zu schwerfällig. Dass die Interviewpartner sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, das ist ok, die Moderation könnte von mir aus aber Hochdeutsch sein. Aber vielleicht sieht das Publikum das anders – und der Köder muss bekanntlich vor allem dem Fisch schmecken. Davon abgesehen macht es Spass, die Reporterinnen und Reporter beim Eintauchen in die Welt der Wissenschaft zu begleiten (selbst wenn es sich dabei um eine Kläranlage handelt). Als Hörer kann man auf diese Weise nicht nur am Wissen der Wissenschaftler teilhaben, sondern auch an ihren Gefühlen. Mir gefällt deshalb das neue Format.
Vermutlich ist «Kopf voran» aber nicht nur für die Hörerinnen und Hörer wichtig, sondern auch für SRF 2 Kultur: Es ist für den Kultursender wichtig, sich an neue Formen zu wagen und sich ein neues Publikum zu erschliessen. Expertise gibt es im Haus ja genug. Denkt bloss nicht zu lange darüber nach und verschwendet lange Zeit mit Konzepten. Internet, das ist Ausprobieren, Anpassen, Weiterentwickeln. Internet – das ist Kopf voran.
Sendungsseite: https://www.srf.ch/kopfvoran
Podcast-Link: https://www.srf.ch/feed/podcast/sd/edfc185c-6f96-4d10-9d2c-a25cd4204dd0.xml
Basel, 18. Februar 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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