So funktioniert die Alternative zu Twitter

Publiziert am 28. April 2022 von Matthias Zehnder

Elon Musk hat Twitter gekauft. 44 Milliarden Dollar zahlt der reichste Mann der Welt für den Kurznachrichtendienst. Nach Abschluss des Deals will Musk Twitter von der Börse nehmen und als (sein) privates Unternehmen weiterführen. Er selbst sagt, dass er auf diese Weise etwas für die Redefreiheit tun wolle. Musk will Twitters Empfehlungs-Algorithmus offenlegen, Spam-Bots stillegen und weniger Menschen auf Twitter blockieren. Vermutlich bedeutet das, dass Donald Trump auf Twitter zurückkehren kann. Musk findet offenbar, wenn er Raumschiffe ins All schiessen kann, sei es ein Klacks, ein soziales Netzwerk zu führen. Ich zeige Ihnen deshalb heute eine (leider) noch wenig bekannte Alternative zu Twitter: Mastodon bietet eine ähnliche Funktionalität, gehört aber nicht einer Firma, ist quelloffen und kommt ohne Werbung und deshalb ohne sortierenden Algorithmus aus.

Wenn sich Elon Musk da nur nicht übernimmt. In der Vergangenheit war es für Twitter eine schwierige Gratwanderung, einerseits möglichst freie Rede zuzulassen und andererseits den Gesetzen (weltweit) Genüge zu tun. Trump ist ja nicht gesperrt worden, weil seine politischen Äusserungen jemandem nicht gepasst haben, sondern weil er zum Sturz der Regierung und zum Sturm auf das Kapitol aufgerufen hat. Dazu kommt: Elon Musk scheint nicht zu begreifen, dass Freiheit, die von einem Alleinherrscher gewährt wird, wie das im Fall von ihm als Alleinbesitzer von Twitter der Fall ist, keine Freiheit ist. Netzaktivisten rufen deshalb schon länger dazu auf, soziale Netzwerke zu vergemeinschaften. Das bedeutet, dass die Netzwerke nicht einer einzigen Firma gehören, sondern so etwas sind wie digitale Allmend, die von vielen betreut wird. Das ist keine spinnige Zukunftsvision, sondern technisch bereits möglich: Es gibt eine Alternative zu Twitter namens «Mastodon», die genau so funktioniert.

Wie Twitter ist Mastodon ein so genannter Mikroblogging-Dienst: Er ermöglicht das Teilen von kurzen Botschaften, Bildern und Videos. Bei Mastodon kann eine Nachricht maximal 500 Zeichen enthalten. Bei Twitter sind es maximal 280 Zeichen. Anders als Twitter arbeitet Mastodon aber nicht mit einem zentralen Server, sondern ist als dezentrales Netzwerk konzipiert und besteht aus vielen verschiedenen Servern. Diese so genannten Mastodon-Instanzen werden von Firmen, Vereinen oder von Privatpersonen eigenverantwortlich betrieben und tauschen untereinander Informationen aus. Die dafür nötige Software steht quelloffen frei im Internet zur Verfügung. Wer den Dienst anbieten oder nutzen möchte, muss also nicht nur nichts bezahlen, er kann auch unter die «Kühlerhaube» des Programms gucken und schauen, wie der Algorithmus von Mastodon funktioniert.

Bei Twitter heissen die Botschaften «Tweets», bei Mastodon sind es «Toots» (oder auf Deutsch «Trööts»). Wie bei Twitter kann man als Nutzer einen Toot eines anderen Nutzers liken, kommentieren und teilen. Anders als bei Twitter gibt es aber keine Mastodon-Zentrale. Mastodon funktioniert also eher wie E-Mail: Da gibt es auch keine Postzentrale, es gibt verschiedene Mailserver, Man muss also nicht nur den Mailnamen eines Menschen kennen, sondern auch seine Maildomäne. Also etwa: Franz.Beispiel@postserver.ch So ähnlich ist das bei Mastodon: Man muss nicht nur den Mastodon-Nutzernamen kennen, sondern auch die Instanz, wo der Nutzer angemeldet ist. Meine Mastoden-Adresse zum Beispiel lautet @mattzehn@indieweb.social – ich heisse also «mattzehn» und habe mich auf der Mastodon-Instanz «Indieweb.social» eingeschrieben. Bei Twitter ist das anders: Da haben alle Nutzer eine @Twitter-Adresse. Meine Twitteradresse zum Beispiel lautet @mattzehn – Sie finden mich unter https://twitter.com/mattzehn

Auf den ersten Blick ist es deshalb etwas komplizierter, sich auf Mastodon einzuschreiben: Sie müssen sich zuerst eine entsprechende Instanz auswählen. Ein Verzeichnis von Mastodon-Instanzen finden Sie hier: https://joinmastodon.org/communities

Sie klicken bei einer der Instanzen auf «Beitreten» und füllen das entsprechende Formular aus. Das heisst: Sie geben sich einen Nutzernamen, wählen ein Passwort und hinterlassen eine Mailadresse. Dahin schickt Ihnen Mastodon ein Bestätigungsmail. Wenn Sie Ihre Mailanschrift bestätigt haben, kann es schon losgehen. 

Der Vorteil von Mastodon ist die verteilte Infrastruktur: Wer auf Mastodon publiziert, ist nicht abhängig von einer Firma im Silicon Valley – und nicht den einsamen Entscheiden eines Elon Musk ausgeliefert. Der Nachteil von Mastodon ist die Zahl der Nutzer: Twitter ist viel grösser und dürfte das noch eine ganze Weile bleiben. Es sei denn, Elon Musk verwandle Twitter schneller, als vielen lieb ist, in einen Onlineort, wo es vielen Menschen nicht mehr wohl ist.

Wie bei Twitter gibt es auf Mastodon eine Homepage. Da sind die Nachrichten aller Menschen zu sehen, denen man folgt. Darüber hinaus gibt es, anders als bei Twitter, noch weitere Möglichkeiten, Postings zu sehen. Unter «Lokal» (oder «local») sind die Nachrichten aller Trööter zu sehen, die auf derselben Instanz angemeldet sind. Unter «Föderation» sind alle Nachrichten zu sehen, die in allen Instanzen verfasst werden, die mit der eigenen Instanz verbunden sind. Diese Verbindung kommt zustande, wenn ein Account einer Instanz einem Account einer anderen Instanz folgt. 

Anders als bei Twitter oder bei Facebook gibt es bei Mastodon keinen ordnenden Algorithmus. Sie sehen also die Nachrichten in genau der Reihenfolge, wie wie auch verfasst werden. Eine Sortierung, die für mehr Aufmerksamkeit oder Interaktionen sorgt, findet nicht statt. Anders als Twitter und Facebook soll auf Mastodon ja auch keine Werbung verkauft werden…

Natürlich spielt auch und gerade bei den Sozialen Netzwerken der Netzwerkeffekt: Die Nützlichkeit eines Netzwerks wächst exponentiell mit der Zahl seiner Nutzer. Es braucht deshalb sehr viel, bis die Nutzerinnen und Nutzer ein Netzwerk verlassen – ob WhatsApp, Facebook oder eben Twitter, allen Kritiken zum Trotz werden die Netzwerke immer noch genutzt. Und doch kommt es vor, dass ein Dienst seinen Zenit erreicht und dann abstürzt. So geschehen ist das bei Tumblr, Flickr und bei MySpace – vielleicht passiert dasselbe irgendwann auch mit Facebook, Instagram oder Twitter. 

So oder so: Mastodon zeigt schon heute, wie ein fairer ausgestaltetes und offen gehaltenes soziales Netzwerk aussehen könnte. Ein Versuch wäre es zumindest wert. Oder?

Basel, 28. April 2022, mz@matthiaszehnder.ch

Matthias Zehnders «Leben digital» hilft Powerusern, Selbstständigen und KMUs, mit konkreten Tipps und Tricks das digitale Leben besser zu bewältigen, damit sie mehr Zeit und Energie für jene Dinge (und Menschen) aufwenden können, die ihnen lieb und wichtig sind.

Bild: © stock.adobe.com

2 Kommentare zu "So funktioniert die Alternative zu Twitter"

    1. Danke für die Frage, das ist ein spannender Aspekt. Mastodon wird ja auf vielen kleinen, lokalen Servern betrieben, den Instanzen. Wie bei E-Mail gibt es also eine gemeinsame Technik, aber viele lokale Hosts. Diese Instanzen unterliegen dem lokalen Recht und müssen dafür sorgen, dass ihr Angebot der Rechtsprechung vor Ort genügt. Darüber hinaus können sie für ihre Instanz Regeln definieren, die der Benutzer einhalten muss. Die lokale Präsenz ist dabei wohl der entscheidende Vorteil auch bei einem Gesetzesverstoss: Gegen eine Firma im Silicon Valley rechtlich vorzugehen, ist teuer, aufwendig und oft aussichtslos. Ganz anders sieht das bei den lokalen Instanzen aus: Die werden von kleinen, lokalen Firmen oder Institutionen betrieben, sind juristisch greifbar und unterliegen dem lokalen Recht.

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