Aufmerksamkeit kontra Vertrauen
Nach dem Suizid von Swisscom-Chef Carsten Schloter wusste eine ganze Reihe von Journalisten sofort, warum Schloter sich umgebracht hatte: Burnout. Allenthalben tauchten Zitate aus Interviews auf, die beweisen sollten, dass der Swisscom-Chef nicht mehr weiter wusste und ausgebrannt war. Freihändig stellten Medien die Diagnose Burnout, suchten die Ursache im sich beständig schneller drehenden Wirtschaftsleben und setzten die Verben dazu nicht einmal in den Konjunktiv. Dazu gab es Interviews mit Spezialisten zu Depression und Managerkrankheiten wie dieses hier. Heute ist bekannt geworden, dass Schloter einen Abschiedsbrief hinterlassen hat. Offenbar hat er die Trennung von seinen Kindern nicht verdaut. Die Ursache für den Suizid (wenn es den eine einzige Ursache gibt) scheint eher im Privatleben zu suchen zu sein.
Die Medien haben sich geirrt. Das sagt allerdings niemand. Sie krebsen auch nicht zurück. Es wird einfach die nächste Nachricht in die Welt posaunt. Mit derselben Selbstverständlichkeit wie die letzte und natürlich im Indikativ. Es gibt keine andere Branche, die mit eigenen Fehlleistungen so locker umgeht.
Dabei hätten es gerade die Medien nötig, Sorgfalt an den Tag zu legen. Denn die Medien leben von der Aufmerksamkeit ihres Publikums — und vom Vertrauen, das ihnen das Publikum schenkt. Das Problem ist nur: Aufmerksamkeit und Vertrauen sind nicht Schwestern, sondern zwei paar Stiefel. Manchmal sind es Gegensätze. Wer viel Aufmerksamkeit will, muss sich aus dem Fenster lehnen. Das geht meist auf Kosten des Vertrauens. Medien haben also die Wahl: Entweder viel Aufmerksamkeit oder viel Vertrauen. Es ist das typische Dilemma zwischen einem kurzfristigen und einem langfristigen Ziel. Und wie die meisten menschen setzen Journalisten in der Regel auf das falsche Pferd.