Wenn Radio selbst zu Kultur wird

Publiziert am 19. Juli 2016 von Matthias Zehnder

Der Abbruch des Radiostudios auf dem Bruderholz in Basel rückt näher und plötzlich wird den Baslern bewusst, dass in diesem Studio nicht nur von Kultur berichtet worden ist, sondern dass in diesem Studio auch viel Kultur entstanden ist: Radiokultur nämlich.

Beim Bahnhof Basel SBB klafft gleich neben den Gleisen ein riesiges Loch im Boden. Man könnte darin sicher ein ganzes Fussballfeld versorgen, samt Spielern, Fans und Catering. In diesem Loch entsteht das «Meret Oppenheim-Hochhaus», das künftig die Studios und Büros von SRF Kultur beheimaten wird. 250 Arbeitsplätze sollen hier konzentriert werden. Dieses mediale Kulturzentrum könnte, fast mehr noch als das Kunstmuseum Basel, die Fondation Beyeler oder das Theater dazu beitragen, Basel zur Kulturhauptstadt der Schweiz zu machen.

Wobei sich natürlich fragt, von welcher Kultur wir da reden. Wenn man die Programminhalte zum Massstab nimmt, dann ist der Kulturbegriff erfreulich breit und umfasst heute Hochkultur und Jugendkultur, einheimisches Schaffen und fremde Kulturen, Wissenschaft und Religion, gesetztes Parlando und fetzig-lautes Poetry Slammen. Eine Kultur vergessen Öffentlichkeit und Politiker dabei gerne: die Radio- und Fernsehkultur selbst. Ich meine damit nicht die Produktion von Kultur im engeren Sinn, also den «Bestatter» oder den «Gotthard»-Zweiteiler. Ich meine die alltägliche Präsenz im Äther – pardon: in der Glasfaser.

Jetzt, wo der Abbruch des alten Studios auf dem Bruderholz näher rückt, tauchen viele Erinnerungen auf an das, was im Haus zwischen den Birken auf dem Hügel alles geschaffen worden ist. Die Radiohitparade zum Beispiel. Hörspiele. «Sounds» und «Virus». Und wer da alles am Mikrofon war, von Mäni Weber und Heidi Abel über Peter Richner und Hilde Thalmann bis Christoph Schwegler und François «FM» Mürner.*

Bloss seltsam, dass diese Radiokultur uns erst aus historischer Distanz als Kultur erscheint. Mit dem Abriss des Studios wird uns bewusst, wie wertvoll und einzigartig vieles davon ist, was darin geschaffen wurde. Schade, tritt das der Öffentlichkeit erst im Rückblick ins Bewusstsein. Hat es mit einem nostalgisch verklärten Blick zu tun? Mit der historischen Distanz?

Vielleicht. Sicher ist: Die Gegenwart bietet Radiokultur auch ohne Histörchen. Vielleicht ist es tatsächlich schwieriger, in der Gegenwart und ohne historische Distanz sich der kulturellen Radioleistung von «Rendezvous» bis «Echo» und von der «Schnabelweid» bis zu «Kontext» bewusst zu werden. Ein Blick in das grosse Loch in Basel mag dabei helfen: Man stelle sich nur vor, es bleibe, dieses Loch und alles, was im «Meret Oppenheim-Hochhaus» künftig stattfinden soll, würde verschluckt von diesem Loch hinter den Gleisen. Schlimm, oder?

Das Bewusstsein, dass auch das Radio (und Fernsehen und Internet) der Gegenwart Kultur ist, hilft vielleicht, gegenüber Politikern und der Öffentlichkeit selbstbewusster aufzutreten. Gleichzeitig könnte das ein Ziel des künftigen SRF-Kulturzentrums in Basel sein: nicht nur über die Schweizer Kulturszene zu berichten, sondern, ganz bewusst, selbst ein Teil dieser Kulturszene zu werden.

Matthias Zehnder ist Vorstandsmitglied der SRG Region Basel und freischaffender Publizist und Medienwissenschaftler. www.matthiaszehnder.ch

*Zum 90. Geburtstag hat die SRG Region Basel ein Teil dieser Radiolegenden wieder vor dem Mikrophon versammelt und mit ihnen in Radiogeschichte geschwelgt. Hier zum Nachhören:
https://www.srgd.ch/de/regionen/srg-region-basel/aktuelles/2016/05/11/hallo-hier-basel-zum-nachhoren/

Erschienen in «Link», dem Magazin der SRG Deutschschweiz, Ausgabe 4/2016

2016_07_19_Link

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