Der Protz
Morgen beginnt am Bundesstrafgericht in Bellinzona der Prozess gegen den Basler Börsenguru Dieter Behring. 800 Millionen Franken beträgt die Deliktsumme, die Rede ist von bis zu 2000 Geschädigten. Behring wollte einst den «genetischen Code der Börse» geknackt haben. Seinen Basler Kunden zog er Millionen aus der Tasche. Wie konnte es nur so weit kommen?
Erschienen in der «NZZ am Sonntag» vom 29. Mai 2016, Link zum Webpaper
Wenn man heute Menschen in Basel auf Dieter Behring anspricht, fallen zwei Bezeichnungen: Ein damaliges Regierungsmitglied bezeichnet ihn mit wegwerfender Geste als «Protz». Ein ehemaliger Kollege meint, er sei «ganz offensichtlich ein Scharlatan». Erstaunlich ist rückblickend, wie viele Menschen in Basel auf den «Scharlatan» hereingefallen sind. Dabei hätten sie es besser wissen können.
Dieter Behring, geboren am 27. April 1955 in Solothurn, hat nach eigenen Angaben bereits als 15-Jähriger mit Futures gehandelt. 1975, als er 20 Jahre alt war, hat er ein Computerprogramm für den automatischen Handel mit solchen Kontrakten entwickelt. Dieses Computersystem habe ab 1976 eine durchschnittliche jährliche Rendite von 58 Prozent erwirtschaftet. Warum Behring trotz der angeblich hohen Gewinne mehrmals in Konkurse verwickelt war, wollte er nie erklären.
Einer dieser Konkurse ist besonders interessant: Von 1986 bis 1990 offerierte Behring schon einmal Anlegern hohe Zinsen. Seine Kunden liess er glauben, dass sie ihr Geld in eine Versicherungspolice der französischen UAP anlegten. Bei der Versicherung traf aber nur ein kleiner Teil der Gelder ein. Statt die neuen Gelder zu investieren, verwendete er sie dazu, den bisherigen Kunden Zinsen auszubezahlen. 1990 ging er Konkurs. Man sollte meinen, ein solcher Absturz würde, zumal einem Anlageberater, den Zutritt zu honorigen Kreisen definitiv verbauen. Nicht so bei Dieter Behring.
Ende der 90er Jahre taucht er in Basel auf und bietet Anlegern wieder die Möglichkeit, fantastische Gewinne zu erzielen, diesmal dank eines unfehlbaren Computersystems: Er habe den «genetischen Code der Börse» geknackt. Mit seinem selbst entwickelten Handelssystem wolle er die Gelder seiner Anleger vermehren, wie es niemand anderes fertigbringe.
Wie kommt es, dass ihm die Basler in Scharen ihr Geld anvertrauten? «Er war so gross und so mächtig », erzählt einer der Geschädigten. «Wenn er vor mir stand, kam ich mir immer klein vor, wie ein Bub. Ich glaubte ihm.» In der Tat ist Behring gross, über zwei Meter, und ein Bär von einem Mann. Er war stets schwarz gekleidet, das verstärkte noch die Wucht seiner Wirkung. «Verstanden habe ich nie, was er mir erklärte. Aber ich habe ihm geglaubt.» Das hört man in Basel immer wieder: «Ich habe ihm geglaubt.»
Lange kann Behring vom Nimbus eines geheimnisvollen Gurus profitieren. Er wird in der guten Gesellschaft herumgereicht wie der jeweils neue Trainer des FC Basel. Behring verkehrt in den besten Restaurants und mit Basels Finest: Mit Regierenden und Rotariern, mit Ärzten und Anwälten, mit Erben und Gutbetuchten. Die Zeit ist günstig für einen Mann, der von sich sagt, das System der Börse geknackt zu haben. Im März 2000 war die «Dot-Com-Blase» geplatzt – in wenigen Wochen vernichtete die Börse rund fünf Billionen Dollar Anlagevermögen. Viele Banken hatten ihren Anlegern geraten, in die boomenden Werte der Internetökonomie zu investieren. Diese Anleger verloren viel Geld – und die Banken viel Vertrauen. Da kam ein Börsenguru, der versprach, die Börse mit Hilfe eines Computers auszutricksen, gerade recht.
Fachleute konnten seine Behauptungen nie überprüfen, Banker blieben skeptisch. Aber Behring kann den ultimativen Beweis vorlegen: Sein eigenes Vermögen in der Höhe von 430 Millionen Franken, amtlich bescheinigt von der Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt. Wenn sein Anlagesystem ihm selbst so hohe Gewinne einbringt, dann muss es ja auch bei den Kunden funktionieren, oder?
Behring wird also unter Basels Gutbetuchten herumgereicht wie eine Trophäe. Gesellschaftlich ist Basel immer noch eine mittelalterliche Stadt mit einer Mauer um die Stadt herum: Es sind vielleicht 400 oder 500 Menschen, die im Stadtkanton etwas zu sagen haben. Und die begegnen sich im Alltag immer wieder in immer neuen Rollen. Mal im Grossen Rat, mal in der FCB-Loge, mal bei der Theaterpremiere, mal im Keller der Fasnachtsclique. Ein Geheimtipp wie Dieter Behring bleibt da nicht lange geheim. Behring selbst muss sich vorgekommen sein wie der sprichwörtliche Hecht im Karpfenteich.
Er schwelgt: Laut Anklageschrift gibt Behring in dieser Zeit über 5,3 Millionen Franken für Schmuck und Uhren aus. Vor Weihnachten 2002 habe er allein an Patek Phillip fast 980’000 Franken überwiesen. Doch mit der Zeit genügt es ihm nicht mehr, bloss dabei zu sein. Er will dazu gehören. Behring kauft sich eine Bank: die Redsafe-Bank der Rentenanstalt. Es fehlt nur noch die Banklizenz und Behring gehört in Basel zur Elite. Doch die Eidgenössische Bankenkommission will von ihm Genaueres über sein Geschäftsmodell wissen. Die Banklizenz verzögerte sich.
Also versucht Behring, sich in die Basler Gesellschaft hineinzukaufen. Das mag andernorts funktionieren, in Basel geht das nicht. Jedenfalls nicht so, wie Behring es anstellt. Er kauft sich an bester Lage in der Altstadt ein Haus, das er für viele Millionen umbaut. Er lässt einen riesigen Swimming Pool einbauen, eine Grossküche und einen Tradingraum. In diesem Raum mit im Halbrund angeordneten Computern entstehen die Fotos von Dieter Behring: ein massiger schwarzer Mann mit Künstlerbrille vor einer Galerie von Bildschirmen.
In der Nähe seines Hauses kauft er für 20 Millionen Franken eine weitere Liegenschaft. Hier will er sein eigenes Kunsthaus einrichten, die «Botschaft Basel». Behring versucht, sich mit Kunst die Gunst der Stadt zu erkaufen. Doch in Basel gilt: Tue Gutes und rede nicht darüber. Begeistert ist nur die «Basler Zeitung».
In Zürich werden jetzt Journalisten misstrauisch. Der «Tages-Anzeiger» berichtet Ende März 2004 in einer Artikelserie über den Basler Financier und seine angeblichen Traumrenditen: «Die märchenhaften Gewinne des Dieter B.» lautet die Überschrift. Im Verlauf der Lektüre wird dem Leser klar: Die Gewinne gehören tatsächlich ins Reich der Märchen. Die Artikel führen dazu, dass der Entscheid der EBK über die Banklizenz sich weiter hinauszögert. Es wird eng für Dieter Behring.
Am 25. April 2004 berichtet die «Sunday Times» in London unter der Überschrift «Tycoon with taste had £42,000 dinner»: Dieter Behring, «a Basle-based businessman», habe für rund 100’000 Franken bei «Gordon Ramsay’s» gegessen. Der Basler Gesellschaft stösst die Protzerei des Parvenüs sauer auf. 100’000 Franken für Essen und Wein, und dann noch in der Zeitung? «Das macht me nyt.»
Im Oktober 2004 wird Behring verhaftet. Sein kompliziertes Firmenkonstrukt kracht zusammen. Seine Partner setzen sich von ihm ab und beschuldigen sich gegenseitig des Betrugs. Die Bundesanwaltschaft schreibt in der Anklageschrift, es habe gar nie ein Anlagesystem gegeben. Dieter Behring habe von 1998 bis 2004 eine Art Schneeballsystem betrieben, ein im «Umlageverfahren betriebenes virtuelles Scheingebilde». Damit habe er etwa 2000 Anleger geprellt. 800 Millionen Franken beträgt die Schadenssumme. Das meiste Geld ist verschwunden: Der Konkursverwalter konnte auf den Virgin Islands nur noch 1,5 Millionen Dollar beschlagnahmen.
Dieter Behring selbst sieht sich als Opfer der Bundesanwaltschaft. Weil sie eingegriffen habe, sei sein System kollabiert. Auf seiner Website schreibt Behring: «Bis zum Schluss hat dieses Trading-System ausgezeichnete und überdurchschnittliche Resultate erbracht.» Eine «unstillbare Gier» müsse einen Teil der Verantwortlichen dazu verleitet haben, «sich an den Kundengeldern zu vergreifen, um sich persönlich zu bereichern». Er bedaure die grossen Verluste der Geschädigten zutiefst, aber «auch wir haben alles verloren, was wir uns in den letzten Jahrzehnten aufgebaut hatten».
In Basel schütteln die Leute heute die Köpfe. Dieter Behring? «Ein Protz.» Sie schütteln die Köpfe und sagen: «unmeeglig!»
Erschienen in der «NZZ am Sonntag» vom 29. Mai 2016, Link zum Webpaper
Ein Kommentar zu "Der Protz"
Ich kann nur jede Zeile ihrer richtigen und wahren Worte unterstreichen.
Die Menschen können das „sich blenden lassen“ nie ganz ausschliessen. Auch die „gescheiten“ nicht. Dazu kommt des Menschen Gier. Besonders beim Geld. Können wir unserem System die „Schuld“ zuschieben, wo „Geld“ gleich Ansehen und „Rückgrat“ bedeutet? (GLP-Frau in der letzten SRF-„Arena“ über das Bedingungslose Grundeinkommen: „Ich will mein Geld selbst verdienen, ich will Erwachsen behandelt werden, ich will stolz auf mein Geld, meinen Selbstwert sein…)
Geld=Stolz, Selbstwert, Geld=EFH, Ferrari, Plasma-TV…. Da haben Schlangenölverkäufer wie der Dieter leichtes Spiel.
Dies alles sollten wir immer wieder beachten, denn wir sind Menschen. Bei unseren Entscheidungen, bei unseren „Urteilen“ ob richtig oder falsch, bei unserem Einschätzen unserer Umwelt, bei unserem Handeln. Wir sind subjektive Wesen, keine Objektiven. Dazu ändert sich der Mensch auch noch dauernd.
Dieter sollte eine rechte Strafe erhalten. Wie ein Mörder oder Killer. Nur – in der Schweiz mit ihrer Kuscheljustiz ist ein Menschenleben nicht mal mehr 10 Jahre Haft wert. Von daher, und bei braver Führung, würde es mich nicht erstaunen, Dieter in nicht mal 10 Jahren wieder irgendwo lümmelnd am Pool abgelichtet zu sehen. Ja, ja, in der Schweiz ist vieles „ver-rückt“.