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Wofür es sich zu denken lohnt
In diesem Buch denkt Ina Schmidt über das Denken nach. Das ist gar nicht so einfach. Obwohl das Denken die wohl zentrale Fähigkeit des Menschen ist, scheint genau diese Tätigkeit durchaus rätselhaft zu sein. Es ist ein innerer Prozess, in dem wir Informationen, Erinnerungen, Fragestellungen und Wahrnehmungen so zu verarbeiten versuchen, dass daraus eine sinnvolle Einsicht entsteht. Dabei kommt es offenbar sehr darauf an, nicht nur, dass wir denken, sondern auch, welche Gedanken wir uns warum machen und welche nicht. Besondere Aufmerksamkeit bekommedas Denken meist erst dann, «wenn wir uns Sorgen machen, nicht mehr sicher sind, was wir gerade denken sollen oder wollen. In Zeiten der Unsicherheit, wenn wir in dem, was wir tun, innehalten, Gewohnheiten verändern oder unserem Leben eine neue Richtung geben müssen – wenn wir auf etwas treffen, das uns stört, ärgert, verwirrt, neugierig macht oder erstaunt. Zeiten wie diesen», schreibt Ina Schmidt.
Ihr Nachdenken beginnt sie mit dem Nachdenken darüber, was unsichere Zeiten eigentlich sind: «Sind diese Zeiten für alle unsicher oder nur für einige Menschen, und was entscheidet am Ende darüber, wann wir uns warum verunsichern lassen?» Immer mehr Menschen fühlen sich nicht mehr nur erschöpft, sondern ohnmächtig, haben Zukunftsängste und sind überfordert. «Unsicherheit ist in diesem Zuviel die Folge eines Mangels: entweder an Gewissheit, Information, an Kompetenz oder an Vertrauen in das, was kommt.»
Das Buch ist der persönliche Versuch von Ina Schmidt, im Denken tastend, suchend, experimentierend unterwegs zu sein. Es ist ein Versuch im Denken selbst. Es geht also nicht um das Erklären des Denkens, es geht weder um Neurowissenschaften, noch um Biologie. Es geht um das Denken selbst: was es bedeutet, wie es sich anfühlt, wie man es macht.

Ina Schmidt referiert nicht Philosophiegeschichte, sondern regt zu eigenem Denken an. Dabei knüpft sie aber an zwei wichtige Positionen an: an das «Sapere aude!» von Immanuel Kant, den Aufruf also, den Mut aufzubringen, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, und das «Cogito ergo sum» von René Descartes, der mit seinem Satz «Ich denke, also bin ich» klar machte, dass das Denken erst zur Existenz des Menschen führt.
Im ersten Teil nimmt Ina Schmidt eine Bestandsaufnahme vor: Es geht um das Denken selbst. Es gehe dabei um mehr als ein «analytisches Aneinanderreihen von Zahlen, Daten und Fakten, die in Theorien, Bilanzen und Tabellen zum Ausdruck kommen». Das reflexive Denken lehre uns, «all das, was in der Welt zu sehen und zu hören, zu erleben und zu erfahren ist, für sich zu deuten». Im zweiten Teil geht es deshalb darum, Fragen zu stellen, Behauptungen zu überprüfen und Begrifflichkeit zu klären. Im dritten Teil geht es um die Folgen, die ein solches Denken hat, wenn wir uns also mit einem gelingenden Denken einrichten können in einer mobil und flüchtig gewordenen Welt, indem wir vertraute Denkgewohnheiten verändern oder aufgeben. Am Ende stellt Ina Schmidt die Ausgangsfrage noch einmal: Wofür das alles? Und wagt die These, dass das Denken zwar eine ziemlich aufreibende Angelegenheit sein kann, es aber am Ende «Inspiration und Hoffnung lebendig hält, Beziehungen stiftet und Verbundenheit zum Ausdruck bringt – und damit sogar mitten in diesen unsicheren Zeiten eine Quelle des Glücks sein kann».
Ina Schmidt zeigt mit ihrem Buch auf anregende Art und Weise, das Philosophie in erster Linie eine Tätigkeit ist. Und sie macht Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Ina Schmidt: Wofür es sich zu denken lohnt. Ein philosophischer Wegweiser für unsichere Zeiten. Rowohlt, 256 Seiten, 26.50 Franken; ISBN 978-3-499-01649-3
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783499016493
Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps finden Sie hier: https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/
Basel, 10.07.2025, Matthias Zehnder
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