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Wie man Mensch wird

Publiziert am 21. September 2023 von Matthias Zehnder

Das lateinische Wort «Humanitas» kann «Menschlichkeit» oder «Bildung» bedeuten. Für Cicero war Humanitas eine erzieherische und kulturelle Idee, die auf die Förderung der Tugenden und Kenntnisse abzielte, die einen idealen Bürger ausmachen. Im Mittelalter wurde daraus eine neue Bildungsbewegung. Ihre Anhänger, die «Humanisten», spielten eine Schlüsselrolle bei Aufklärung und der Entwicklung der Wissenschaft und der Kunst. Es ist denn auch diese Idee, welche religiöse, nichtreligiöse, philosophische, praktische und Geisteswissenschaften lehrende Humanisten miteinander verbindet: Sie alle haben die menschliche Dimension des Lebens im Blick. Und was macht dieses Menschliche aus? Dieser Frage geht Sarah Bakewell in ihrem Buch nach. Es liege wohl, schreibt sie, «irgendwo zwischen dem physischen Reich der Materie und einer wie auch immer vorstellbaren rein spirituellen oder göttlichen Sphäre». Humanisten rücken also den Menschen in den Mittelpunkt. Darin klingt der Satz des griechischen Philosophen Protagoras an, der vor zweieinhalbtausend Jahren schrieb: «Der Mensch ist das Mass aller Dinge.» Das ist nicht überheblich gemeint, im Gegenteil: «Wir können es so verstehen, dass wir als Menschen unsere Wirklichkeit auf eine menschlich geprägte Weise erleben», schreibt Bakewell.

Vor 700 Jahren kam die unverschämte Idee auf, dass der Mensch im Kern gut und frei ist und dass er auf der Suche nach Glück allein mit dem Kompass der Vernunft durch stürmische Zeiten steuern kann. In ihrem Buch führt uns Sarah Bakewell an die Quellen dieser Idee und macht uns bekannt mit den italienischen Humanisten. Sie beschreibt, wie inspirierend deren Neugierde, Forschergeist und Optimismus bis in die Gegenwart gewirkt haben, trotz aller Anfeindungen durch Theologen, Tyrannen und Ideologen.

Ihr Buch setzt im 14. Jahrhundert mit Petrarca und Giovanni Boccaccio ein, dem Geschichtenerzähler und Gelehrten. Weitere Meilensteine sind Pico della Mirandola, Leon Battista Alberti und das menschliche Mass und Girolamo Savonarola. Im 16. Jahrhundert wechselt die Erzählung auf die Alpennordseite zu Conrad Celtis, Rudolf Agricola und Erasmus von Rotterdam sowie Michel de Montaigne. Im 17. Jahrhundert folgen die Aufklärer: Voltaire und Denis Diderot, Thomas Paine und David Hume. Es ist ein spannender Streifzug durch die Philosophie- und Geistesgeschichte. Bakewell streift auch Wilhelm von Humboldt und seine Bildungsideale und John Stuart Mill und seine Philosophie der Nützlichkeit oder Bertrand Russell und seine energische Mathematik. Ein wichtiges Thema ist ab dem 20. Jahrhundert der Antihumanismus. Mir wurde bei der Lektüre dieses wunderbaren Rundgangs durch die Geschichte des Humanismus bewusst, wie sehr wir das freie Denken, die Forschung und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft brauchen.

Sarah Bakewell: Wie man Mensch wird. Auf den Spuren der Humanisten. C.H. Beck, 496 Seiten, 44.50 Franken; ISBN 978-3-406-80550-9

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783406805509

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