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Wie Demokratien sterben

Publiziert am 18. September 2018 von Matthias Zehnder

Den Tod einer Demokratie stellt man sich laut vor: eingeleitet von Panzern und Granaten, begleitet von Gewehrsalven und dem Geräusch von Stiefeln auf dem Pflaster. Die beiden Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt zeigen in ihrem Buch, dass Demokratien auch langsam und ganz leise sterben können. Manchmal bringen ihr nicht schwere Waffen den Tod, sondern Worte, auf Papier und Twitter oder gesprochen an Veranstaltungen. Denn Demokratien können nicht nur von Militärs und Terroristen zu Fall gebracht werden, sondern auch von ihren gewählten Führern. Hitler zum Beispiel hat die Macht nicht illegal an sich gerissen, sondern über Abstimmungen im Reichstag. Manchmal erodieren Demokratien auch langsam und in kaum merklichen Schritten und eines Tages sind sie weg. So war es in der Türkei, in Polen, in Ungarn – und auf diesem Weg befinden sich auch die USA.

Levitsky und Ziblatt zeigen in ihrem Buch, woran wir erkennen, dass demokratische Institutionen und Prozesse ausgehöhlt werden. Und sie sagen, an welchen Punkten wir eingreifen können. Denn mit gezielter Gegenwehr lässt sich die Demokratie (vielleicht) retten. Dafür haben Levitsky und Ziblatt einen eigentlichen «Autokraten-Lackmustest» entworfen. Bisher waren amerikanische Präsidenten weit weg davon, in diesem Test auch nur einen Punkt zu holen. Für Donald Trump ergibt der Test gleich in allen vier Punkten ein positives Ergebnis. Das erste Merkmal ist eine schwache Zustimmung zu demokratischen Spielregeln. Das zweite Kriterium ist es, politischen Gegnern die Legitimität abzusprechen. Autoritäre Politiker verunglimpfen ihre Rivalen als kriminell, subversiv, unpatriotisch oder brandmarken sie als Gefahr für die nationale Sicherheit oder die bestehende Lebensweise, schreiben Levitsky und Ziblatt. Das dritte Kriterium ist das Tolerieren oder gar das Ermutigen zu Gewalt. Trump erfüllt auch diesen Punkt. Das letzte Warnzeichen des Demokratie-Lackmustests schliesslich ist die Bereitschaft, bürgerliche Freiheiten von Konkurrenten und Kritikern zu beschneiden. Zu den Merkmalen, die heutige Autokraten von demokratischen Führern unterscheiden, gehören ihre Intoleranz gegenüber Kritik und ihre Bereitschaft, gewaltsam gegen diejenigen – in der Opposition, den Medien und der Zivilgesellschaft – vorzugehen, die sie zu kritisieren wagen, schreiben Levitsky und Ziblatt. Es muss kaum betont werden, dass Donald Trump genau diese Intoleranz gegenüber Kritik auszeichnet. Donald Trump ist also eine ernste Gefahr für die Demokratie und das nicht nur in Amerika. Autokraten auf der ganzen Welt fühlen sich durch seinen Einzug ins Weisse Haus gestärkt. Als zentrale Werte der Demokratie isolieren die beiden Autoren zwei Normen, die man immer für selbstverständlich gehalten hat: gegenseitige Achtung und institutionelle Zurückhaltung. In jeder Demokratie gibt es ein Einvernehmen über das angemessene Verhalten. Diese Verfahrenswerte erachten Levitsky und Ziblatt als ebenso wichtig wie die Inhalte, die in der Verfassung stehen. Und genau diese Verfahrenswerte wie die gegenseitige Achtung sind, nicht nur in den USA, unter Druck wie nie. Ein spannendes Buch, das einem bewusst macht, dass die westlichen Demokratien keine Selbstverständlichkeit sind, sondern fragil und kostbar. Bloss schade, hält die Sprache der Übersetzung nicht mit der Qualität des Inhalts Schritt. Trotzdem: Lesen!

Steven Levitsky, Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben und was wir dagegen tun können. DVA, 320 Seiten, 31.90 Franken; ISBN 978-3-421-04810-3

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783421048103

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Buchtipp zum Wochenkommentar vom 14. September 2018: Informationssouveränität statt Ernährungssouveränität

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

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