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Wespen. Eine Versöhnung

Publiziert am 3. August 2023 von Matthias Zehnder

Sie sehen sich sehr ähnlich, doch ihr Ruf könnte unterschiedlicher nicht sein: Während Bienen als nützlich und fleissig gelten, sind Wespen als Räuber und Angreifer bekannt. Bienen bieten Honig – und Wespen? Seirian Sumner schreibt in ihrem Buch über Wespen, dass wir viel zu voreilig über Wespen urteilen. Der Grund dafür ist oft Halbwissen. Wespen werden als gefährlich und nutzlos wahrgenommen, dabei spielen sie eine wichtige Rolle in unserem Ökosystem. Mit ihrem Buch über Wespen hat sich Seirian Sumner vorgenommen, den Ruf der Wespen zu retten. Sie hat sich früh in ihrer Forscherinnenkarriere in Wespen verliebt und stört sich daran, dass Wespen in der öffentlichen Wahrnehmung viel schlechter wegkommen als Bienen, obwohl Wespen eine riesige Artenvielfalt aufweisen und wichtige ökologische und wirtschaftliche Funktionen erfüllen. Dabei gäbe es Bienen (und Ameisen) ohne Wespen gar nicht: Die Wespen sind die Vorfahren von Bienen und Ameisen. Sie sind effektive Schädlingsbekämpfer und könnten eine nachhaltige Alternative zur chemischen Schädlingskontrolle in der Landwirtschaft sein. Auch als Bestäuber spielen Wespen eine wichtige Rolle. Mit ihrem Buch will Seirian Sumner deshalb «die Waage ins Gleichgewicht bringen, den Wespen einen Platz an der Wertschätzungstafel der Natur bieten und den makabren Ekel, den Menschen gegenüber Wespen empfinden, in die Faszination verwandeln, die den Wespen zusteht.»

Dabei bekommen auch die Bienen ihr Fett weg: Bienen, sagt Seirian Sumner, seien schlicht «Wespen, die vergessen haben, wie man jagt». Die Urbiene sei eine «solitäre Wespe, die zur Vegetarierin wurde, indem sie fleischliche durch pflanzliche Proteine – Pollen – ersetzte und damit die anhaltende evolutionäre Beziehung der Bienen zu den Pflanzen einleitete». Wespen seien «Zeitmaschinen, die uns die evolutionären Geheimnisse einer der komplexesten Spezies dieser Erde» enthüllen. Mindestens hunderttausend Wespenarten sind heute bekannt und beschrieben. Sumner geht davon aus, dass «noch mehrere Millionen nicht beschriebener Arten» nur darauf warten, systematisiert zu werden.

Ein Grund dafür, warum wir Bienen lieben und vor Wespen die Flucht ergreifen, ist die Literatur: Schon beim griechischen Dichter Aristophanes spielten Wespen vor 2500 Jahren die Rolle der stechenden Bösewichte. Seitdem sind sie diese Rolle nicht mehr losgeworden. Und tatsächlich gibt es Wespen, die der Fantasie von Science-Fiction-Autoren entsprungen zu sein scheinen. Zum Beispiel eine tropische Wegwespenart, die die Grösse eines kleinen Vogels erreicht. «Das hubschrauberartige Brummen ihrer Flügel hört man schon von Weitem», schreibt Sumner. Das Gift der Wespe ist eines der stärksten Insektengifte überhaupt. Es lähmt jede noch so grosse Vogelspinne. Auch wer kaum etwas über Wespen weiss, bringt Wespen immer mit einem in Verbindung: mit einem Stachel voller Gift.

«Wir haben gelernt, Wespen zu hassen, weil es uns so beigebracht wurde, von unseren Eltern und Verwandten, von Lehrern, den Medien in Literatur und Unterhaltung», schreibt Sumner. Auch die Wissenschaft trägt ihren Teil zum schlechten Ruf der Wespe bei: «In den letzten 30 Jahren wurden dreimal mehr Forschungsarbeiten über Bienen veröffentlicht als über Wespen, und auf wissenschaftlichen Symposien übersteigt die Zahl der Vorträge über Bienen die über Wespen um das Vierfache.»

Dabei gäbe es allen Grund, sich näher mit Wespen zu beschäftigen. Denn ein Wespennest ist ein Superorganismus, der aus mehreren tausend Insekten besteht, die zusammen eine koordinierte, synergetische Einheit bilden. Königin, Wächterinnen, Arbeiterinnen, Ammen, Jägerinnen – sie sind alle voneinander abhängig. Interessanterweise haben sich diese Superorganismen aus kleineren Familien entwickelt. Zwar haben auch soziale Bienen, Ameisen und Termiten Gemeinschaften entwickelt (zusammengenommen machen soziale Insekten nicht weniger als 75 Prozent der weltweiten Insektenbiomasse aus). Aber, so Sumner: «Wespen können die Geschichte der Sozialität besser erzählen als Ameisen und Bienen.»

Und als wäre das nicht schon Grund genug, sich näher mit Wespen zu beschäftigen, zählt Sumner die Leistungen auf, die Wespen für uns erbringen: Sie sind Räuber, Bestäuber, Zersetzer und Samenverbreiter. Sie liefern uns Nahrung und Medikamente. Sie sind Indikatoren für die Gesundheit der Umwelt. «Je genauer man hinsieht, desto deutlicher wird, dass Wespen ein natürliches Gut von unschätzbarem Wert sind», schreibt Sumner. Sie folgert daraus: «In der vereinten Welt von Mensch und Natur haben sie einen höheren Stellenwert verdient.» Nach Lektüre ihres Buches kann man ihr darin nur zustimmen.

Seirian Sumner: Wespen. Eine Versöhnung. HarperCollins, 432 Seiten, 33.90 Franken; ISBN 978-3-7499-0208-8

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783749902088

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