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Was Populisten wollen
Populisten haben Aufwind in Europa. Das liegt auch an der Art und Weise, wie Medien heute funktionieren (ich habe das in meinem Buch «Die Aufmerksamkeitsfalle» ausführlich beschrieben). Mit Populisten umzugehen, ist nicht einfach. Denn «Populismus ist nicht ‹Faschismus light›», schreibt Marcel Lewandowsky in seinem klugen Buch über Populisten. Es gebe einen wesentlichen Unterschied: «Populismus stellt sich –zumindest vordergründig –nicht gegen die Demokratie, sondern will sie verteidigen. Nach Ansicht der Populisten wird die Demokratie durch die politischen Eliten abgeschafft; sie selbst jedoch treten an, sie zu retten.» Allerdings vertreten Populisten dabei eine Vorstellung von Demokratie, die unseren liberalen Verfassungsstaaten in vielerlei Hinsicht widerspricht. Trotzdem präsentieren sie sich als die wahren Demokraten im Land. Warum sind sie dennoch so erfolgreich? Lewandowsky schreibt: «Die Parteien und Bewegungen, die als populistisch gelten –etwa die AfD, der Rassemblement National in Frankreich oder die Schweizerische Volkspartei (SVP) –, leben davon, dass sie sich inhaltlich von allen anderen Parteien unterscheiden. Und sie werden gewählt, weil diese Inhalte gefragt sind.»
Was sind diese Inhalte? Eigentlich sollten sich diese Parteien, die alle auch nationalistische Ziele haben, voneinander doch stark unterscheiden. Lewandowsky nennt als Gemeinsamkeit das Gefühl, das sie adressieren: «Dass man nichts mehr sagen dürfe, dass ‹die da oben› allen, die die ‹Wahrheit› sagen, den Mund verbieten». Den Eindruck hätten tatsächlich viele. Das sei ein «reales Gefühl der Hilflosigkeit, der Ohnmacht, aber auch des Im-Recht-Seins. Es ist kein Grummeln über Politik, sondern eine tiefe Unzufriedenheit, verbunden mit dem Wunsch nach Kontrolle. Nach Widerstand. Nach Befreiung von den Zwängen, die eine abgehobene politische Klasse und die sie tragenden Milieus in der Gesellschaft den ‹normalen Menschen› auferlegt haben.» Diese «Klasse Politique», wie sie die SVP in der Schweiz verächtlich nennt (obwohl ihre Exponenten genauso dazugehören), sie regiere bis ins «Privateste, bis in den Körper hinein». Sie wolle zur Impfung zwingen, verdamme bestimmte Lebensstile zum vermeintlichen Schutz des Klimas. «Viele sind davon überzeugt: Die linken Eliten haben eine moralische Knechtschaft errichtet.»
Populisten beschreiben die Welt so, wie ihre Anhänger sie oftmals sehen und wie sie sich selbst in dieser Welt wahrnehmen: Als Teil einer schweigenden Mehrheit, die nichts mehr zu sagen hat. Und sie «bieten ihnen die Antworten, auf die sie warten», schreibt Lewandowsky. «Populisten kreieren eine Schicksalsgemeinschaft. Das haben sie den anderen Parteien, die sich der Loyalität ihrer Stammwähler immer weniger gewiss sein können, voraus.» Auch wenn sie unterschiedlichen Ideologien folgen, haben all die Parteien von der AfD bis zur SVP und ihre Politiker eines gemeinsam: «das populistische Prinzip des ‹Wir-hier-unten gegen Die-da-oben›. Sie nehmen für sich in Anspruch, für das ‹wahre Volk› zu sprechen. Sie zeichnen das Bild einer kaputten Demokratie, die zur Beute korrupter Eliten wurde. Und sie geloben, dem Willen dieses Volkes wieder Geltung zu verschaffen.» Im Wahlkampf um das US-Präsidentenamt habe Amtsinhaber Trump 2019 ein düsteres Schwarz-Weiss-Bild seiner selbst auf Twitter geteilt und dazu geschrieben: «Sie sind nicht hinter mir her, sondern hinter euch. Ich bin nur im Weg.»
Populistische Parteien geben vor, diesem «einfachen Volk» den Weg an die Macht zu ebnen. Demokratisch ist für sie nur die Verwirklichung des «wahren», einheitlichen Volkswillens. «Alle Beschränkungen dieses Willens hingegen demonstrieren für sie einen Mangel an Demokratie, und alle gesellschaftlichen Gruppen, die sich ihm entgegensetzen, sind Feinde des Volkes.» Das kommt Schweizer Lesern bekannt vor: Etwa so argumentieren so manche Politiker der SVP. Doch jede Demokratie braucht Spielregeln, sie nennen sich «Verfassung». Das aber interessiert Populisten nicht: Für sie gilt der Volkswille absolut. Deshalb, schreibt Lewandowsky, «sind Populisten – manche mehr, manche weniger – illiberal: Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus ordnen sie dem Willen des ‹wahren› Volkes unter. In ihrem vermeintlichen Kampf um die ‹echte› Demokratie sind Politiker, (Verfassungs-)Richter und Medienvertreter Teil einer selbstsüchtigen politischen Kaste. Sie sind Schauspieler in einer Kulissendemokratie, in der sie sich ihre Pfründe sichern.»
Nur, wer wie das Volk denke, wer seine Vorstellungen von Normalität, Anstand, Moral teile, könne auch für das Volk sein. Und aus dieser gemeinsamen Identität des Volkes und seiner Vertreter können dann politische Entscheidungen erwachsen, die wirklich auf dem beruhen, was ‹die Leute› wollen. «Der Politiker muss mit dem Willen des Volkes eins sein. Und was dieser Volkswille ist – das bestimmen die Populisten selbst. Und sie behaupten von sich, dass nur sie ihn auch wirklich kennen.» Ganz so einfach ist es in der Schweiz nicht, weil «das Volk» über Sachabstimmungen direkt mitreden kann – und das beileibe nicht immer im Sinn der SVP tut.
Marcel Lewandowskys Buch ist eine kluge Analyse populistischer Politik und ihrer Funktionsweise. Er seziert präzise Parolen und Strategien und zeigt, wie ähnlich sich SVP und AfD, Trump, Le Pen und Melloni sind. Den Abschluss seines Buchs bildet ein Kapitel mit Rezepten gegen den Populismus. Kleine Vorwarnung: Einfache Rezepte gibt es nicht. Denn: «Parteien und Medien muss bewusst sein, dass der Erfolg der Populisten nicht für sich steht, sondern ein Warnsignal zum Zustand der Demokratie ist», schreibt Lewandowsky. «Es gibt Menschen, die wollen eine andere Demokratie; manche wollen gar keine, anderen ist die Demokratie egal. Das hat Ursachen, die die Politik nicht von heute auf morgen beseitigen kann. Aber sie muss anerkennen, dass der Erfolg der Rechtspopulisten nur die Spitze des Eisbergs ist.»
Marcel Lewandowsky: Was Populisten wollen. Wie sie die Gesellschaft herausfordern – und wie man ihnen begegnen sollte. Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 28.90 Franken; ISBN 978-3-462-00672-8
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783462006728
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