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Was ist der Mensch?
Mit dieser Frage haben sich Philosophen, Dichter und Ärzte seit Anbeginn der Menschheit beschäftigt. Am Eingang des Apollotempels in Delphi war das Motto «Erkenne dich selbst» sogar in Stein gehauen. Seither haben sich Denker immer wieder aufs Neue darum bemüht, die Gedanken, Gefühle, Verhaltensweisen, Erinnerungen und kreativen Kräfte zu verstehen, die den Menschen zu dem machen, was er ist. Im 17. Jahrhundert kam der französische Philosoph René Descartes auf die griffige Formel «Ich denke, also bin ich». Er sagte damit auch: Geist und Körper sind unabhängig voneinander. Eric Kandel schreibt, dass Descartes das Pferd von hinten aufgezäumt habe: In Wirklichkeit müsste es heissen «Ich bin, also denke ich». Das Resultat dieser Wende des Nachdenkens über das Denkens ist die Neurowissenschaft, also die Wissenschaft vom Gehirn und damit eine neue, biologische Herangehensweise an den Geist. Die Neurowissenschaft basiert auf dem Konzept, dass unser Geist ein System von Prozessen ist, die vom Gehirn vollzogen werden, und das Gehirn ist seinerseits eine Art komplizierte Rechenmaschine, die unsere Wahrnehmung der Aussenwelt konstruiert, unsere inneren Erlebnisse erzeugt und unsere Tätigkeiten steuert.
Der das schreibt, muss es wissen: Eric Kandel gilt als einer der bedeutendsten Neurowissenschaftler des 20. Jahrhunderts. 1929 in Wien geboren, emigrierte er kurz nach der Machtübernahme der Nazis mit seiner jüdischen Familie in die USA. Seit 1974 ist er Professor an der Columbia University in New York. Für seine Forschung erhielt Eric Kandel im Jahr 2000 den Nobelpreis für Medizin. Kandel hat sich in seiner Arbeit immer wieder mit der Frage beschäftigt, inwiefern komplexe menschliche Verhaltensweisen biologische Ursachen haben. In seinem neuen Buch geht er der Frage nach, wie die Prozesse im Gehirn, die unseren Geist entstehen lassen, durcheinandergeraten können, was dann zu verschiedenen schweren Krankheiten führt: Autismus, Depression, bipolare Störung, Schizophrenie, Alzheimer, Parkinson und posttraumatische Belastungsstörung. Kandel erklärt, warum Wissen über solche fehlgeleiteten Prozesse nicht nur unentbehrlich ist, wenn wir neue Therapien für die Krankheiten finden wollen, sondern auch, um die normale Funktionsweise des Gehirns besser zu verstehen. Ausserdem macht er deutlich, dass wir unsere Kenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns erweitern können, wenn wir normale Varianten der Gehirnfunktion untersuchen, beispielsweise die Vorgänge, durch die sich das Gehirn in der Entwicklung differenziert und so unsere sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität festlegt. Und schliesslich zeigt er, wie wir mit einer biologischen Herangehensweise an den Geist nach und nach auch die Geheimnisse von Kreativität und Bewusstsein lüften können. Kandel ermöglicht damit neue Einsichten über das Wesen des Menschen, aber auch ein tieferes Verständnis für unser gemeinsames und individuelles Menschsein.
Eric Kandel: Was ist der Mensch? Störungen des Gehirns und was sie über die menschliche Natur verraten. Siedler, 368 Seiten, 42.90 Franken; ISBN 978-3-8275-0114-1
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783827501141
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