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Von der Schönheit der deutschen Sprache
Die deutsche Sprache klingt hart und knarzig, ist schwierig zu lernen und sieht auch nicht schön aus. Deutsch gilt vielen Menschen als grobschlächtig, ja hässlich. Schon im 17. Jahrhundert klagte der Sprachgelehrte Justus Georg Schottel, ein beherzter Sprachkultivierer des Deutschen: «Die Außländer halten die Teutschen für grobe brummende Leute, die mit rösterigen Worten daher grummen und mit hartem blindem Geläute von sich knarzen.» Kann Deutsch also nicht schön sein? «Im Gegenteil!», ruft Roland Kaehlbrandt uns in diesem Buch zu: Die deutsche Sprache kann wunderschön sein! Fragt sich als erstes: Was ist eine schöne Sprache? Kaehlbrandt sagt: Sprache, die wir als schön empfinden, sei etwas, das «uns auch heute bewegt und berührt. Sie fällt uns auf, wenn sie im grauen Einerlei des Alltags und in der kratzigen Aufgeregtheit öffentlicher Streitigkeiten überraschend aufscheint.» Wie diese schlichte Zeile aus einem Lied von Wolf Biermann: «Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit». Kaehlbrandt schreibt dazu: «Plötzlich stehen die einfachen, schönen Worte da und ermutigen uns.» Kein Zweifel: Die deutsche Sprache bringt auch heute Schönheit hervor. «So heisst es in dem Refrain des Liedes ‹Der Weg› von Herbert Grönemeyer, in dem er den verstorbenen geliebten Menschen besingt: ‹Du hast jeden Raum Mit Sonne geflutet›. Kann man berührender das Strahlen beschreiben, das uns erfasst und umfängt, wenn ein geliebter Mensch den Raum betritt?» In seinem Buch zeigt uns Roland Kaehlbrandt die schönen Seiten der deutschen Sprache. Er führt sie uns in vielen Beispielen vor und erklärt uns dabei auch, was die entsprechenden Worte schön macht. Im Beispiel von Herbert Grönemeyer ist es das Sprachbild «mit Sonne geflutet». Das sei «eine ungewöhnliche Metapher, eine Synästhesie, die uns anrührt: die Übertragung eines Bildes vom Wasser auf das Licht.»
Schön ist also nicht die Sprache an sich, es ist der Stil, wie wir in der Sprache etwas sagen. «Grundlage guten Stils ist das, was die Römer das aptum nannten, die Angemessenheit. Umgekehrt wird unangemessener Stil, beispielsweise in der Wortwahl, gerade nicht als schön empfunden.» Stil meint dann aber auch den «Schmuck, den man menschlicher Rede verleiht, etwa durch rhythmische Wiederholungen, Ausdruckswechsel, ungewöhnliche Wortstellungen, Sprachbilder und Klänge, um ihren Aussagen grössere Wirkung zu verleihen».
Schon Lessing und Humboldt beklagten einen entscheidenden Nachteil, den die Sprache im Vergleich mit Malerei, Bildhauerei und Musik habe: Sie ist linear. Die Sprachzeichen stehen in einer bestimmten Reihenfolge und müssen hintereinander wahrgenommen und verstanden werden. Sie können nicht ein gleichzeitiges Bild ergeben. Das, sagt Humboldt, sei «das entscheidende Hindernis, die simultane Fülle des Schönen befriedigend zur Evidenz zu bringen, wie etwa ein Bild oder eine Statue vermag». Die Sprache wirkt zudem nur mittelbar. Wenn wir mit Worten etwas beschreiben, entsteht, im besten Fall, ein inneres Bild. Die Sprache verschwindet, das Bild bleibt. Auch dann, wenn wir das Bild vorher nie gesehen haben. «Offenbar», schreibt Roland Kaehlbrandt, sei «der Sprache in puncto Anschaulichkeit doch einiges zuzutrauen!» Der Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure habe die Vorstellungsleistung des Sprachzeichens wegweisend sinngemäss so zusammengefasst: «Laut und Vorstellung bilden in der Sprache eine Einheit. Der Gedanke nimmt erst durch die Sprache Gestalt an.» Der Philosoph Ernst Cassirer habe die Sprache deshalb als ein Grundmittel bezeichnet, «vermöge dessen sich für uns der Fortschritt von der blossen Empfindungswelt zur Welt der Anschauung und Vorstellung vollzieht».

Schuld daran ist «eine genialere Erfindung unserer Vorfahren», wie Roland Kaehlbrandt es bezeichnet: das Zeichen, «also ein Symbol, das für etwas anderes steht». «Wir Menschen sind symbolische Wesen. Wir haben uns eine zeichenhafte Welt geschaffen». Erst die Erfindung von Symbolen ermöglicht Abstraktion. «Seit unsere Vorfahren das Zeichen erfunden hatten, war der Weg gebahnt für sprachliche Zeichen: die Verbindung von Laut und Bedeutung; die Verbindung von Lauten und Vorstellungen, Ideen, Empfindungen und Gedanken», schreibt Roland Kaehlbrandt. «Man muss es anerkennend sagen: Diese Erfindung – oder war es eine Entdeckung? – war zweifellos genial!» Sprache ist deshalb mehr als nur eine vorgegebene Sprach- und Sprechwirklichkeit. «Sie ist die Erscheinung der Idee, des Logos, der Vernunft selbst.» Dennoch ist die Sprache nicht einfach von der äusseren Welt völlig losgelöst. «Ohne Weltbezug ist sie nicht denkbar.»
Roland Kaehlbrandts Buch über die Schönheit der deutschen Sprache ist keine Sammlung schöner Sentenzen, sondern eine scharfsinnige Reflexion über Sprache, Laute, Wohlklang und Schönheit am Beispiel des Deutschen. Viele der Überlegungen gelten auch für andere Sprachen. Roland Kaehlbrandt führt sie am Deutschen vor. Und das wirklich schön.
Roland Kaehlbrandt: Von der Schönheit der deutschen Sprache. Eine Wiederentdeckung. Piper, 320 Seiten, 21.50 Franken; ISBN 978-3-492-32194-5
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783492321945
Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps finden Sie hier: https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/
Basel, 01.10.2025, Matthias Zehnder
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