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Eine Bischofsstadt zwischen Oberrhein und Jura

Publiziert am 4. April 2024 von Matthias Zehnder

Für alle, die sich für die Geschichte der Stadt Basel interessieren, ist der Fall klar: Die «Stadt.Geschichte.Basel» gehört auf den Büchertisch. Für alle anderen: Warum sollen Sie die Bücher zur Hand nehmen? Die kurze Antwort: Weil sie spannend sind. Ich habe das Osterwochenende mit der Lektüre der ersten Bände verbracht und bin begeistert. Ein Grund dafür: Die «Stadt.Geschichte.Basel» erzählt keine Stadtgeschichte. Die Bücher bieten also keine durchgängige Erzählung vom Entstehen und Werden der Stadt Basel. Sie beschränken sich auf die gesicherten Informationen. Die Berichterstatter bleiben dabei immer in der Gegenwart und blicken anhand von Funden zurück auf die Vergangenheit. Sie zeichnen also kein vollständiges Bild zum Beispiel des mittelalterlichen Basel, sondern zeigen nur die Mosaiksteine, die aus der Zeit erhalten sind. Der Leser kann sich aus diesen Mosaiksteinen selbst ein Bild zusammensetzen. Weil sich das Bild mit jeder Information ändert, ist das Resultat kein Mosaik, sondern ein sich kalaidoskopisch entwickelndes Bild der Stadt Basel.

Besonders spannend ist das im zweiten Band, der sich der Zeit von 800 bis 1273 widmet. Basel besinnt sich heute gerne auf die Frühzeit, die keltische Siedlung und die römische Gründungslegende rund um den römischen Feldherrn Lucius Munatius Plancus, und die Zeit der grossen Umbrüche ab 1500. Die Erinnerung an den Beitritt zur Eidgenossenschaft von 1501 ist ebenso lebendig wie die Reformation 1529. Dazwischen war Basel in erster Linie Bischofsstadt. Noch um 1600 schrieb Ratsherr Andreas Ryff, die Stadt Basel sei «am Bistum hinaufgewachsen wie das Efeu an einer Mauer.» Heute erinnern nur noch der Bischofsthron im Münster, der Bischofshof, also der bischöfliche Palast neben dem Münster, und natürlich der Bischofsstab im Basler Wappen an diese Zeit. Die früh- und hochmittelalterliche Zeit, als in Basel ein Fürstbischof das Sagen hatte, ist den Menschen nicht mehr gegenwärtig. Von dieser Zeit erzählt der zweite Band.

Spannend in der neuen Stadtgeschichte sind die eindrücklichen Illustrationen wie dieses «Lebensbild» des Haito-Münsters.

Mitte des fünften Jahrhunderts bricht das römische Reich zusammen. An seine Stelle tritt mit der Zeit die Kirche als europäische Klammer. Eine wichtige Führungsfigur war Bischof Haito von Basel. Er war so wichtig, dass er als einer der Zeugen das Testament von Karl dem Grossen unterschrieb. In Basel ist sein grosses Vermächtnis der Bau des ersten Münsters auf dem Münsterhügel, eine «mächtige Halle, erfüllt von heiterer Göttlichkeit», lobte ein zeitgenössischer Dichter den Bau. Im zweiten Band ist eine eindrückliche Visualisierung des Kaito-Münsters abgedruckt: Es wird sofort verständlich, warum der Bau zum Zentrum der frühmittelalterlichen Stadt wurde.

Ebenso spannend: Mit besonderer Religiosität hatte die Herrschaft des Bischofs nicht zu tun. Der Bischof hat schlicht die Ordnung in der Stadt hergestellt und mit Regeln und Gesetzen abgesichert. Der Bischof hat so für Sicherheit gesorgt. Und das ganz wörtlich: Bischof Burkhard von Fenis hat auch die erste Stadtmauer von Basel gebaut. Basel war damit eine der ersten Städte im Umfeld der Schweiz, die durch eine Mauer geschützt war. Nur Genf hat ähnlich früh eine Mauer gebaut. Bischof Burkhard war nicht nur der Mauer wegen ein bemerkenswerter Mann: Er hat König Heinrich IV. 1076 bei seinem berühmten Gang nach Canossa begleitet, als der König beim Papst bittere Busse leisten musste. Eher beiläufig erwähnt die Stadtgeschichte das Ereignis – ein Hauch Weltgeschichte streift die Stadt Basel.

Spannend sind die Einschübe zur jüdischen Geschichte in Basel. Die Jahreszahl auf einem Grabsteinfragment lässt sich als «1104» lesen. Die Präsenz einer jüdischen Gemeinde im 11. Jahrhundert rückt die Basler Gemeinde chronologisch in die Nähe der SchUM-Gemeinden, die heute Weltkulturerbe sind. Möglicherweise ist deshalb bereits die erste Stadtmauer, die Bischof Burkhard bauen liess, wie andere grosse Bauwerke auch, von der jüdischen Gemeinde mitfinanziert worden. Gesichert ist, dass die jüdische Gemeinde 1225 den Bau der Mittleren Brücke mitfinanzierte. Es ist bemerkenswert, wie gut die jüdische Gemeinde integriert war: In Basel gab es kein Ghetto, Juden und Christen waren Nachbarn und lebten in ständigem Austausch miteinander. Im Verlauf des 13. Jahrhunderts muss sich das Verhältnis verschlechtert haben: Am 16. Januar 1349 kam es, noch vor der ersten Pestwelle übrigens, zur Vernichtung der Basler Juden. Die meisten Mitglieder der ersten Jüdischen Gemeinde Basels wurden auf einer Insel im Rhein verbrannt – vermutlich des Geldes wegen.

Die «Stadt.Geschichte.Basel» besteht aus vielen kürzeren Texten, die Bücher eignen sich deshalb nicht nur für eine kontinuierliche Lektüre, sondern auch zum Herumblättern. Sie sind reich illustriert mit Bildern von Dokumenten, Fotos von Fundstücken und archäologischen Fundstellen und mit Ansichten der heutigen Stadt, die eine Brücke zu den historischen Gegebenheiten schlagen. Speziell hervorzuheben sind die wissenschaftlich fundierten Visualisierungen von historischen Gegebenheiten, Bauwerken und Siedlungen. In den Büchern sind sie lediglich als «Lebensbild» bezeichnet. Sie stammen von Archaeolab (Marco Bernasconi) oder Bildebene (Joe Rohrer). Schade, sind diese Rekonstruktionen nicht auf der Website greifbar. Sie könnten einen spannenden visuellen Einstieg in die Basler Geschichte bieten.

Claudius Sieber-Lehmann, Peter-Andrew Schwarz (Hg.): Stadt.Geschichte.Basel Band 2. Eine Bischofsstadt zwischen Oberrhein und Jura. 800-1273. Christoph Merian Verlag, 324 Seiten, 39 Franken; ISBN 978-3-03969-002-2

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783039690022

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