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Sätze, die die Welt verändern

Publiziert am 30. Januar 2024 von Matthias Zehnder

Es gibt geflügelte Worte, die haften nicht nur im Geist, sondern verleihen ihm tatsächlich Flügel. Etwa das Wort von der «unsichtbaren Hand des Marktes». Oder die Feststellung, dass der Mensch ist, was er isst. Bloss haben sich gerade diese beiden Sätze recht weit von ihren Ursprüngen entfernt. Bruno Preisendörfer geht in seinem Buch einer Handvoll solcher Redewendungen auf den Grund. Es sind Sätze, die philosophisch, ideologisch oder politisch folgenreich waren und immer noch sind. Einige der Sätze haben ihre Schärfe verloren. Etwa Friedrich Nietzsches Feststellung, dass Gott tot sei. Darwins Satz vom Überleben des Stärksten dagegen hatte im 20. Jahrhundert so grauenvolle Konsequenzen, dass er bis heute tiefe Schatten wirft. In seinem Buch geht Preisendörfer zwölf solchen Sätzen auf den Grund und zeigt, was die Urheber der Gedanken damit gemeint haben. Der Reigen beginnt mit Sokrates und reicht über Décartes, Kant und Feuerbach bis zum erwähnten Friedrich Nietzsche. Alle Kapitel sind mit einem kurzen Lebensbild des Philosophen abgerundet.

Entsprechend breit ist der Bogen gespannt. Sokrates weiss, dass er nichts weiss, Preisendörfer zeigt allerdings, dass er ein simpler Besserwisser war. Francis Bacon weiss, dass Wissen Macht ist. «Philosophen reden gern übereinander», schreibt Preisendörfer und beweist das im Buch immer wieder, indem er zitiert, was «seine» Philosophen übereinander sagen. Hegel meinte in seinen Vorlesungen: «Von Bacon kann man sagen, was Cicero von Sokrates sagt: er habe das Philosophieren in die weltlichen Dinge, in die Häuser der Menschen heruntergeführt.» Schreibt Philosoph Preisendörfer. Eben: Sie  reden gern übereinander.

René Descartes entdeckt den Existenzbeweis durch schieres Denken, denn auch der radikale Zweifel an der Existenz führt letztlich auf die Existenz zurück, weil ohne Existenz das Existieren nicht zu bezweifeln wäre. Thomas Hobbes fürchtet den Krieg aller gegen alle. Jean-Jacques Rousseau will, anders als gedacht, nicht zurück zur Natur. Adam Smith hat das mit der unsichtbaren Hand nur sehr beiläufig erwähnt. Etwas überraschend lässt Preisendörfer Immanuel Kant über Geschmack streiten (oder auch nicht). Immerhin gibt Preisendörfer Kant die Ehre, mit einem zweiten Satz präsent zu sein, den Kant allerdings nicht nur nicht gesagt hat, sondern in seinen Büchern sogar ablehnte: Er wehrte sich schon in seinen «Kritiken» dagegen, dass der kategorische Imperativ auf ein simples «Was du nicht willst, das man dir tu…» reduziert werde. Was natürlich trotzdem geschah.

Der grosse Ludwig Feuerbach ist präsent mit seinem Satz vom Menschen, der ist, was er isst. Über den Satz von Karl Marx, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, schreibt Preisendörfer: «Wenige Behauptungen waren so umstritten wie diejenige, es bestimme das Sein das Bewusstsein. Wenige wurden so oft missverstanden, manchmal absichtlich, manchmal uneinsichtig, und wenige von Ideologen so schnell als ‹ideologisch› abgefertigt und von Ideologiekritikern so unkritisch dogmatisiert.»

Charles Darwin und sein Prinzip, dass die Stärksten überleben, rehabilitiert Preisendörfer geradezu. Denn dass die Entwicklung der Arten durch Selektion erfolgt, gilt seit der Kombination von Evolutionstheorie, Paläontologie, Molekularbiologie und Genetik als erwiesen. Bloss wird diese Theorie der natürlichen Auslese bis heute missverstanden, falsch zitiert und missbraucht. Wie andere der geflügelten Worte auch.

Und Nietzsche, der Gott für tot erklärt hat? Ihm schenkt Preisendörfer mit Heine Frieden. Denn es war nicht Nietzsche, der Gott getötet hat, sondern Kant. Heine schreibt, Kant habe mit seiner «Kritik der reinen Vernunft» «den Himmel gestürmt, er hat die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen». So verknüpft Preisendörfer die Worte der Denker zu einem Netzwerk von Gedanken, die, was könnte man mehr erhoffen, zum Denken anregen.

Bruno Preisendörfer: Sätze, die die Welt verändern. Eine Gedankenreise von Sokrates bis Nietzsche. Galiani Berlin, 336 Seiten, 35.90 Franken; ISBN 978-3-86971-256-7

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783869712567

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