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Queen Victoria

Publiziert am 12. Oktober 2018 von Matthias Zehnder

Diese Biografie handelt von einer Frau, die nun wirklich eine Jahrhundertfigur war, trotzdem aber als Mensch kaum wahrgenommen wird. Königin Victoria ist legendär: 63 Jahre lang war die gebürtige Alexandrina Victoria of Kent Königin des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Irland, 25 Jahre davon auch noch Kaiserin von Indien. Sie regierte so lang und Grossbritannien erlebte in dieser Zeit einen so grossartigen Aufschwung, dass sie dem Viktorianischen Zeitalter ihren Namen aufdrückte. Hinter all dem Pomp und all den Daten geht Victoria als Mensch und Frau ganz verloren. Die australische Journalistin Julia Baird bläst den Staub von Krone und Damast, erzählt die aussergewöhnliche Geschichte dieser Frau und vermittelt dabei auch ihren Kontext: das 19. Jahrhundert in England, die unglaublichen, technischen Fortschritte, die von ebenso unglaublicher Armut begleitet waren, den gloriosen Aufstieg des Empires, der oft nur mit blutiger Unterdrückung zu erreichen war und die ersten Kämpfe der Frauen für ihre Rechte, die zu nichts führten, obwohl die Krone des Reiches auf dem Kopf einer Frau sass. Sie war erst 18 Jahre alt, als sie Königin wurde – und nur gerade 1,52 Meter gross. Als sie das erste Mal auf den Thron sass, berührten ihre Füsse den Boden nicht. Um die kleine Königin rankten rasch viele Legenden. Zuerst galt sie als Mädchen, nach dem frühen Tod ihres geliebten Mannes, Prinz Albert, wurde sie auf die in Trauer versunkene Witwe reduziert. All das ist falsch, schreibt Julia Baird: Königin Victoria war eine entschlossene Herrscherin, die zwar über die Last ihrer Verantwortung klagte, ihre Premierminister aber andauernd herumkommandierte. Unsere Zeit verstehe offenbar ebenso wenig wie die viktorianische, wie eine solche Frau kompetent und genussvoll Macht und Autorität ausüben konnte. Denn die echte Victoria ist unter Legenden, der wohlmeinenden Erinnerungsklitterung der Nachkommen und vielen Missverständnissen begraben, für die ganze Legionen von Beobachtern, Schmeichlern, Monarchisten und Republikanern gesorgt haben. Zu den Legenden gehört etwa, wie Baird schreibt, dass Victoria zu leben aufgehört habe, als Albert starb. Dass sie ihre Kinder verabscheute. Dass sie eine konsequent verfassungstreue, untadelige Königin gewesen sei. Dass sie Macht gehasst habe, keinen Ehrgeiz besessen und nur ihr Heimatland geliebt habe. Dass sie schlicht von Männern gelenkt und geformt worden sei. Und natürlich, dass ihr Diener John Brown lediglich ein guter Freund gewesen sei. All dies ist Unsinn, schreibt Julia Baird erfrischend deutlich. Die Australierin versteht es, radikal mit den Legenden aufzuräumen, die echte Victoria auszugraben und auf höchst vergnügliche Art und Weise zum Leben zu erwecken. Ihre Biografie der grossen kleinen Königin ist nicht nur profund, sie ist auch äusserst unterhaltsam und deshalb in jeder Beziehung empfehlenswert.

Julia Baird: Queen Victoria. Das kühne Leben einer aussergewöhnlichen Frau. WBG Theiss, 596 Seiten, 48.50 Franken; ISBN 978-3-8062-3784-9

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Buchtipp zum Wochenkommentar vom 12. Oktober 2018: Fünf Lebensbilder an Stelle eines Wochenkommentars

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

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