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Misstrauen. Vom Wert eines Unwertes

Publiziert am 21. Juni 2019 von Matthias Zehnder

Die Wählerinnen und Wähler von Donald Trump und Marine LePen, der Lega, der AfD und der FPÖ einigt länderübergreifend ein Gefühl: das Misstrauen gegenüber politischen Eliten, etablierten Medien und wissenschaftlichen Experten, die als «Mainstream» verunglimpft werden. Die rechtspopulistischen Wutbürger fühlen sich von diesem Mainstream nicht mehr repräsentiert und sie stellen dessen Wahrhaftigkeit in Frage. Diese expertenfeindlichen Bewegungen haben zu einem politischen Kilma geführt, das als «postfaktisch» bezeichnet wird: einer Haltung, die sich durch wachsendes Misstrauen gegenüber den von etablierten Institutionen angebotenen Fakten kenn- zeichnet. Im Zentrum dieser Krise des Faktischen steht also das Misstrauen. Man könnte meinen, man müsse, um die Krise zu überwinden, nur das Misstrauen überwinden. Dem stellt sich Florian Mühlfried mit seinem Buch entgegen: Er hält ein eigentliches Plädoyer für das Misstrauen. Er stützt sich dabei unter anderem auf den Philosophen Friedrich Nietzsche, der im Misstrauen ein erstrebenswertes Gut sah. So rät Nietzsche dem Philosophierenden, nicht nach Weisheit zu streben, sondern sein Misstrauen zu perfektionieren: «So viel Misstrauen, so viel Philosophie.» Misstrauen ist für Nietzsche eine «Quelle der Wahrhaftigkeit», weil es «Spannung, Beobachtung, Nachdenken nötig macht».

Für Mühlfried ist Misstrauen also nicht einfach die Abwesenheit von Vertrauen. Wenn Vertrauen fehlt, führt das lediglich zu Angst oder Indifferenz. Er versteht Misstrauen dagegen als produktive Haltung des Zweifelns, des kritischen Denkens. Er fragt deshalb nicht nur, wieviel Misstrauen eine Demokratie erträgt, sondern auch, was passiert, wenn Misstrauen verdrängt wird. Auf ganz neue Art fruchtbar wird Misstrauen in einer Welt, die immer stärker von Computern und Robotern dominiert wird. Sollen die Menschen den Maschinen wirklich blind vertrauen? Wäre etwas mehr Misstrauen gegenüber Maschinen und Bots etwa im Internet nicht angebracht? Mühlfried zeigt, wie fruchtbar eine gesunde Balance von Vertrauen und Misstrauen sein kann. Er sagt, der Vertrauensdiskurs habe «hegemoniale Züge» angenommen. Noch habe es aber kein Regime geschafft, das Misstrauen seiner Bürgerinnen und Bürger auf Dauer zu eliminieren. So wird Misstrauen zum Anfang für Neues, für Veränderung, für Aufbruch. Ein spannendes Buch, das herkömmliche Denkmuster sprengt und einen zwingt, präzise über Vertrauen und Misstrauen nachzudenken.

Florian Mühlfried: Misstrauen. Vom Wert eines Unwertes. Reclam, 88 Seiten, 8.90 Franken; ISBN 978-3-15-019600-7

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783150196007

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Buchtipp zum Wochenkommentar vom 21. Juni 2019: Gorilla-Journalismus ist passé

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/