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Maler Friedrich

Publiziert am 15. Dezember 2023 von Matthias Zehnder

Seine Bilder sind ikonisch: Jeder kennt den «Wanderer über dem Nebelmeer» oder die «Kreidefelsen auf Rügen». Der Maler verschwindet hinter seinen Bildern: Caspar David Friedrich ist uns zwar ein Begriff, aber nur als Name, nicht als Mensch. Das passt durchaus zu seinem Werk: Er hat die Natur neu inszeniert. Menschen kommen darin kaum vor und wenn, dann wenden sie uns den Rücken zu. Die Natur begegnet uns als Übermacht. Perfekt inszeniert, aber gewaltig und manchmal auch bedrohlich. In seinem Buch über Friedrich dreht Eberhard Rathgeb den Blick um und zeichnet uns ein Bild des Malers. Friedrich sei «der modernste unter den Romantikern, weil er, was er sagen wollte, in einer anderen Sprache vortrug», schreibt Rathgeb. Die Landschaftsbilder, die er malte, seien «ein Spiegel der modernen Einsamkeit». Trotzdem ist Friedrich ein Kind seiner Zeit. Rathgeb zeigt, dass der Maler ohne den Protestantismus, ohne Kant, Fichte, Hegel und Schleiermacher, nicht denkbar wäre. Er habe die Natur dargestellt, «als stände die Zeit still». In der Natur von Friedrich «scheint der Mensch nicht mehr vorgesehen zu sein». In seinem buch erzählt Rathgeb nicht nur das Leben des 1774 in Greifswald geborenen Malers. Er erklärt auch, warum seine Bilder bis heute so packend sind.

Üblicherweise führen Biografien über die äusseren Lebensdaten und -umstände ein ins Leben einer Person. Eberhard Rathgeb geht anders vor: Er beginnt in der Philosophiegeschichte und skizziert die Umbrüche, die Immanuel Kant und seiner «Kritik der reinen Vernunft», die 1781 erscheint. Darin zeigt Kant die Grenzen des Denkens auf und führt das Subjekt ein in die Philosophie, die Innenwelt. Dann erläutert Rathgeb anhand einer Reihe von Selbstportraits von Caspar David Friedrich die Entwicklung des Jungen vom Land zum intellektuellen Grosskünstler. Wie Kant das Denken selbst zum Thema seines Denkens macht, kreist das Malen von Friedrich um das Sehen: «Friedrich schafft eine Atmosphäre zwischen Bild und Betrachter, dank der mehr und anderes gesehen wird. Das Sehen selber wird im Bild zum Problem. Er vergewissert sich malend des Sehens, so wie sich Philosophen denkend der Vernunft vergewisserten.» Friedrich war also ein Avantgardist, der das darzustellen wagt, «was im Kontext seiner Zeit als philosophisches Problem offensichtlich ist, dass der Schein nicht die Wahrheit ist und doch auf sie bezogen war.» Wie ein Philosoph sich nur denkend seiner Vernunft vergewissern kann, kann ein Maler sich nur malend seines Sehens vergewissern. Das ist, so Rathgeb, der Grund dafür, warum Friedrich es geschafft hat, mit seiner Kunst unser Sehen zu verwandeln.

Wobei wir uns heute wohl keinen Begriff davon machen, welche Natur Maler Friedrich antraf: «Die Wildheit der Natur damals in Deutschland ist kaum vorstellbar», schreibt Rathgeb. «Unerfahrene Wanderer konnten sich schnell verirren. Es gab keine Wanderkarten für jeden Quadratkilometer, nach denen man sich orientieren konnte, keine Wegweiser für Ausflügler an jeder Kreuzung.» Die Natur war keine Idylle. Sie war eine unbezähmbare Macht, voller Gefahren. Genau das wird auf Friedrichs Bildern sicht- und spürbar.

Besonders gut sichtbar ist das auf dem Gemälde «Das Eismeer» (1823/24). Zwei Drittel des Gemäldes werden von Eisschollen eingenommen, die sich zu einem Berg ineinandergeschoben haben. In der Ferne sind ähnliche Eruptionen aus Eis zu sehen. Der Himmel ist starr, eisig blau. Ganz oben sind einige Schlieren von weissen Wolken zu sehen, als würde er dort zu schmelzen beginnen. «Am Fusse des Eisbergs liegt ein Schiffswrack auf der Seite, wie ein Tier, das die Kälte nicht überlebt hat. Der Blickwinkel rückt den Betrachter in eine ebenso desolate Lage. Er muss verloren auf dem Eis stehen und dem Untergang im eiskalten Wasser nahe sein.» Friedrich hat nicht einfach Eis gemalt, sondern den Schiffbruch der Zivilisation, den Untergang und Zerfall. Es ist ein Bild von packender Modernität – es sind diese Bilder, die Eberhard Rathgeb in seinem Buch über Caspar David Friedrich ebenso packend einordnet und erklärt.

Eberhard Rathgeb: Maler Friedrich. Berenberg Verlag, 216 Seiten, 39.50 Franken; ISBN 978-3-949203-70-1

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783949203701

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