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Lichtblick statt Blackout

Publiziert am 29. September 2022 von Matthias Zehnder

Seit 1998 steht Vince Ebert, diplomierter Physiker, auf der Bühne und erklärt seinem Publikum Wissenschaft auf humorvolle Art. Er ärgert sich darüber, dass Medien immer stärker überspitzen, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Sie reden statt von «Klimawandel» lieber von einer «Klimakrise» oder einem «Klimanotstand» und ersetzen den Begriff «Erderwärmung» durch das Wort «Erderhitzung». «Die Grauzone zwischen objektiver Wissensvermittlung und subjektiver Bewertung verschwimmt immer mehr», schreibt Ebert. Er halte das «schon länger für eine ungute Entwicklung. Denn die Kernaufgabe von Journalisten sehe ich darin, aufzuklären und nicht zu missionieren.» Es wäre zweifellos journalistisch unseriös, die negativen Auswirkungen des Klimawandels kleinzureden oder sogar zu leugnen. «Aber es ist ebenso unseriös, die Auswirkungen bewusst zu übertreiben, Dinge aus dem Zusammenhang zu reissen, zu dramatisieren oder Wissenschaftlern Worte in den Mund zu legen, die sie so nie gesagt haben. Und all das mit dem Ziel, Publikum oder Follower zu gewinnen.» Sein Buch ist ein Appell zu mehr Mut, zu mehr Rationalität und zu mehr Optimismus. Und nicht zuletzt ist es auch ein Appell zum leidenschaftlichen Dialog. 

Im ersten Teil klopft Ebert fünf gängige Behauptungen in der aktuellen Debatte auf ihren Wahrheitsgehalt ab. Mythos 1: Wir müssen nur der Wissenschaft folgen. In den letzten 300 Jahren hat die Wissenschaft unfassbar viel herausgefunden. Wissenschaft liefert eine Menge Erkenntnisse. Aber sie sagt nichts darüber aus, wie wir als Gesellschaft auf diese Erkenntnisse zu reagieren haben. Ebert sagt: «Klimaforschung ist objektive Wissenschaft. Klimapolitik dagegen ist subjektiv, unscharf und verhandelbar. Wer beides bewusst miteinander vermischt oder gar gleichsetzt, gewinnt vielleicht die Sympathien der Öffentlichkeit, aber er missbraucht damit die Wissenschaft für populistische Zwecke.»

Mythos 2: Die Welt wird immer schlimmer. Paradoxerweise haben die historisch einmaligen Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen der letzten Jahrzehnte nicht dazu geführt, dass die Menschen begannen, positiv und selbstbewusst in die Zukunft zu blicken. Ganz im Gegenteil. Je gesünder, sauberer und angenehmer unser Lebensumfeld wurde, umso mehr machte sich eine sorgenvolle und pessimistische Grundstimmung breit. Diese katastrophale Endzeitstimmung ist umso besorgniserregender, als es keine wissenschaftliche Evidenzen für zutiefst pessimistische Zukunftsvisionen gibt. Ebert schreibt: «Dass heutzutage junge Aktivisten die Weltrettungs-Debatten mit teilweise radikalen Forderungen bestimmen, liegt nicht unbedingt daran, dass sie uneingeschränkt recht haben, sondern, dass es so viele Erwachsene nicht wagen, sie in einer sachlichen Diskussion herauszufordern. Lieber lassen sie sich von ihnen wie ungezogene Kinder behandeln.»

Mythos 3: Klimaschutz ist der Megatrend. Es gibt einen grossen Unterschied zwischen Meinungsumfragen und Taten. Fragt man die Menschen, gibt es kein wichtigeres Thema als den Klimawandel. Prüft man dagegen, wie sie handeln, dann hat sich das in den letzten Jahren kaum verändert. Konsequente Klimaschutzmassnahmen könnten die Zunahme der Erderwärmung bremsen. Ebert fragt aber: «Ist die rigorose Durchsetzung dieser Forderungen demokratisch legitimiert? Ist es in Ordnung, dass eine kleine, wohlhabende, medial und politisch einflussreiche Gruppe über die Mehrheit der Bevölkerung hinweg bestimmt, was diese zu tun oder zu lassen hat? Heiligt der Zweck die Mittel, weil eine Art Notstand herrscht, der keine Zeit zur demokratischen Willensbildung lässt?»

Mythos 4: Energie lässt sich wenden. Die Energiewende zerzaust Ebert in einem eigenen Kapitel. Er schreibt, Wohlstand und Fortschritt seien schon immer mit Effizienzsteigerungen einhergegangen. Das ist das Problem der «erneuerbaren Energien»: Sie können von ihrer Energieausbeute her nicht mit konventionellen Energieträgern konkurrieren. Der begrenzende Faktor von Wind- und Sonnenkraft liegt an ihrer katastrophal schlechten Energiedichte. Ebert schreibt: «Allen Fakten zum Trotz berauschen wir uns an der Vorstellung von kostenloser, grüner und unendlich vorhandener Energie. Und dabei vergessen wir, dass jede Art von Energiesicherheit ihren Preis hat. Einen Preis, den wir partout nicht zahlen wollen.»

Mythos 5: Nachhaltigkeit. Und dann zerzaust Ebert auch noch den Begriff der Nachhaltigkeit. Ebert schreibt: «Wir müssen uns entscheiden, welche negativen Auswirkungen unserer Existenz wir bereit sind zu akzeptieren und welche nicht. Wir müssen Prioritäten setzen. Zu glauben, wir kämen aus dieser Nummer sauber heraus, ist naiv. Denn irgendeinen Schaden richten wir als Spezies nun mal an. So wie das jede Spezies tut.» Ebert sieht einen einzigen Ausweg: unsere Erfindungskraft. Er schreibt: «Der Mensch ist innovativ und erfindungsreich. Die Steinzeit ist schliesslich auch nicht zu Ende gegangen, weil es plötzlich keine Steine mehr gab.»

Um eins klarzustellen: Ebert schreibt nicht gegen erneuerbare Energien oder die Nachhaltigkeit an. Er plädiert nur für mehr Nüchternheit und Ehrlichkeit. Er schreibt, die Ideen zur Erhaltung der Umwelt hätten es verdient, «ernsthaft und konstruktiv diskutiert zu werden, anstatt nur von ihren Anhängern romantisch verklärt oder ihren Kritikern ins Lächerliche gezogen zu werden.» Im zweiten Teil seines Buches schreibt er deshalb über Weltretten als Religionsersatz, über den Gruppendruck («je mehr Leute eine Idee spitze finden, umso schwieriger werden sachliche Gegenargumente») und über kognitive Dissonanz. Ein besonders heimtückisches Phänomen: Wenn ein ambitioniertes Vorhaben nicht zu dem Ergebnis führt, das wir erwarten, fällt es uns extrem schwer einzugestehen, dass wir uns geirrt haben könnten. «Unser Gehirn löst diesen inneren Widerspruch, indem es sich die unangenehme Situation schönredet. Keiner steht eben gerne als Volltrottel da, der sein gesamtes Leben für eine idiotische Schnapsidee gegen die Wand gefahren hat.»

Vor allem ruft Ebert zu rationalem Denken auf. Nein, das ist kein Pleonasmus. Es gibt leider auch das intuitive Denken. Das ist meist schneller als der Kohl rechnende Verstand – und kommt dabei oft zu falschen Schlüssen. Zum Beispiel: Dass Kernkraft grundsätzlich gefährlich sei. Wenn wir uns aber den «Energy Deathprint» anschauen, den Wert, der für jede Art der Energieerzeugung die Anzahl der Todesopfer pro erzeugter Energiemenge angibt, stellen wir fest, dass die Energieerzeugung durch fossile Energieträger mit Abstand die meisten Menschenleben fordert. Die Gefährlichkeit der Kernenergie dagegen liegt auf derselben Stufe wie die von Wind- oder Solarenergie. «Es ist zum Verzweifeln», schreibt Ebert. «Wenn Menschen beschliessen, vor etwas Angst zu haben, kann man sie mit rationalen Argumenten praktisch nicht überzeugen. Dann wollen sie nichts über seriös erhobene Zahlen, Daten und Statistiken hören. Sie möchten auch keine Diskussion über die Abwägung von Risiken führen. Diese Menschen wollen keine Fakten. Sie wollen Erlösung. Deswegen hören sie lieber auf Populisten, Weltretter, Apokalyptiker oder pseudoreligiöse Spinner.» Sie würden besser auf Ebert hören. 

Der hat auch ein paar Lösungsvorschläge anzubieten. Und die sind erfrischend unideologisch. Zum Beispiel fordert er mehr Technikoffenheit. Die Menschen sind mit ihrem Erfindergeist weit gekommen – sie würden ihn besser weiter einsetzen, als auf Technikverbote und Forschungsbeschränkungen zu setzen. Ebert fordert, die Scheuklappen bei Forschung und Innovation fallenzulassen – und gibt gleich einige spannende Beispiele, in welchen Bereichen das sein könnte. Er fordert weniger Theorie und mehr Praxis, mehr Pragmatismus und mehr Bildung statt Einbildung – und zu guter Letzt mehr Optimismus. Kein Zweifel: Ein spannendes Buch, das Sie zum Denken bringen wird. Das Schöne daran ist, dass Sie sich beim Lesen bestens unterhalten werden. Denn Ebert bietet seine Gedanken nicht in moralinsaurer Verkniffenheit, sondern mit dem Schalk eines Comedians. 

Vince Ebert: Lichtblick statt Blackout. Warum wir beim Weltverbessern neu denken müssen. DTV, 224 Seiten, 22.90 Franken; ISBN 978-3-423-26342-9

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783423263429

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