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Lebensmittellügen

Publiziert am 17. Februar 2022 von Matthias Zehnder

Eigentlich leben wir ja quasi im Paradies: Noch nie war es für die Menschen so leicht, sich gesund zu ernähren. Bloss kauft kaum jemand um Supermarkt nur jene Lebensmittel, die gesund wären, also Obst, Gemüse und Grundzutaten. Die Regale sind vollgestopft mit interessanten Produkten der Nahrungsmittelindustrie, die in bunten Farben und vielfachen Formen um unsere Gunst werben. Darunter befindet sich Fruchtjoghurt mit überraschend niedrigem Fruchtanteil ebenso wie Chips und Schokoriegel, auffallend rosiges Fleisch, angeblich fangfrischer Fisch oder Vanillearoma, das rein gar nichts mit echter Vanille zu tun hat. Als Lebensmittelchemiker kennt Christoph Wiedmer die mit solchen Produkten verbundenen Werbelügen der Industrie in- und auswendig. Er weiss genau, worauf er beim Einkaufen achten muss und bei welchen Lebensmitteln es sich besonders lohnt, einen prüfenden Blick ins Zutatenverzeichnis zu werfen. In diesem Buch teilt er sein Wissen mit Konsumenten. Er erklärt, ob Süssstoffe tatsächlich so schädlich und Superfoods so gesund sind, wie immer behauptet wird. Er zeigt, was Proteinpulver und Nahrungsergänzungsmittel wirklich bringen und erläutert, was der Unterschied zwischen einem «natürlichen Vanillearoma» und einem «natürlichen Aroma ‹Vanille›» ist. Er befähigt damit uns Konsumenten, den Lebensmitteleinkauf bewusst zu gestalten. 

Und das nicht mit erhobenem Moralzeigefinger, sondern auf spannende Art und Weise. Wiedmer beginnt damit, dass er erklärt, wie Lebensmittel bezeichnet werden. Warum Hafermilch und Sojamilch nicht «Milch» heissen darf, Kokosmilch aber schon. Er dekonstruiert das Zutatenverzeichnis und erklärt, wie die Lebensmittelindustrie praktisch nach Belieben Bestandteile darin verstecken kann, was sie nicht deklarieren muss und wie Zusatzstoffe (mindestens auf der Zutatenliste) zum Verschwinden gebracht werden. Überhaupt: die Zusatzstoffe und Aromen. Ihnen widmet Wiedmer ein ganzes Kapitel. Dabei geht es nicht nur um Stoffe in den Produkten, sondern auch um ihre Verarbeitung, etwa dann, wenn sie in «modifizierter Atmosphäre» abgepackt worden sind, wie das bei Hackfleisch der Fall ist. Interessant ist dabei sein Fazit: «Wenn Sie aus diesem Kapitel also einen Gedanken mitnehmen wollen, dann, dass Zusatzstoffe und Aromen nicht einmal ansatzweise so gefährlich sind, wie immer gerne behauptet wird.»

Nach einem Einschub zum Thema Label und Gütesiegel knöpft sich Wiedmer dann Trend-Lebensmittel wie Chia und Goji vor und fragt: «Superfoods oder nur ein Supermarketing?» Als erste müssen Smoothies dran glauben (Motto: «Bananenschalen mit Sägemehl zum Frühstück – oder: Dürfen Hersteller wirklich alles zum Superfood erklären?»), dann untersucht er Superfoods und Fleischersatzprodukte. Sein Fazit: «Superfoods sind superteuer, sonst eigentlich nichts.»

Besonders interessiert hat mich der letzte Teil des Buches: Da untersucht Wiedmer Nahrungsergänzungsmittel und Fitnessfood. Proteinpulver zum Beispiel. Die kennen wir aus der Werbung, da werden sie immer von besonders fitten Menschen eingesetzt. Kann ich mich also auch mit einem Proteinpulver fit machen? Wiedmer winkt ab. Die Pulver bestehen meist aus Molke, einem Abfallprodukt der Käseherstellung, das Bauern meistens ihren Schweinen verfüttern. Wird die Molke getrocknet und das entstandene Pulver mit ein paar Aromen und Zusatzstoffen wie Süssstoffen, Farbstoffen und Verdickungsmitteln mischt,« um dann das Ergebnis zum Kilopreis von Parmaschinken an Sportler zu verkaufen, lassen sich also satte Gewinnmargen erzielen. Davon kann man dann auch spielend leicht Grafikdesigner für eine coole Verpackung engagieren, Werbekampagnen starten und Influencer bezahlen, die das Zeug mit einem breiten Grinsen in die Kamera halten.» Wiedmer belässt es aber nicht beim Sarkasmus, sondern erklärt, warum es gar nicht gesund ist, den eigenen Proteinkonsum stark zu erhöhen. Ähnlich ernüchternd ist die Lektüre des Kapitels über Nahrungsergänzungsmittel: Die vermeintlich sinnvolle Ergänzung entpuppt sich (für uns Konsumenten) also doch eher bittere Pille. 

Eingestreut im Buch sind konkrete Tipps für den Lebensmitteleinkauf. Etwa: Wie man versteckten Zucker erkennt. Was es mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum und dem Verbrauchsdatum auf sich hat. Was Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel unterscheidet. Das macht das Buch nicht nur zu einem Augenöffner, sondern auch zu einer konkreten Hilfe, die uns Konsumenten wenigstens das Gefühl gibt, der Lebensmittelindustrie nicht blind ausgeliefert zu sein.

Christoph Wiedmer: Lebensmittellügen. Wie bei unserem Essen getrickst wird – ein Lebensmittelchemiker klärt auf. Piper, 240 Seiten, 22.90 Franken; ISBN 978-3-492-06181-0

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783492061810

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