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Künstliche Intelligenz. Wie sie funktioniert und wann sie scheitert

Publiziert am 2. September 2021 von Matthias Zehnder

Wenn man den Medien glauben schenkt, dann werden die meisten Menschen spätestens demnächst durch künstlich intelligente Maschinen ersetzt. Die Künstliche Intelligenz (KI) wird nach dieser Lesart schon bald alle Aspekte des Lebens durchdringen. Das zumindest stimmt. Allerdings ist die KI noch lange nicht so mächtig, wie die Medien es gerne schreiben. «In Wirklichkeit ist KI schon jetzt überall», schreibt Janelle Shane. «Sie beeinflusst, was wir online erleben, legt fest, welche Werbeanzeigen wir zu sehen bekommen, und schlägt uns Videos vor.» Aber oft mit arg beschränktem Erfolg. «Oft wird KI als deutlich leistungsfähiger angepriesen, als sie es tatsächlich ist. Manche Unternehmen behaupten Dinge, die klar ins Reich der Science-Fiction gehören.» In ihrem Einführungsbuch erklärt Janelle Shane gut verständlich und unterhaltend Möglichkeiten und (vor allem) Grenzen der KI. Ein normales Computerprogramm hält sich strikt an die Anweisungen: Es arbeitet genau die einprogrammierten Regeln ab und zwar präzis entlang des Weges, den die Programmierer vorgegeben haben. Von KI spricht man dann, wenn ein Algorithmus für maschinelles Lernen sich seinen Weg zum vorgegebenen Ziel durch selbstständiges Ausprobieren selber sucht. «Die Programmierung einer KI hat mehr Ähnlichkeit damit, einem Kind etwas beizubringen, als damit, einen Computer zu programmieren», schreibt Shane. Inklusive Fehlleistungen. 

Janelle Shane beschreibt zunächst genau, was Künstliche Intelligenz ist, was sie kann – und was eben nicht. Kurz gesagt: Je enger eine Aufgabe umrissen ist, desto besser lässt sie sich durch eine KI lösen. So sind KI-Systeme heute in der Lage, zum Beispiel Blutkörperchen auf entsprechenden medizinischen Aufnahmen zu zählen. Sie machen das besser als Ärzte, weil sie dabei nicht ermüden. Eine komplexe Diagnose können KI-Systeme aber nicht stellen. Interessant ist, was Shane über das selbstfahrende Auto schreibt: Die Frage sei noch nicht beantwortet, «ob das Problem des automatisierten Fahrens begrenzt genug ist, um von heutiger KI gelöst zu werden, oder ob eher eine Art menschenunterstützte allgemeine künstliche Intelligenz gebraucht wird.» Denn die KI, die das Auto lenkt, ist zwar in der Lage, die repetitive Anteile des Autofahrens viel besser zu meistern als Menschen, sie kann aber nicht mit völlig neuen Situationen umgehen. Als VW ihre selbstfahrenden Autos in Australien testete, konnte die KI nicht mit Kängurus umgehen, weil sie noch nie so etwas hatte herumhüpfen sehen. Menschen haben damit kein Problem – sie verfügen über Intuition.

Damit sich die Grenzen der KI besser erschliessen, erklärt Shane, wie eine Maschine lernt, wie neuronale Netzwerke funktionieren und wie Trainingsprozesse ablaufen. Auch wenn das im Detail kompliziert ist, bleibt Shane gut verständlich, weil sie eingängige Beispiele verwendet. Zum Beispiel kann man sich die Funktionsweise eines neuronalen Netzwerks einfach besser merken, wenn es dabei um Erdnussbutter-Marshmallowcreme-Sandwiches geht. Das ist die grosse Stärke des Buchs: Die Beispiele sind gut verständlich und oft sehr unterhaltend. Man versteht das Problem des ungenauen Dateninputs einfach besser anhand der fehlerhaften Rezeptanalyse, die in Zutaten wie «geschnittenem Mehl» resultierte.

In mancherlei Aspekten erinnert die KI tatsächlich an Kleinkinder . Oder an die Geschichten über die Schildbürger. Denn Computer machen immer genau das, was man von ihnen verlangt. Wenn es etwa verboten ist, ein Game zu verlieren, pausieren sie es einfach ewig (Ziel erreicht). «Auch wenn KI immer leistungsfähiger wird, kann sie nicht erahnen, was wir tatsächlich von ihr wollen. Sie wird versuchen, unseren Wünschen zu entsprechen. Aber es kann immer eine Diskrepanz bestehen zwischen dem, was wir von der KI erwarten, und dem, was wir ihr sagen», schreibt Shane. Besonders problematisch ist das da, wo wir uns unserer Vorurteile selber nicht bewusst sind, sie aber in den Trainingsprozess der KI einfliessen lassen. Wird KI, wie das immer wieder befürchtet wird, irgendwann die Menschen überflügeln? «Wahrscheinlich nicht zu unseren Lebzeiten», schreibt Shane. «In absehbarer Zukunft geht die Gefahr nicht von zu schlauen KIs aus, sondern von KIs, die nicht schlau genug sind. Oberflächlich wird es so scheinen, als würde KI immer mehr verstehen.» Doch unter der Motorhaube der künstlichen Intelligenz geht es weiterhin «nur um die Erkennung von Mustern. Die KI weiss nur, was sie gesehen hat und was sie oft genug gesehen hat, damit es für sie einen Sinn ergibt.» Die Welt und vor allem die Menschen stecken voller so bizarrer Überraschungen, die keinem Muster entsprechen, dass eine KI sich noch auf lange Sicht hinaus daran die Zähne ausbeissen wird. Die wichtigsten drei Sätze im buch lauten deshalb: «Die Gefahr ist nicht, dass eine KI zu schlau ist, sondern dass sie nicht schlau genug ist.» Und weiter: «Die ‹Intelligenz› einer KI entspricht ungefähr der eines Wurms.» Immerhin. Vor allem aber: «KI versteht die zu lösenden Probleme nicht wirklich.» Ein spannendes, ein wichtiges und zum Glück auch ein unterhaltend geschriebenes Buch. 

Janelle Shane: Künstliche Intelligenz. Wie sie funktioniert und wann sie scheitert. Eine unterhaltsame Reise in die seltsame Welt der Algorithmen, neuronalen Netze und versteckten Giraffen. O’Reilly, 250 Seiten, 33.50 Franken; ISBN 978-3-96009-160-8

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783960091608

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