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Küentzi und Clare
Im ersten Band seiner Geschichte über den Konversen Küentzi hat Ruedi Gröflin erzählt, wie sein Held im Klingental aufwächst und die Nonne Clare heiratet. Die beiden müssen deshalb aus Basel flüchten und finden in Strassburg Unterschlupf beim Mystiker Rulman Merswin. Da setzt dieser zweite Band der Geschichte ein. In Strassburg wütet 1449 die Pest. Die Kirche schiebt die Schuld dafür den Juden und den Ketzern in die Schuhe. Wie in Basel kommt es auch in Strassburg zur Judenverbrennung. Bequemerweise können sich viele Bürger auf diese Weise auch von den Schulden befreien, die sie beiden Juden haben. Küentzi und Clare werden mit ihrer Familie Zeuge der schrecklichen Verbrechen. Ihre Vergangenheit macht sie verdächtig. Sie sind in Strassburg nicht mehr sicher, zumal Mystiker Merswin von der Inquisition untersucht wird. Wieder müssen sie mit ihren Kindern fliehen. Ruedi Gröflin zeichnet mit seinem historischen Roman ein präzises Bild vom Oberrhein Mitte des 14. Jahrhunderts. Sein Roman ist damit die perfekte Ergänzung zur kürzlich erschienen Stadtgeschichte.
Das 14. Jahrhundert war in mehrerlei Hinsicht für die Region Basel eine düstere Zeit. Die Stadt Basel wurde 1356 von einem schweren Erdbeben erschüttert. Missernten und die Pest sorgten für Not und viele Tote in der Region. Dazu kamen heftige Auseinandersetzungen in der Kirche. Ab 1309 residierten die Päpste in Avignon. Nach ihrer Rückkehr nach Rom folgte eine Zeit der Wirrnis mit mehreren Päpsten und Gegenpäpsten. Daraus resultieret ein umstrittenes Verhältnis zwischen Papst und Kaiser. Adel und Obrigkeiten wurden zur Parteinahme gezwungen. Dazu kamen neue Strömungen innerhalb der Kirche, ein Zirkel von mystisch interessierten Klerikern und Kaufleuten und Klosterfrauen. An der Pest starben nicht nur viele Menschen, sie erschütterte auch die Menschen. Viele sahen in der Pest eine Strafe Gottes. Der Zorn des Volkes richtete sich rasch gegen Minderheiten, insbesondere gege die Juden. Der Basler Adel, der bei den Basler Juden verschuldet war, mobilisierten gezielt gegen die jüdische Gemeinschaft. Der Basler Rat schloss sich der antijüdischen Bewegung an – nachdem er sich mit anderen Räten in der Region abgestimmt hatte. 1349 liess er alle Basler Juden verbrennen.
In seinem Buch zeigt Ruedi Gröflin plastisch, welche Folgen diese unsicheren Zeiten für einfache Menschen hatten. In seiner Geschichte flüchten Küentzi und Clare zunächst nach Strassburg zu einem Mystiker. Bald holen sie aber auch da Judenpogrome und Ketzerverfolgung ein, sie flüchten weiter. Begleitet wird die junge Familie von Rachel, einer gebildeten jungen Frau mit geheimnisvollem Hintergrund. Unterwegs fallen sie Räubern zum Opfer – sichere Wege gibt es nicht. Sie werden von Bauern ausgebeutet, arbeiten bei einem burschikosen Ritter um ihr Leben und schlagen sich mit Tatkraft und List irgendwie durch.
Spannend ist das Buch, weil Ruedi Gröflin den Alltag im 14. Jahrhundert plastisch beschreibt. Was die Familie isst, wie Clare Wunden versorgt, wie mühsam sich das Reisen gestaltet, wie unübersichtlich die politisch-religiöse Landschaft am Oberrhein ist. Ein falsches Wort genügt und die flüchtige Nonne Clare macht sich verdächtig. Es ist Geschichtsunterricht am lebenden Beispiel im besten Sinn.
Ruedi Gröflin: Küentzi und Clare. Historischer Roman. Infolücke-Verlag ILV, 372 Seiten, 19.80 Franken; ISBN 978-3-907237-67-0
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783907237670
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