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Klick. Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten

Publiziert am 14. Oktober 2021 von Matthias Zehnder

Gerd Gigerenzer ist Psychologe und war Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Er sagt: Künstliche Intelligenz (KI) wird massiv überschätzt. Wer glaubt, die KI werde bald den Menschen übertrumpfen, hat nicht verstanden, wie Computer funktionieren. In seinem neuen Buch zeigt und erklärt er, wo die Grenzen von Computern und künstlicher Intelligenz sind. Die Maschinen sind nicht etwa unfähig. Ihre grossen Fähigkeiten sind bloss beschränkt auf geschlossene Systeme in stabilen Welten mit klaren Regeln. Deshalb können Computer extrem gut Schach spielen, aber sie haben keine Ahnung, wie sie zum Beispiel das Verhalten eines Babys berechnen können. In seinem Buch beschreibt er, wie Computer und KI zum Beispiel an der Partnerwahl scheitern, weil Personen viel komplexer sind als die Profile, die sie hinterlegen. Er erläutert, warum es nie wirklich selbstfahrende Autos geben wird, es sei denn, man sperre die Strasse für menschliche Fahrer (was in China zum Teil bereits gemacht wird). Denn eine Strasse mit (menschlichen) Autofahrern, Radfahrern, Fussgängern und spielenden Kindern ist extrem komplex. Ein Computer kann das Verhalten all dieser Menschen nicht zuverlässig voraussagen. Er zeigt, warum auch die besten KI-Systeme immer wieder an Übersetzungen der menschlichen Sprache scheitern. Es sei denn, Sie erraten es, die Sprache in einem geschlossenen System wie einer Anwaltskanzlei oder den Diagnosen einer Klinik eingesetzt wird.

Gigerenzer rechnet in seinem Buch gnadenlos ab mit Künstlicher Intelligenz und Selbstlernenden Netzwerken. Manchmal kriegt man bei der Lektüre fast schon Mitleid mit den armen Computern. Es sei deshalb daran erinnert, dass die KI trotz allem gigantische Fortschritte gemacht hat und auch heute noch verblüffende Resultate erzielt – wenn sie richtig eingesetzt wird. Richtig ist der Einsatz dann, wenn die Datenqualität stimmt, wenn also die Ausgangsdaten so gut sind, dass das neuronale Netz tatsächlich etwa (und zwar das richtige) daraus lernen kann. Am besten funktionieren KI-Systeme in geschlossenen Systemen, also nicht auf der offenen Strasse, sondern zum Beispiel in der Überwachung von Fertigungsprozessen in einem Industriebetrieb mit standardisierten Abläufen. An solchen Orten können Computer Gigantisches leisten. Umgekehrt bleiben Menschen in vielen Bereichen auch den besten KI-Systemen meilenweit überlegen. Gigerenzer sieht vier Elemente, die den «gesunden Menschenschenverstand» ausmachen:

  • Kausales Denken, das heisst die Struktur von Ursache und Wirkung in der Welt zu verstehen.
  • Intuitive Psychologie, das heisst die Absichten und Überzeugungen anderer Menschen zu verstehen.
  • Intuitive Physik, das heisst die Eigenschaften von Zeit und Raum zu verstehen.
  • Intuitives Sozialverhalten, das heisst Kooperation, Konkurrenz, soziale Normen und Ethik.

Die Summe dieser Fähigkeiten bezeichnet Gigerenzer als gesunden Menschenverstand: «Gesunder Menschenverstand ist gemeinsames, durch das biologische Gehirn ermöglichtes Wissen über Menschen und die physische Welt und bedarf nur begrenzter Erfahrung.» Während ein Computer Tausende von Bildern braucht, um das Muster abzuleiten, das eine Katze ausmacht, muss ein Kleinkind, zwei, drei Katzen begegnen, um sich einen Begriff davon zu machen, was eine Katze ist. Während sich das Kleinkind ein Konzept von Katze merkt, sammelt der Computer nur grafische Muster – und ist völlig hilflos, wenn er auf ein neues Muster stösst. Umgekehrt ist der Computer in der Lage, in kürzester Zeit Millionen von Bildern zu analysieren und zum Beispiel einen Fehler zu finden.

Ein spannendes Buch, das zum Denken anregt – und dazu auffordert, den Marketingversprechen der Tech-Konzerne zu misstrauen. Es ist, so schreibt es Gigerenzer selbst, «eine Anleitung, wie wir in einer zunehmend von Algorithmen bevölkerten Welt souverän bleiben und das Steuer in der Hand behalten.» Man könnte auch sagen: Es ist ein Buch, das einem den Glauben an den Menschen und seine zentralen Fähigkeiten zurückgibt.

Gerd Gigerenzer: Klick. Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen. C. Bertelsmann, 416 Seiten, 34.90 Franken; ISBN 978-3-570-10445-3

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783570104453

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