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Kleine Geschichte des Rahmenabkommens

Publiziert am 4. Mai 2020 von Matthias Zehnder

Die Coronakrise hat das Rahmenabkommen in der EU zwar aus den Schlagzeilen verdrängt – das Thema wird uns aber garantiert wieder einholen. Vor Corona wurde es in der Schweiz so heftig wie emotional diskutiert. Dieses Buch setzt den Emotionen Wissen um die Geschichte und nüchterne Argumentation über die Sache gegenüber. Felix E. Müller, bis vor kurzem Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», dröselt die Geschichte des Abkommens auf. Er beginnt mit dem Nein der Schweizer Stimmbevölkerung zum EWR-Beitritt 1992. Er schildert, wie die «pragmatischen Schweizer» daraus den bilateralen Weg entwickelten und beschreibt, wie schon früh das Konzept eines Assoziationsabkommens mit der EU auf den Tisch kam. Die Idee dafür stammte aus dem Jahr 1961. Sie kollidierte jedoch mit den Absichten, früher oder später der EU beizutreten. Müller schildert, wie sich die Idee eines Abkommens weiterentwickelte und schliesslich auch vom Bundesrat aufgegriffen wurde.

Journalisten und Beobachter neigen dazu, die EU-Politik des Bundes als Sachpolitik zu diskutieren. Sie wägen also die sachlichen Vor- und Nachteile einer Lösung ab. Müller zeigt im Buch aber, wie stark die EU-Politik des Bundes von Machtpolitik geprägt ist. Dabei geht es nicht bloss um die Auseinandersetzung zwischen Bern und Brüssel, sondern um Auseinandersetzungen innerhalb des Bundes, konkret um das Bestreben, die Aussenpolitik nicht einfach dem Aussendepartement zu überlassen. Denn die sieben Bundesräte sind nicht in erster Linie ein Team, sie sind in erster Linie politische Konkurrenten. Müller schreibt sogar, jedes Departement verfolge eine eigene Europapolitik.

Wie wir alle wissen, liegt mittlerweile nach zwanzig Jahren Diskussionen und fast fünf Jahren konkreter Verhandlungen ein Abkommen vor, das die EU als letzte Offerte bezeichnet. Die Schweiz zögert aber, darauf einzusteigen. «Das ist insofern paradox, als sie ursprünglich die Idee eines Rahmenabkommens in die Welt setzte, dabei aber auf wenig Echo bei der EU stiess», schreibt Müller. Wie es weitergeht, ist deshalb, auch nach der Lektüre des Buchs von Müller, völlig offen. Die Schweiz muss nach wie vor abwägen zwischen wirtschaftlichen Nachteilen und Einschränkungen der Souveränität. Man darf gespannt sein, ob die Coronakrise und ihre verheerenden, wirtschaftlichen Folgen das Patt in dieser Frage auflösen. Müllers Buch jedenfalls hilft, die Idee des Rahmenabkommen zu verstehen – und erzählt dabei gleichzeitig ein spannendes Stück jüngster Schweizer Geschichte.

Felix E. Müller: Kleine Geschichte des Rahmenabkommens. Eine Idee, ihre Erfinder und was Brüssel daraus machte. NZZ Libro, 100 Seiten, 21 Franken; ISBN 978-3-03810-470-4

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783038104704

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Buchtipp zum Wochenkommentar vom 30. April 2020: Der tiefere Sinn von Baumärkten und Friseuren

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/