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Kant

Publiziert am 25. Juli 2025 von Matthias Zehnder

Immanuel Kant ist ein Gigant. Er gilt als der bedeutendste Philosoph der Neuzeit: «Seit Platon und Aristoteles hat niemand über so viele und unterschiedliche Themen tiefer und innovativer nachgedacht als Kant», schreibt Marcus Willaschek in seinem spannenden Buch über Kant. Er begründete eine neue Metaphysik, er erklärte die Entstehung des Planetensystems und formulierte mit dem kategorischen Imperativ eine radikal-rationale Begründung der Moralphilosophie. Auf ihn geht die moderne Idee der Menschenwürde zurück. Kein Zweifel: «Sein Denken hat nicht nur Philosophie und Wissenschaft, sondern auch das deutsche Grundgesetz und die Vereinten Nationen geprägt», schreibt Willaschek. Sein Buch ist keine durchgehende Erzählung, sondern besteht aus 30 in sich geschlossenen Essays über das Werk von Kant. Es beginnt mit Politik und Geschichte, gefolgt von Moral, Recht, Religion, Natur, Erkenntnis und Metaphysik. Willaschek erzählt also nicht ein Leben, sondern ermöglicht den Einstieg in das Denken von Kant und führt uns nach und nach an die abstrakteren Bereiche dessen Philosophie heran. Kant war für sein kritisches Denken bekannt, seine wichtigsten Werke waren die «Kritiken». Marcus Willaschek betreibt deshalb keine philosophische Heldenverehrung, sondern setzt sich kritisch mit Kant auseinander, wie das der kritische Denker Kant verdient. Deshalb setzt sich Willaschek auch mit Kants rassistischen und antisemitischen Äusserungen auseinander, mit seinen herabsetzenden Urteilen über Frauen und seiner moralischen Verurteilung der Homosexualität. «Es gibt an ihnen nichts zu beschönigen: Sie sind falsch und fallen hinter Kants eigene Einsichten zurück», schreibt Willaschek. «Doch dürfen sie auch nicht den Blick auf die grossartigen Leistungen Kants verstellen und von dem zutiefst humanen Geist ablenken, der sein Werk bestimmt.»

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Kants Leben und Denken war von drei Revolutionen geprägt. Damit beginnt auch das Buch von Marcus Willaschek. Die erste Revolution ist eine persönliche: Sie ereignete sich um Kants vierzigsten Geburtstag herum und machte aus dem Naturwissenschaftler und Metaphysiker Kant einen ethischen und politischen Denker. Die zweite Revolution war eine Revolution des Denkens. Sie vollzog sich in den 1770er Jahren und fand ihren Ausdruck in Kants Hauptwerk, der Kritik der reinen Vernunft von 1781. Die Revolution bestand darin, dass Kant das menschliche Subjekt in den Mittelpunkt der Welt stellte. Die dritte Revolution setzte am 14. Juli 1789 in Paris mit der Erstürmung der Bastille ein. Sie führte zur Erklärung der Menschenrechte. «Die Französische Revolution radikalisierte Kants politisches Denken und prägte seine späten Werke der 1790er Jahre», schreibt Marcus Willaschek.

Die 30 Essays in seinem Buch sind in fünf Teile gegliedert. Es beginnt mit Politik und Geschichte. Kant definiert den «ewigen Frieden» als das höchste politische Gut, beschäftigt sich mit dem Fortschritt der Menschheit und mit der Aufklärung und ihrer Dialektik. Der zweite Teil dreht sich um die Moral der Vernunft. Kernstück ist die Auseinandersetzung mit dem kategorischen Imperativ. Im dritten Teil geht es um Vernunftwesen in Gesellschaft: über Recht und Revolution, über geistiges und anderes Eigentum, über die Freiheiten eines untertänigen Knechts und das Reich Gottes auf Erden: Kants Vernunftreligion. Der vierte Teil widmet sich dem Menschen als Teil der Natur. Dazu gehört auch ein Kapitel über den Witz und andere Vermögen – also über Kant als Psychologe. Der fünfte Teil widmet sich metaphysischen Erkenntnissen und ihren Grenzen, also den Letzten Fragen und der Frage, ob und wie sie sich beantworten lassen. Marcus Willaschek fragt dabei auch: War Kant ein Atheist? Der sechste und letzte Teil schliesslich zeigt, wie das alles zusammenhängt und beschäftigt sich mit der Wirkung von Kant.

Weil die einzelnen Kapitel in sich geschlossen sind, eigene sich das Buch zum Schmökern und Blättern. Willaschek verortet in allen Kapiteln Kants Ideen in ihrem jeweiligen Kontext und schafft einen Bezug zu Kants Leben und seiner geschichtlichen Situation. Biografische und historische Miniaturen vermitteln auf diese Weise zugleich ein Bild von Immanuel Kant als Mensch in seiner Zeit. Anders als oft behauptet war Kant alles andere als ein Langweiler. Er war, schreibt Willaschek, «eine faszinierende, ja schillernde Persönlichkeit: ein sozialer Aufsteiger, als junger Mann eine elegante Erscheinung und ein beliebter Gesellschafter, im Alter Mittelpunkt eines grossen Freundeskreises». Er verbrachte zwar sein gesamtes Leben in Königsberg, aber er dozierte kenntnisreich über die entlegensten Teile der Welt.

Spannend daran ist, dass Kant keine vorgefertigten Antworten gibt, sondern dazu auffordert, sich kritisch mit der Welt auseinanderzusetzen und selber zu urteilen. Willaschek macht deutlich, dass Kant dabei auch in einigem irrte und in anderem seiner Zeit verhaftet blieb. «Aber seine zutiefst humane Denkweise, seine nüchterne Menschenkenntnis und sein unbedingter moralischer Anspruch können uns auch heute noch Orientierung geben – und uns Mut machen, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen.»

Marcus Willaschek: Kant. Die Revolution des Denkens. C.H. Beck, 430 Seiten, 39.90 Franken; ISBN 978-3-406-80743-5

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783406807435

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps finden Sie hier: https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/

Basel, 25.07.2025, Matthias Zehnder

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