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Inside Facebook. Die hässliche Wahrheit

Publiziert am 23. Juli 2021 von Matthias Zehnder

Sheera Frenkel und Cecilia Kang sind Reporterinnen bei der «New York Times». Sie berichten schon seit Jahren über Facebook. Für dieses Buch haben sie mit über 400 Mitarbeiter:innen und Expert:innen gesprochen. Sie sezieren den Koloss förmlich und arbeiten die beiden zentralen Probleme heraus: Facebook überwacht seine Nutzer:innen stärker als jeder Überwachungsstaat – und Facebook kann und will extreme Inhalte nicht einschränken. Eigentlich will die Plattform ja nur Gutes: Menschen miteinander vernetzen. Weil im Kern aber ein extrem mächtiger Algorithmus steht, mutiert das freundliche Freizeitalbum zum obsessiven Userüberwacher. Dabei ordnet Facebook dem Wachstum alles unter – auch die Sicherheit und den Anstand. Bis heute hat Facebook zudem keine Handhabe gefunden, wie sich extreme Inhalte einschränken lassen. Oder Facebook will die Handhabe nicht anwenden, weil eine Einschränkung das Wachstum und damit den Umsatz blockieren würde. Sheera Frenkel und Cecilia Kang erzählen keine völlig neue oder überraschende Geschichte. Ihr Verdienst ist es, diese Geschichte packend und untermauert mit vielen Fakten neu zu erzählen.

Zum Beispiel die Entstehung des Like-Buttons und seine Auswirkungen. Heute ist der Daumen-Hoch-Knopf das bekannteste Symbol für Facebook. Erfunden wurde er 2008. Der Knopf gab den Nutzern die Möglichkeit, ihren Freunden eine schnelle, positive Zustimmung zu senden. Klingt sympathisch. Facebook verknüpfte den Button aber mit seinem Algorithmus: Daumen hoch meint ja: gefällt mir. Und weil Nutzer:innen sich lieber (und deshalb länger) mit Inhalten beschäftigen, die ihnen gefallen, zeigt Facebook mehr von der Sorte, die ein User mit dem Daumen-hoch-Symbol gekennzeichnet hat. Wer ein paar Mal ein Katzenvideo geliked hat, dessen News Feed wird mit Katzenvideos geflutet. Das ist ja noch harmlos. Aber wer einmal einen extremistischen oder verschwörerischen Inhalt liked, sieht immer mehr davon und wird immer tiefer in diese Welt gezogen. Facebook hat mit dem Like-Button «eine neue Währung für das Internet entworfen, durch die Politiker, Marken und Freunde um Wertschätzung wetteiferten», schreiben die beiden Autorinnen.

Ähnlich verheerende Auswirkungen für die Nutzer:innen hatte die Entwicklung des Werbe-Geschäftsmodells von Facebook: Die Firma verkauft zwar nicht direkt Nutzerdaten an Werbekunden, macht es aber durch Targeting-Massnahmen möglich, Nutzer:innen äusserst präzis anhand von soziodemographischen Merkmalen anzusprechen. Dieses Werbemodell ist extrem effizient. Für Facebook wurde es zur Goldgrube – und für die Demokratie zur Totengrube. Jedenfalls wurde es zur Grundlage all der betrügerischen Aktivitäten russischer und anderer Hacker auf Facebook.

Dieser Teil der Facebookgeschichte ist wohl der spannendste Teil des Buchs: Sheera Frenkel und Cecilia Kang hatten Zugang zur internen Sicherheitsgruppe von Facebook und erzählen anhand deren Ermittlungen detailliert, wie die russischen hacker vorgegangen sind, um die amerikanischen Wahlen zu beeinflussen. Die Berichte zeigen zweierlei: Zum einen decken die beiden Autorinnen noch einmal das Ausmass der russischen Einflussnahme über Facebook auf, zum anderen belegen sie, dass Facebook sehr genau wusste, was vor den Wahlen ablief. Oder besser: Facebook hätte es wissen können. Die interne Sicherheitstaskfmorce meldete schon früh verdächtige Aktivitäten russischer hacker und verfolgte und dokumentierte die Aktivitäten über Monate. Aber ihre Warnungen versickerten auf dem Weg nach «oben»: CEO Mark Zuckerberg wurde zum Teil bewusst vor Informationen darüber abgeschirmt. 

Denn die russische Wahlbeeinflussung traf Facebook gleich an zwei heiklen Punkten: Zum einen machten die Hacker Facebook zur politischen Waffe im erbitterten Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton und unterliefen damit das Märchen der heilen, unpolitischen Facebook-Welt. Das Management von Facebook hatte bis dahin einigermassen erfolgreich zwischen den Fronten der Demokraten und der Republikaner laviert und versucht, sich als apolitisch zu geben. Zum anderen nutzten die Hacker den zentralen Mechanismus von Facebook aus: sie beuteten die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen aus. Sie machten damit nichts anderes als Facebook selbst – bloss fütterten sie die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen auf teuflische Art mit Falschinformationen. Das Buch zeigt schön, wie Facebook versuchte, das Ausmass der Hackeraktivitäten zu relativieren, ja zu vertuschen, weil das Management genau wusste, dass die Hacker den zentralen Mechanismus der Firma ausgenutzt hatten.

In Europa ist Mark Zuckerberg das einzige wirklich bekannte Gesicht von Facebook. Doch an seiner Seite arbeitete eine Frau, die für alle geschäftlichen Belange bei Facebook zuständig ist: Sheryl Sandberg ist seit 2008 Co-Geschäftsführerin und COO von Facebook. Zuckerberg ist der technische Kopf, Sandberg ist der wirtschaftliche Kopf von Facebook. Sie hat das Werbemodell von Facebook entwickelt und den Konzern mit harter Hand zur Geldmaschine geformt. Sie hat die Kontakte zu Washington und zur Politik, ihr unterstanden auch die Sicherheitsteams. Das Buch zeigt schön, dass sie gewiss nichts Böses will. Sie möchte, wie Zuckerberg auch, nur die Menschen vernetzen. Mit den Targetingmechanismen und der Aufmerksamkeitsorientierung von Facebook hat sie aber letztlich ein Monster geschaffen, das sie nicht mehr los wird.

Kurz: Ganz egal, ob Sie Facebook nutzen oder nicht – dieses Buch müssen Sie lesen, damit Sie verstehen, wie die Aufmerksamkeit der Menschen im internet ausgenutzt wird und wie die Geschäftsmodelle (und letztlich die Profitorientierung) der Netzwerkfirmen verhindern, dass die Ausbeutung von Daten und Aufmerksamkeit eingehegt werden kann.

Sheera Frenkel, Cecilia Kang: Inside Facebook. Die hässliche Wahrheit. S. Fischer Verlag, 384 Seiten, 34.90 Franken; ISBN 978-3-10-000066-8

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783100000668

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