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Imperium USA
Am 10. Dezember 2009 erhielt der damalige US-Präsident Barack Obama den Friedensnobelpreis. Die Entscheidung war umstritten. Denn schon damals war klar: Die USA sind nicht gerade als friedensstiftendes Land bekannt. Der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser sagt in seinem neuen Buch sogar, die USA seien die grösste Gefahr für den Weltfrieden. Er untermauert das mit vielen Fakten. So hat kein anderes Land seit 1945 so viele andere Länder bombardiert wie die USA. Kein anderes Land hat seit 1945 in so vielen anderen Ländern der Welt die Regierung gestürzt wie die USA. Kein anderes Land der Welt hat seit 1945 so viele verdeckte Kriege geführt wie die USA. Und kein anderes Land der Welt unterhält in so vielen anderen Ländern Militärstützpunkte. Daniele Ganser bezeichnet die USA deshalb als Imperium, also als eine Macht, welche die imperiale Vorherrschaft sucht.
Um diese These zu belegen, greift er weit zurück. Er erzählt die Geschichte der USA seit der Gründung von Jamestown 1607: Er schildert die Entstehung der Unabhängigkeitserklärung von 1776, den Kampf gegen Grossbritannien, den Krieg gegen Mexiko 1846, die Ausbeutung von Schwarzafrikanern als Sklaven, den Bürgerkrieg und Abschaffung der Sklaverei 1865, die Weltkriege und vor allem die Kriege und die verdeckten Operationen seit 1945, darunter der Vietnamkrieg und die Kriege in Afghanistan und im Irak. Das alles ist schlüssig und faktenreich erzählt – aber es ist immer sehr deutlich an der Kernthese des Buches ausgerichtet: Die USA sind ein Imperium, das mit kriegerischer Macht den Globus beherrschen will und von einigen wenigen Superreichen gesteuert wird.
Ganser schreibt selbst: «Über die USA ist schon viel geschrieben worden. Auch dieses Buch ist nur eine Perspektive unter vielen möglichen Perspektiven.» Allerdings schreibt er das erst in der Danksagung am Schluss des Buches – vorher ist von anderen möglichen Perspektiven auf die USA kaum die Rede. Wenn Ganser vom «militärisch-industriellen Komplex» schreibt, der die USA im Griff habe oder von den Superreichen, die das Imperium lenken, verengt sich seine Perspektive zuweilen etwas gar stark auf seine These. Besonders deutlich wird das im Kapitel über das «digitale Imperium», wenn Ganser über Google, Facebook, Wikipedia und das Internet generell schreibt. Er unterstellt den grossen Tech-Konzernen intensionales Handeln im Sinne seiner These, was so simplifiziert sicher nicht haltbar ist. So wirft Ganser Wikipedia vor, Kritiker US-amerikanischer Politik gezielt zu diskreditieren. Er macht dies am eigenen Beispiel fest, also am Wikipedia-Artikel über sich selbst. Das Beispiel zeigt, dass Gansers stark intentional gefärbter Blick auf die Welt zuweilen etwas sehr einseitig ist. Für meinen Geschmack schiesst Ganser damit über das Ziel hinaus und unterminiert die eigene gute Absicht. Nichtsdestotrotz ist sein Buch als eine Perspektive unter vielen möglichen Perspektiven und als Gegengewicht zu einer hierzulande etwas gar amerkiagläubigen Geschichtsschreibung durchaus lesenswert.
Daniele Ganser: Imperium USA. Die skrupellose Weltmacht. Orell Füssli, 400 Seiten, 34.90 Franken; ISBN 978-3-280-05708-7
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783280057087
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