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Ich schreibe unentwegt ein Leben lang

Publiziert am 29. Juli 2020 von Matthias Zehnder

Marcel Reich-Ranicki war ein wortgewaltiger Literaturkritiker, ein angriffiger Zeitgenosse, ein «Ruhestörer» im Kulturbetrieb, wie er es selber sagte. Lange blieb er allerdings auffällig still, wenn es um seine eigene Person ging. Das änderte sich erst mit der Publikation seiner wunderbaren Autobiographie «Mein Leben». Anfang 1986, also lange bevor 1999 die Autobiographie erschien, führte der Paul Assall im Auftrag von Verleger Egon Ammann ein langes Interview mit Reich-Ranicki über sein Leben, sein Schreiben und die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Asall war damals Radiojournalist: Er war Redakteur und Interviewer der Hörfunk-Gesprächsreihe Zeitgenossen des Südwestfunks. Verleger Egon Ammann hatte ihn damit beauftragt, ein biographisches Gespräch mit Reich-Ranicki zu führen. Peter von Matt, damals noch Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Zürich, führte ein zweites, ein literaturkritisches Gespräch. Dieses zweite Gespräch ist 1992 unter dem Titel «Der doppelte Boden» erschienen. Das Gespräch von Paul Assall mit Reich-Ranicki ist, wohl aus Rücksicht auf die geplante Autobiographie, dagegen nie erschienen. Bis heute: Der Piper-Verlag hat das Gespräch im Hinblick auf den 100. Geburtstag von Reich-Ranicki veröffentlicht. Es liest sich so lebendig und spannend, wie wenn es soeben erst geführt worden wäre.

Interessant ist, was Reich-Ranicki am Schluss des Gesprächs über das Schreiben sagt. Auf die Frage, ob er denn nie daran gedacht habe, selbst zu schreiben, antwortet Reich-Ranicki: «Ich schreibe doch unentwegt ein Leben lang.» Paul Assall fragt nach: «Nicht Kritiken, sondern auf der anderen Seite?» Da wehrt der Mann, der wenig später eine Autobiographie vorlegen wird, die sich wie ein Roman liest und zu einer der meistgelesenen Autobiographien im deutschsprachigen Raum avancieren wird: «Ich muss Ihnen eins offen sagen: Ich habe nie im Leben ein Gedicht geschrieben, nie ein Drama, nie einen Roman. Ich wollte von Jugend an Kritiker werden.» Er habe nie die Fähigkeit gespürt oder die Berufung, Romancier oder Lyriker zu sein. Warum nicht? «Weil ich nicht die Begabung dazu habe. Kritiker haben oft genug die Menschheit mit ihren Romanen, Theaterstücken und Gedichten belästigt. Unter den Zeitgenossen gibt es auch solche Beispiele. Gott beschütze mich davor, dies auch zu tun.» Gott und Reich-Ranicki haben es sich offenbar dann anders überlegt. Zum Glück.

Paul Assall: «Ich schreibe unentwegt ein Leben lang». Marcel Reich-Ranicki im Gespräch. Piper, 160 Seiten, 18.50 Franken; ISBN 978-3-492-31643-9

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783492316439

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Buchtipp zum Wochenkommentar vom 24. Juli 2020: Digitalkompetenz statt Zensur

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