Buchtipp

Nächster Tipp: 1760-1859: Hinter der Mauer, vor der Moderne
Letzter Tipp: Warum Wein einst gesünder als Wasser war

Hoffnung

Publiziert am 18. Dezember 2024 von Matthias Zehnder

Er werde, erzählt Philipp Blom, an Veranstaltungen immer wieder gebeten, am Ende noch etwas Hoffnungsvolles zu sagen. Das habe ihn immer in Verlegenheit gebracht: «Kann man in diesen Zeiten noch hoffen?» Deshalb hat er dieses Buch geschrieben. Darin stellt er sich ein Gespräch mit jugendlichen Lesern vor und geht der Hoffnung deshalb in «Du»-Form auf den Grund. Und tut sich schwer damit. Viele Menschen meinen, dass sie ein Recht darauf haben, in Sicherheit und Wohlstand zu leben, ja dass sie ein Recht auf Glück haben. Die Vision von einem guten Leben «schrumpft ihnen zu einem Verbraucherrecht», schreibt Philipp Blom. «Sie führen ein Leben mit Sicherheitskonzept und Schutzweste, mit Garantie, Rückgaberecht, Kreditplan, Verbraucherschutz, DIN-Normen, Zulassungsprozessen und Zertifizierung. Jede Enttäuschung kann in eine Beschwerde münden, in eine Klage, eine Verurteilung.» In einem solchen Leben schrumpft Hoffnung auf eine Art Zukunftsgarantie. Doch die Menschheit sei, schreibt Blom, in einer «dreifachen existenziellen Krise, die sich in zahllose kleinere zersplittert, die sich vielfach überlappen. Die drei ineinandergreifenden Arme dieser Krise sind die Erderhitzung, der Zusammenbruch der Artenvielfalt und die Risiken von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz.» Jede davon habe das Potenzial, das Leben auf diesem Planeten auszulöschen – und alle haben sie schon heute drastische Konsequenzen. Wo bleibt da noch Platz für Hoffnung?

PDF-Version

In den letzten Jahrzehnten haben wir uns daran gewöhnt, dass Technik und Forschung uns mit stetigen Fortschritt verwöhnt. Die alten Griechen waren nicht so fortschrittsgläubig. In der griechischen Mythologie leert Pandora ihre Büchse aus und alles Übel entweicht und verbreitet sich auf der Welt. Nur die Hoffnung bleibt darin. Die Hoffnung, ein übrig gebliebenes Übel, das über die Menschheit kommt? So schlimm ist es nicht: Die Büchse der Pandora stehe für «das weibliche, schöpferische Prinzip. Die Hoffnung lebt noch ungeboren im Schoss der Erde», schreibt Blom. Er sagt, dass Pandora und Prometheus «die kollektive Erfahrung in der griechischen Gesellschaft» erzählen. Sie berichten vom «Wagnis der Selbstdefinition, eine Tollkühnheit, die die Götter erzürnen musste, und die Strafen, die dafür in die Welt gekommen waren». Prometheus ist eine trotzige Figur. Technik und Erfindungen können zum ersten Mal die Welt verändern und verbessern. Es schien möglich. «die natürliche Welt zu verändern, zu kontrollieren. Alle Probleme, von Hunger bis Krankheit und Krieg, würden sich durch Forschung und Technologie lösen lassen, jedes Problem und jedes Übel.» Diese Erfahrung, die in den letzten Jahrhunderten von immer neuen Entdeckungen und Erfindungen immer wieder bestätigt wurde, machte das Hoffen einfach, weil die Technik die Natur einzuholen und bald schon zu überflügeln schien. «Die Aufmerksamkeit wechselte vom Himmel auf die Erde, weil die Menschheit hier ganz offensichtlich an einer guten Sache arbeitete, am Fortschritt, am Werk der Vorsehung, der Vervollkommnung der Schöpfung», schreibt Blom. Gibt es also Grund zur Hoffnung?

«Nein» schreibt Philipp Blom, «wir werden die Klimaerwärmung wie andere Katastrophen nicht abwenden, und ja, das wird tragische Konsequenzen haben». Es sei nun mal so, dass wir nicht in einem Cartoon oder einem Bollywood-Epos leben, «in dem die Welt drei Minuten vor Schluss durch ein Wunder gerettet werden kann». Die Welt sei ein «tödlicher Ort, an dem es trotzdem möglich ist, gut zu leben, zu hoffen, solange man sich von der naiven Idee verabschiedet, Hoffnung sei nichts anderes als eine Garantie auf eine bessere Zukunft, auf den endgültigen Sieg der Good Guys.»

Ist Hoffnung Weltflucht? «Sie neigt dazu, ja», schreibt Philipp Blom. Sie müsse deswegen aber nicht zum «Getaway Driver für deine unrealistischen Erwartungen» werden. Bei Pandora bleibe die Hoffnung im Schoss der Erde zurück, aus dem der Reichtum der Natur komme. «Sie kann etwas Neues gebären, neue Pflanzen und Tiere, neue Variationen». Hoffnung kann zum Anfang werden. Zum Anfang von Leben.

Aber hat dieses Leben einen Sinn? «Oder ist das nicht noch so ein Wort, das wir den Theologinnen überlassen sollten? Deren Art von Sinn: ja», schreibt Blom. Und dann greift er in die Trickkiste. Es gibt nämlich noch eine andere Möglichkeit, über Sinn zu sprechen. Ein Stein zum Beispiel bekommt einen Sinn, wenn ihn «in eine Mauer einmauere, ihn jemandem an den Kopf schleudere oder eine Skulptur aus ihm haue». So, wie ein Stein einen Sinn haben kann, können auch wir unserem Leben einen Sinn geben. Aber warum ist das so wichtig? «Ich glaube», schreibt Philipp Blom, «weil wir die einzigen Tiere sind, die wissen, dass sie sterben werden.» Je mehr er darüber nachdenke, desto mehr sei er davon überzeugt, dass Menschen von drei Grundmotivationen angetrieben werden: Eros (also Sex), Thanatos (also Todesangst) und die Sehnsucht nach Sinn. «Wir teilen den Eros, das Begehren, mit allem Leben, und wir teilen auch den Tod – die Todesangst scheint Homo sapiens aber für sich allein gepachtet zu haben.» Die Sehnsucht nach Sinn sei die Antwort auf diese Todesangst. Und wie kommen wir zu einem Sinn? Indem wir uns Geschichten erzählen. «Diese Sehnsucht nach Sinn macht aus Homo sapiens geschichtenerzählende Tiere. Alle Menschen in allen Kulturen, die wir kennen, erzählen Geschichten, von frühester Kindheit an. Kinder sind süchtig nach Geschichten und nach Wiederholung.»

Aber wie können wir hoffen, wenn wir wissen, dass wir es nicht schaffen werden, die Welt zu retten, dass wir eines Tages alle tot sein werden? Es gebe keinen «endgültigen Zustand der Glückseligkeit», keine Unsterblichkeit, kein Paradies. «Wir wissen, dass wir alle eines Tages tot sein werden – und trotzdem stehen wir jeden Morgen auf und tun sinnvolle Dinge, setzen uns ein für Dinge und Menschen, die uns wichtig sind.» Das ist ein Paradox. Aber genau daraus sieht Philipp Blom eine Kraft wachsen. «Hoffnung», schreibt er, «entsteht aus der Weigerung, sich einfach ins Unvermeidliche zu schicken». Am Ende stelle sich heraus, dass wir nichts anderes haben als «das tägliche Leben und die täglichen Ängste und Träume und die tägliche Praxis». Es gehe nicht um das «Erreichen historischer Ziele oder das Vermeiden schrecklicher Katastrophen», sondern um «das tätige Leben und Lieben und Gestalten, die Verletzlichkeit des Handelns». Es geht, sagt Philipp Blom, nicht um das Happy End wie in einem Hollywood-Film, sondern um die Geschichte selbst, den Augenblick, das tätige Leben.

Philipp Blom: Hoffnung. Über ein kluges Verhältnis zur Welt. Hanser, 184 Seiten, 31.50 Franken; ISBN 978-3-446-28135-6

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783446281356

Wenn Sie das Buch lieber digital für Ihren Kindle beziehen möchten, klicken Sie hier

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps finden Sie hier: https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/

Abonnieren Sie meinen Newsletter, dann erhalten Sie jede Woche den Hinweis auf das Sachbuch der Woche in Ihre Mailbox geliefert: https://www.matthiaszehnder.ch/abo/

Abonnieren Unterstützen Twint-Spende