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Herrschaft

Publiziert am 3. Juni 2021 von Matthias Zehnder

Tom Holland erzählt in diesem Buch nichts geringeres als die Geschichte des Westens: Holland zeigt, wie es dazu kam, dass wir im Westen wurden, was wir sind, und so denken, wie wir denken. Er beginnt dabei mit der Kreuzigung von Jesus. Er will zeigen, warum «ein Kult, der von der Hinrichtung eines obskuren Verbrechers in einem längst untergegangenen Reich inspiriert war, einen derart verwandelnden und anhaltenden Einfluss auf die Welt» ausübt. Dabei schreibt er keine Geschichte des Christentums. Tom Holland geht jenen Strömungen christlichen Einflusses nach, die sich am weitesten ausgebreitet haben und die bis zum heutigen Tag am wirksamsten geblieben sind. Warum ist das wichtig? Warum stellt Holland die Kreuzigung von Jesus derart ins Zentrum? Holland schreibt: «Heute, in einer Zeit seismischer geopolitischer Verschiebungen, da sich herausstellt, dass unsere Werte nicht annähernd so universal sind, wie viele von uns angenommen haben, müssen wir dringender als je zuvor erkennen, wie kulturell kontingent diese Werte sind. Wer in einem westlichen Land lebt, lebt in einer Gesellschaft, die nach wie vor mit christlichen Vorstellungen und Voraussetzungen durchsetzt ist.» Das sei keine Frage der Religion, es gelte für Juden oder Muslime ebenso wie für Katholiken oder Protestanten. Und es sei auch keine Glaubensfrage: Man müsse nicht an die Auferstehung Christi glauben, «um von dem beachtlichen, um nicht zu sagen unausweichlichen Einfluss des Christentums geprägt zu sein.» Holland schreibt, Historiker hätten nicht die Aufgabe, darüber nachzudenken, ob die Geschichte von der Auferstehung Jesu tatsächlich wahr sei: «Sie studieren das Christentum nicht um dessen willen, was es über Gott, sondern was es über die menschlichen Belange auszusagen vermag.» 

Holland will in seinem Buch nachzeichnen, wie «der Glaube, dass der Sohn des einen Gottes der Juden an einem Kreuz zu Tode gefoltert worden war, so nachhaltig und weit verbreitet werden konnte, dass heute die meisten Menschen im Westen die Wahrnehmung dafür verloren haben, wie skandalös dieser Glaube zu Beginn war.» Sein Buch untersucht, wodurch das Christentum zunächst  subversiv und revolutionär wurde; wie vollständig es die Grundhaltung der lateinischen Christenheit imprägnierte; und warum in einer westlichen, oft areligiösen Welt so viele ihrer Instinkte nach wie vor – im Guten wie im Schlechten – durch und durch christlich sind. Kurz, schreibt Tom Holland: «Es geht um die grösste Geschichte aller Zeiten.» Seine Erzählung setzt in der Antike ein, in Athen und in Jerusalem und schlägt dann einen riesigen Bogen bis in die Gegenwart. Holland definiert den Westen so christlich, wie man das schon lange nicht mehr gelesen hat. Das kann man skeptisch sehen, kulturgeschichtlich erklärt er damit so einiges. Das Buch ist gut lesbar, ja zuweilen schmissig geschrieben – eigentlich sollte es einen Soundtrack haben: Tschaikowsky, Grieg, manchmal Wagner und vielleicht auch etwas Hans Zimmer. Stark.

Tom Holland: Herrschaft. Die Entstehung des Westens. Klett-Cotta, 624 Seiten, 40.90 Franken; ISBN 978-3-608-98356-2

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783608983562

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