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Guns n‘ Rosé

Publiziert am 6. Dezember 2022 von Matthias Zehnder

2020 hat sich die Zahl der Frauen unter den republikanischen Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus verdoppelt. Alle neuen weiblichen Abgeordneten sind dem erzkonservativen Flügel zuzuordnen: Sie stehen mit ihren politischen Positionen deutlich rechter als ihre männlichen Vorgänger. Das Credo der radikal rechten Frauen in Amerika lautet «faith, family, freedom», also: «Religion, Familie, Freiheit». Es sind die drei Güter, die in den USA in ihren Augen heute bedroht sind. Der Einfluss der konservativen Frauen ist in allen Bereichen des amerikanischen Alltags spürbar. Bei jeder Debatte, jeder politischen Entscheidung reden sie mit, ob es um Abtreibung, Steuern, zensierte Schulbücher, Rassismus oder Impfmandate geht. Das ideologische Spektrum der Frauen ist zwar breit, im Kern geht es aber um Kulturkampf, christliche Werte und einen radikal kleinen Staat. Die Frauen irritieren mit ihren politischen Haltungen: Sie kämpfen gegen Abtreibung und für das Recht, eine Waffe zu tragen. Die widersprechen teilweise den Anliegen der klassischen Frauenbewegung. Und doch sind sie stark, unabhängig und einflussreich. Annett Meiritz und Juliane Schäuble haben sich in diesem Buch auf die Spur der rechten Frauen in den USA gemacht. Sie zeichnen die konservative Frauenbewegung nach und porträtieren eine ganze Reihe von Republikanerinnen – zwischen Guns und Rosé.

Konservative Frauen sind heute in westlichen Gesellschaften, da linksliberaler Feminismus und die Emanzipation der Frauen voranschreiten, fast immer in der Minderheit. Doch sie kämpfen leidenschaftlich und lautstark für ihre Interessen. Nach dem Verständnis der konservativen Frauen in den USA geht es nicht so sehr um die Frage, welche Partei künftig die Mehrheit im Kongress und die Präsidentschaft stellt. «Es geht ihnen darum, ob die ‹Republik Amerika› untergeht – oder eben nicht. Seit dem Regierungswechsel zu Joe Biden organisieren sie deshalb den Backlash gegen die Demokraten», schreiben Annett Meiritz und Juliane Schäuble.

Die rechten Frauen werden unterschätzt, ihre Anliegen gelten als gestrig und überholt. So legte Hillary Clinton nach ihrer verlorenen Wahl nahe, dass Anhängerinnen von Donald Trump nicht für sich selbst denken könnten. Weisse Frauen stünden unter dem Einfluss von Vätern, Ehemännern, Freunden und männlichen Arbeitgebern. Michelle Obama erklärte sogar: «Jede Frau, die gegen Hillary Clinton gestimmt hat, hat gegen sich selbst gestimmt.» Doch auch am rechten Rand der Republikaner finden sich starke, selbstständige Frauen. Annett Meiritz und Juliane Schäuble schreiben, dass «Hardlinerinnen von rechts aussen, Nationalistinnen, Waffenfanatikerinnen oder Verschwörungstheoretikerinnen» den Diskurs dominieren. «Sie beweisen, dass die Welt nicht zwingend eine bessere wäre, wenn Frauen an den Schlüsselpositionen der Macht sässen. Nein, Frauen sind nicht harmloser als Männer. In den USA treten sie zuweilen sogar radikaler auf oder treiben die Polarisierung mindestens ebenso fanatisch voran.»

Dennoch sei das Spektrum der rechten Frauen breit, die Themen und Ziele konservativer Frauen seien weit verzweigt. «Im Zentrum steht die Erzählung, dass sich das Land gefährlich verändert. Das Ideal des schlanken Staates wird verteidigt, gemischt mit Kulturkämpfen und christlichen Werten.» Unter den Frauen, die sich am rechten Rand einbringen, befinden sich auch ernsthafte Kandidatinnen für das oberste Amt im Staat. Darunter sicher Nikki Haley, die ehemalige UN-Botschafterin der USA, aber auch die Gouverneurinnen Kristi Noem und Kim Reynolds sowie die Abgeordnete Liz Cheney, die Anführerin des Widerstands gegen Ex-Präsident Donald Trump.

Die beiden Autorinnen schreiben, dass sie «weder Extremismus verharmlosen noch konservative Einstellungen pauschal abqualifizieren» wollten. Das gelingt ihnen in Form eines Balanceakts: Es geht ihnen darum, eine bislang wenig beleuchtete Bewegung überhaupt erst einmal zu verstehen. Das sei «umso wichtiger in Zeiten, in denen es vielen Menschen immer schwerer zu fallen scheint, andere Perspektiven als die eigenen zuzulassen». Die Linke denunziert die «Gefahr von rechts» als Bedrohung für die Demokratie und das gute Zusammenleben. Konservative und Rechte laufen Sturm gegen die «Identitätspolitik» und den sogenannten «Sozialismus» der Demokraten, gegen «Cancel Culture» und «Wokeness».

Die beiden Autorinnen schreiben, dass die «inflationär verwendeten Schlagwörter» den «vielschichtigen Strömungen einer Gesellschaft nicht gerecht» würden. Ihre Reise in die Welt weiblicher Konservativer geht davon aus, dass sich die Wirklichkeit nicht in Schablonen fügt. Sie schauen in diesem Buch genauer hin und versuchen zu erklären, kritisch einzuordnen, überlassen die Schlüsse aber den Leserinnen und Lesern. Das ist, verglichen mit der Berichterstattung im Schnappatmungsmodus der Tagesmedien, geradezu wohltuend. Beide leben seit Jahren als USA-Korrespondentinnen in den USA: Annett Meiritz arbeitet für das «Handelsblatt», Juliane Schäuble für den «Tagesspiegel». Auf ihren Reportagereisen berichten sie über die Widersprüchlichkeit einer Nation in der Krise. Ihr Fazit: Die Abgründe von Ungleichheit, Armut, Gewalt und Nationalismus seien zwar allgegenwärtig, aber «bislang hält das Fundament der amerikanischen Demokratie, entgegen allen Abgesängen.»

Die beiden Autorinnen sind der Meinung, dass konservative Frauen eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie sich die USA in den kommenden Jahrzehnten entwickeln werden: «Warum und mit welchen Mitteln kämpfen sie um Religion, das ungeborene Leben, die heterosexuelle Ehe, Waffenbesitz, Patriotismus, Kapitalismus? Warum sehen sie in der traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau keine Unterdrückung, sondern Freiheit? Wieso stösst das, was linke Feministinnen als ‹female empowerment› preisen, konservative Frauen ab? Was verstehen sie selbst darunter?» Annett Meiritz und Juliane Schäuble gestehen, dass sie beim Schreiben selbst «Ambivalenz oder Irritation» spürten. Denn sie selbst verdanken ihre beruflichen und privaten Freiheiten der linken Frauenbewegung. «Viele Anliegen, die linke Feministinnen vorantreiben, sind wertvoll. Dass First Lady Jill Biden ohne grosses Aufsehen weiter in ihrem Beruf als Dozentin arbeitet, wäre früher undenkbar gewesen.» Endlich lernen Mädchen (und Jungen), dass die Disney-Prinzessin «nicht mehr vom Helden gerettet werden muss, sondern sich selbst retten kann».

Dennoch wollen sie bei der Beschäftigung mit ihrem Thema die Denkmuster der linken Frauenbewegung «nicht unhinterfragt übernehmen». Sie fragen sich, ob konservative Frauen tatsächlich gegen ihre eigenen Interessen stimmen, wie das Michelle Obama behauptete, «oder müssen wir die Interessen von Frauen schlichtweg breiter definieren?» Der Aufstieg konservativer Frauen sei, zumal aus europäischer Perspektive, eine Herausforderung. Es stelle unsere Vorstellung davon infrage, wie Frauen in der Politik aussehen und vielleicht sogar, was Feminismus heute bedeute. Ein spannendes Buch, das einen tiefen Einblick gibt ins konservative Amerika.

Annett Meiritz, Juliane Schäuble: Guns n‘ Rosé. Konservative Frauen erobern die USA. Christoph Links Verlag, 256 Seiten, 25.90 Franken; ISBN 978-3-96289-161-9

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783962891619

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