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Grundeinkommen jetzt!

Publiziert am 9. September 2021 von Matthias Zehnder

Wenn ein Verlag wie NZZ Libro ein Buch herausgibt mit dem Titel «Grundeinkommen jetzt!», dann muss man genauer hinschauen. Wird da gerade ein Saulus zum Paulus verwandelt? Geschrieben hat das Buch kein linker Stürmer und Dränger, sondern Thomas Straubhaar (*1957), Professor für Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg. Etwas vereinfacht sagt er, dass man Wirtschaft und Soziales trennen muss. Er schreibt: «Marktwirtschaft hat ökonomischen Zielen zu dienen. Sie darf nicht als Mittel der Sozialpolitik instrumentalisiert werden. Sie hat nicht sozial, sondern effizient und effektiv zu sein.» Soziale Ziele seien jedoch genauso unverzichtbar für das Wohlbefinden einer Gesellschaft, schreibt Straubhaar. «Aber sie sollen durch sozialpolitische Massnahmen direkt und nicht über Markteingriffe indirekt erreicht werden. Menschen geradeaus zu unterstützen, ist immer genauer und damit besser, als lange Umwege zu gehen.» Als das präziseste Instrument der Sozialpolitik sieht Thomas Straubhaar das Grundeinkommen. Das ist nach seinem Modell nicht einfach ein Verdienst für alle, sondern ein Verrechnungsmechanismus, der alle Zahlungen an den Staat (also Steuern und Sozialversicherungsabgaben) mit allen Leistungen vom Staat (also Transfers und Sozialhilfen) verrechnet. «So lässt sich das Dickicht eines undurchsichtigen Steuerdschungels lichten», schreibt Straubhaar. Transparenz und Einfachheit seien wichtige Elemente eines gerechten Sozialstaates.

Es ist dies wohl die wichtigste Feststellung: Straubhaar versteht unter dem Grundeinkommen ein Instrument der Sozialpolitik. «Es verhindert absolute Armut, aber nicht relative Ungleichheit.» Das Grundeinkommen führt also nicht zu einer Egalisierung von Wohlstand und Einkommen. Es stellt die Menschen nicht gleich, es behandelt sie nur gleich. «Wer Ungleichheit korrigieren möchte, muss zu ganz anderen Methoden greifen, wie beispielsweise Reichen-, Vermögens- oder Hocheinkommenssteuern», schreibt Straubhaar. Er betont zugleich, dass die Befreiung der Marktwirtschaft von sozialpolitischen Absichten nicht automatisch zu einem ausbeuterischen Raubtierkapitalismus führt. Marktwirtschaft könne nur innerhalb eines bestimmten Rahmens funktionieren, der Marktmacht bricht, Marktversagen korrigiert, Machtmissbrauch verhindert und Wettbewerb erzwingt. «Dafür braucht es einen starken Staat, der aber effektiv sein soll.» An Kartellgesetzen und Marktregulierungen ändere ein Grundeinkommen deshalb «rein gar nichts». Die Entfesselung betreffe «einzig und allein jene sozialstaatlich motivierten Markteingriffe, die Menschen vor Armut oder Arbeitslosigkeit schützen sollen.» 

Straubhaar möchte also ein Grundeinkommen einführen, um den Markt von sozialpolitischen Eingriffen zu befreien, die ihn nur behindern. «Effektivität verlangt danach, so richtige wie wichtige Ziele der Sozialpolitik durch direkte, auf Personen gerichtete Massnahmen anzustreben.» Umwege über indirekte Wirkungsketten von Markteingriffen seien viel zu ungenau. Ein Beispiel dafür sind Mindestlöhne: Sie sind nach Einführung eines Grundeinkommens nicht mehr nötig, weil die soziale Kompensation über das Grundeinkommen erfolgt. Wenn das alles so logisch ist, warum wurde dann 2016 die Einführung eines Grundeinkommens in der Schweiz so deutlich abgelehnt? Straubhaar schreibt, es sei ihm nach der Abstimmung klar geworden, dass es nicht genüge Funktionsweise und Wirkungsmechanismen zu erläutern. «Es musste auch explizit gesagt werden, wer das alles wie finanzieren soll. Ebenso deutlich war darzulegen, ob das Grundeinkommen bisherige Sozialleistungen ergänzen oder ersetzen würde.» Straubhaar stellte deshalb seine Argumente in einem ersten Buch unter dem Titel «Radikal gerecht» zusammen. Doch noch interessierte sich die Politik nicht dafür: Die Wirtschaft lief zu gut.

Das änderte sich 2020, als das Coronavirus die Welt über nacht auf den Kopf stellte. «Jetzt zeigte sich an unzähligen persönlichen Tragödien, wieso staatliche Unterstützung ‹bedingungslos› zu erfolgen hatte. Denn auch wer alle marktwirtschaftlichen Bedingungen perfekt erfüllt hatte, wurde von den Wellen der Pandemie und dem Auf und Ab von Lockdowns und Lockerungen mitgerissen – verlor Existenzgrundlage, Geschäftsmodell, Selbstständigkeit und Job.» Plötzlich war von Staatsversagen die Rede, die grosse Konkurrenz zwischen China und den USA erreichte neue Spitzen als unerbittlicher Systemwettbewerb zwischen kapitalistischer Marktwirtschaft und dirigistischem Kommunismus. «Nun steht für die Marktwirtschaft alles auf dem Spiel», ist Straubhaar überzeugt, «Akzeptanz und Zukunftsfähigkeit sind im Kern bedroht.» Deshalb stellt er in seinem neuen Buch sein Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens erneut vor – um auf diese Weise nichts geringeres als die Marktwirtschaft zu retten. Er versteht seinen Entwurf des Grundeinkommens als «New Deal» für das 21. Jahrhundert – obwohl: so neu ist der Deal gar nicht. Deutschland und auch die Schweiz kennen bereits Elemente eines Grundeinkommens: das Kindergeld respektive die Kinderzulage.

Wie funktioniert das Grundeinkommen nach Straubhaar? Der Staat überweist allen Staatsangehörigen vom Säugling bis zum Greis lebenslang Monat für Monat einen Geldbetrag, der für alle gleich hoch ist – von der Hilfskraft bis zum Millionärin, vom Arbeitslosen bis zur Professorin. Alter, Familienstand, Ausbildung oder Qualifikation spielen keine Rolle. Das Grundeinkommen ist für alle steuerfrei. Das klingt auf den ersten Blick nach Schlaraffenland, ist es aber nicht, denn alle persönlichen Einkünfte jenseits des Grundeinkommens werden besteuert. Steuerfreibeträge für persönliche Einkünfte jenseits des Grundeinkommens gibt es nicht. Das Grundeinkommen ist bereits ein Freibetrag, den alle in vollem Umfang geltend machen können. 

Und wie möchte Thomas Straubhaar so ein Grundeinkommen finanzieren? Das Kapitel über die Finanzierung es Grundeinkommens gehört zu den spannendsten im Buch, weil es gleich mit einer ganzen Reihe von Missverständnissen aufräumt. Nein, Straubhaar denkt weder an eine Digitalsteuer, noch an eine Robotersteuer oder eine globale Mindest-Unternehmenssteuer. Er zeigt einleuchtend, warum all diese Steuern nicht den gewünschten Effekt haben. Er sagt, letztlich gebe es nur eine sinnvolle Art, Steuern zu erheben: das Besteuern von Menschen. Immer dann, wenn Geld an einen Menschen fliesst, soll es besteuert werden. Ganz egal, ob das Geld der Lohn für Arbeit, Gewinn aus einem Aktiendeal oder eingenommene Miete aus einer Liegenschaft ist. Straubhaar schwebt also eine Wertschöpfungssteuer vor: «Nicht der Prozess, sondern das Ergebnis des Wirtschaftens ist zu besteuern.» Deshalb keine Unternehmenssteuern, sie schaden nur der Wirtschaft. Dafür aber eine umfassende Steuer: «Nicht nur die gezahlten Löhne, sondern auch die erwirtschafteten Mieten und Pachten, Fremdkapitalzinsen, die verdienten Abschreibungen sowie die erzielten Gewinne und Dividenden oder Tantiemen müssen Grundlage einer gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungssteuer werden.» 

Eine Wertschöpfungssteuer verzichtet auch auf eine Vermögenssteuer. Sie besteuert nicht die Substanz, sondern nur deren Erträge und zwar überschlagsmässig mit einem Steuersatz von rund 40 bis 50 Prozent (für Deutschland). Und zwar alle Erträge, egal, wie viel jemand verdient. Weil das Grundeinkommen (in der Höhe von 1000 Euro pro Monat) gegengerechnet wird, zahlen tiefe Einkommen keine Steuern oder erhalten sogar Geld vom Staat zurück, während höhere Einkommen den Steuersatz minus Grundeinkommen entrichten müssen.

Das Grundeinkommen ist deshalb nichts anderes als eine negative Einkommenssteuer. «Negativ» bedeutet, dass alle zunächst einmal Geld vom Staat erhalten. Bevor er Steuern einnimmt, bezahlt der Staat also erst mal eine «Steuer» an seine Bürger:innen. Weil aber alle, die irgendein Einkommen erwirtschaften, auf alle Einkünfte Steuern bezahlen, kommt diese negative Steuer als Grundeinkommen nur jenen wirklich zugute, die keine anderen Einkünfte haben. Das sind im Wesentlichen jene Menschen, die heute irgendeine Form von Unterstützung beziehen. Im Unterschied zu heute erhalten sie diese Unterstützung aber bedingungslos.

Spannend am Buch von Thomas Straubhaar ist, dass es nicht eine simple Evangelisieren zu Gunsten des Grundeinkommens ist, sondern quasi beiläufig viel Wirtschaftswissen vermittelt. Weil Straubhaar im Kern auf die Mechanismen der Marktwirtschaft vertraut, ist Straubhaar bei Lichte besehen ein liberaler Wolf im Grundeinkommen-Schafspelz: Er rettet damit nämlich, wie der Untertitel seines Buchs verspricht, die Marktwirtschaft. Ganz egal, wie man zum Grundeinkommen steht, gibt das Buch deshalb zu denken. Was will man mehr.

Thomas Straubhaar: Grundeinkommen jetzt! Nur so ist die Marktwirtschaft zu retten. NZZ Libro, 288 Seiten, 25 Franken; ISBN 978-3-907291-52-8

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783907291528

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