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Für alle! Die Basler Volksschule seit ihren Anfängen

Publiziert am 30. November 2018 von Matthias Zehnder

Viele Menschen glauben, dass früher in der Schule alles besser gewesen sei. Kaum ein Historiker weiss besser als Pierre Felder, dass das nicht so war. In diesem Buch legt Felder eine Geschichte der Basler Volksschule vor. Er weiss, wovon er schreibt, war Felder doch in dieser Volksschule selber Lehrer, Lehrerbildner und später deren Leiter.

Bis im 17. Und 18. Jahrhundert hatte die Schule der Bevölkerung, wenn sie denn überhaupt gebildet wurde, einen einfachen Zweck: Gehorsam gegenüber Gott und der Obrigkeit. In der Stadt gingen die Knaben und die benachteiligten Mädchen in getrennte Schulen. Höhere Bildung ist den Knaben aus privilegierten Familien in der Stadt vorbehalten. 1779 plädiert der Aufklärer Isaak Iselin für eine neunjährige Schulbildung für alle. Doch das dauert noch eine ganze Weile, bis es dazu kommt. Als Bürgermeister Peter Ochs 1817 das Basler Schulgesetz ausarbeitet, liegt Iselins Entwurf auf seinem Schreibtisch. Bildung mutiert von der geistlichen Erziehung zur Erschliessung der Welt. Wo bisher nur von Sprachen und geistlichen Inhalten die Rede war, drängen jetzt Realien in den Stundenplan.

Ab 1817 wird die Schule im Kanton Basel verweltlicht und verbessert. 1838 führt der Stadtkanton eine sechsjährige Schulpflicht ein. Buben und Mädchen gehen aber in getrennte Schulzimmer. Selbst die Pausenplötze sind getrennt. Diese Geschlechtertrennung wird erst 1958 aufgehoben. Bildung wird in der wachsenden Stadt immer wichtiger. 1875 wird deshalb das Erziehungsdepartement geschaffen. Ab 1925 wird die Lehrerausbildung am eigenen Lehrerseminar professionalisiert. Der Lehrer wird zur bürgerlichen Respektsperson. Frauen sind aber lange diskriminiert: Wenn sie heiraten ,müssen sie den Schuldienst quittieren.

Lange waren Schulen so etwas wie Instruktionsmaschinen, sie waren die Kasernen der bürgerlichen Gesellschaft: Da wurde die Jugend zurechtgeschliffen. Ab 1900 beginnt sich das zu ändern. Reformpädagogen verlangen eine Pädagogik, die vom Kind ausgeht, plädieren für Freiheit und Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung und Zwang und haben den ganzen Menschen unter Einschluss der sozialen und moralischen Entwicklung im Blickfeld. Gegen die Reformpädagogik gab es, schreibt Pierre Felder, zu jeder Zeit Widerstand, aber auch explizite Kritik. Ihre Postulate hatten namentlich in den 40er-Jahren auch in der Schweiz, zur Zeit der nationalen Bedrohung durch die Achsenmächte, keine Konjunktur. Der Geist von Zucht und Ordnung wehte auch in Basel noch lange in den Schulen. 1928 beantragte der damalige Erziehungsdirektor Fritz Hauser ein Verbot der körperlichen Züchtigung an den Schulen. Er kam damit nicht durch. Die Mehrheit befürchtete eine stärkere Verwilderung der Jugend.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird das Kind nicht mehr als Besiztz der Eltern angesehen. Es wird zur eigenständigen Person. Der mechanische Drill macht einem Lernen Platz, das auf Verstehen und Entdecken beruht, und die Abwertung von Gehorsam und Zucht zugunsten von Selbstdisziplin und Selbstregulierung bewirkt. Eine Entwicklung, die von der SVP als «Kuschelpädagogik» diffamiert wird.

Pierre Felder erzählt an der Buchvernissage im Theobald Baerwart Schulhaus aus der Geschichte der Volksschule in Basel.

Die Lektüre der Schulgeschichte von Pierre Felder zeigt immer wieder, wie jung einzelne Entwicklungen erst sind. Es ist noch nicht lange her, da wurde an den Schulen körperlich gezüchtigt, Mädchen und Buben wurden in getrennten Klassen unterrichtet und es herrschte ein Drill wie auf dem Kasernenhof. Wie anders präsentieren sich heute Schulzimmer. Pierre Felder zeichnet diese Entwicklung nicht nur in verschiedenen Längsschnitten nach, er macht sie anhand von vielen Anekdoten und Erzählungen aus 200 Jahren Schulalltag auch erlebbar. Sein Buch eignet sich deshalb auch zur selektiven Lektüre, zum Herumblättern in der Schulgeschichte der Stadt Basel. Wie jede gut erzählte Sachgeschichte hilft das Buch nicht nur dabei, die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart besser zu verstehen.

Pierre Felder: Für alle! Die Basler Volksschule seit ihren Anfängen. Schwabe Verlag, 382 Seiten, 35 Franken; ISBN 978-3-7965-3907-7

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783796539077

Buchtipp zum Wochenkommentar vom 30. November 2018: Auch an Ihren Händen klebt Blut

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/