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Fülscher heute

Publiziert am 19. Januar 2023 von Matthias Zehnder

Über Generationen stand das «Fülscher Kochbuch» so selbstverständlich in der Küche wie der Duden neben der Schreibmaschine. Das Kochlehrbuch von Elisabeth Fülscher enthielt alles, was es in der Schweiz über das Kochen zu wissen gab, vom Birchermüsli bis zur Götterspeise. Zum 100. Geburtstag der Kochbibel hat die Aarauer Kochtüftlerin Susanne Vögeli die wichtigsten Rezepte von Elisabeth Fülscher modernisiert und kommentiert. Ergänzt sind die Rezepte um 15 Essays über die Schweizer Küche und vor allem über die Koch- und Kulturgeschichte. Zusammen ergibt das eine spannende Mischung, die nicht nur Inspiration in der Küche, sondern auch jede Menge Hintergrundwissen über Schweizer Traditionen, Gerichte und ihre Geschichte bietet, vom Mangel in der Küche über das Exotische bis zur Erfindung des Kühlschranks. War das ursprüngliche Fülscher ein Kochnachschlagewerk für alle Lebenslagen, ist «Fülscher heute» ein Reiseführer durch die Schweizer Kochgeschichte mit vielen Anregungen, selbst zum Kochlöffen zu greifen.

Als ich meine erste, eigene Wohnung bezog, ging ich zum Buchhändler meines Vertrauens und fragte ihn, ob er ein Buch habe, in dem all das steht, was ich von meiner Mutter und meiner Grossmutter nicht gelernt hatte. Er drückte mir das Fülscher-Kochbuch in die Hand. Das Kochbuch von Elisabeth Fülscher war damals schon nicht mehr modern, aber in dem Wälzer konnte man tatsächlich all das nachlesen, was für erfahrene Köchinnen Allgemeinwissen ist: Wie man eine Weisse Sauce zubereitet, wie man etwas blanchiert, wie ein Birchermüsli funktioniert. Das Buch enthielt auf 600 Seiten über 1700 Rezepte, säuberlich durchnummeriert von 1 wie «Klare Suppe» bis 1759 wie «Garkochen durch Warmhalten». Die meisten Rezepte sind kurz gehalten, sie verweisen auf Grundtechiken, die im Buch anderswo vorgestellt sind. Das «Fülscher» wurde zu meiner Grossmutter in Buchform.

Mein altes «Fülscher»-Kochbuch (links, mit deutlichen Gebrauchsspuren) und das neue «Fülscher heute» von Susanne Vögeli.

Zum ersten Mal erschienen ist das Kochbuch von Elisabeth Fülscher 1923. Zum Hundert-Jahre-Jubiläum bringt der Hier+Jetzt-Verlag jetzt «Fülscher heute» heraus, eine wunderbare Mischung aus historischen Essays und Kochrezepten. Hinter dem Buch steht Susanne Vögeli, Kochlehrerin und bekannt für ijhre Küchenexperimente. Sie hat 1994 in Aarau ihre erste Kochschule eröffnet. In ihrem Atelier «Raum Acht» beschäftigt sie sich seit Jahren auch experimentell mit dem Nachlass von Elisabeth Fülscher und ihren Rezepten.

«Fülscher heute» ermöglicht eine Reise durch die Schweizer Geschichte anhand ihrer Küche. In 15 Kapiteln erkunden Expertinnen und Experten wie der Basler Ethnologe Walter Leimgruber oder Elisabeth Bronfen, Professorin für Anglistik an der Universität Zürich, Aspekte der Schweizer Küchengeschichte. Eindrücklich ist etwa das Kapitel über das Karge der Schweizer Küche: In den letzten 100 Jahren herrschte öfter Not und Mangel in der Küche. Not macht bekanntlich erfinderisch. So hielten neue Kochtechniken wie der Dampfkochtopf oder das Nachgaren von Speisen in der Isolierkiste Einztug ins Fülscher-Kochbuch. Und natürlich zeigte Frau Fülscher ihren Leserinnen, wie man Reste wie altes Brot gut verwertet. Zu den Rezepten, die Susanne Vögeli dazu neu interpretiert hat, gehören etwa die Kostsuppe, der Brotauflauf aus altem Brot oder die Kartoffelküchlein. Zu jedem Rezept erzählt Susanne Vögeli eine kleine Geschichte, schlägt den Bogen zu Elisabeth Fülscher und zur Schweizer Geschichte. Die Rezepte selbst sind kurz und präzise notiert: Nach einem übersichtlichen Zutatenblocjk folgen die Kochschritte in einzelnen Abschnitten.

Historisch interessant ist etwa das Kapitel über die Fifties, wie der Kühlschrank in die Schweizer Küchen einzog und ein Hauch Amerika vermittelte. Oder das Kapitel über das Fremde in der Küche: Für Elisabeth Fülscher war Nasi Groeng exotisch genug. Schwierig zu kochen waren Rezepte aus anderen Ländern auch deshalb, weil in den meisten Schweizer Küchen ausser Pfeffer, Salz und Aromat kaum Gewürze zu finden waren. Spannend das Kapitel über das Gesunde: Die Küche von einst kümmerte sich wenig um Gesundheit und trotzdem war sie gesünder als unsere heutige Küche, weil sie frei war von Überfluss und von Fertigprodukten. Der Wandel lässt sich schön am Rezept für das Birchermüslie zeigen. Das Rezepot taucht schon 1940 im «Fülscher» auf, Elisabeth Füllsche rund Max Bircher-Benner waren freundschaftlich verbunden. Das Müsli war mit 750 Gramm Äpfeln und 60 Framm Haferflocken eine Apfelrohkost. Heute ist das Verhältnis von Getreide, oft gar Müslimischung, und Rohkost eher umgekehrt und das Müsli wird mit viel Rahm und süssem Joghurt abgerundet. Susanne Vögeli zeigt den Weg zurück zum Rohkost-Müsli mit geraffelten Äpfeln, Beeren, Zitronensaft, etwas Joghurt oder Quark und wenig Haferflocken.

Daran sieht man gleich auch: Das Schöne am Buch ist, dass es ganz praktische Kochrezepte mit dem Nachdenken über die Schweizer Kulturgeschichte verbindet. Als weitere Dimension kommen die Anekdoten, Geschichten und Nachdenkereien dazu, die Susanne Vögeli zu jedem Rezept beisteuert. Diese Auseinandersetzung mit der Schweizer Kochgeschichte gibt es auch im Internet: Susanne Vögeli unterhält einen Blog über das Fülscher-Kochbuch. Hier veröffentlicht sie laufend aktualisierte Fülscher-Rezepte. Wie im Buch sind es erneuerte Anleitungen aus der Essgeschichte der Schweiz.   

Susanne Vögeli: Fülscher heute. Kochbuch. hier + jetzt, 447 Seiten, 55 Franken; ISBN 978-3-03919-559-6

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783039195596

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