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Freud, Berggasse 19

Publiziert am 19. August 2020 von Matthias Zehnder

Einer meiner Lieblingsorte in Wien ist das Haus an der Berggasse 19 – es ist die berühmte Adresse, an der Sigmund Freud die menschliche Psyche erforschte und die Wissenschaft vom Unbewussten etablierte. Freud hat da gelebt und gearbeitet – heute befindet sich in den Räumen das Sigmund Freud Museum. Die Mausmatte, die auf meinem Pult liegt, habe ich da gekauft: Es ist ein Miniatur-Replikat des Teppichs, der auf Freuds berühmter Couch gelegen hat. Das Haus bildet das Leben und Arbeiten von Sigmund Freud ab – mit einer grossen Leerstelle allerdings: Die berühmte Couch fehlt. Seit Freuds Flucht vor den Nationalsozialisten nach London klafft hier eine Lücke. Dieses Buch widmet sich der Berggasse 19. Es erzählt die Geschichte von Sigmund Freud in diesem Haus und führt durch das Museum, wie es sich 2020 präsentiert. Das Buch eröffnet damit einen überaus konkreten Weg in den geistigen Kosmos von Sigmund Freud.

«Als ich durch die Wohnung ging, spürte ich die Gegenwart von Freuds Patientinnen und Patienten», schreibt Schriftstellerin Siri Hustvedt im Vorwort. Hier, im Behandlungszimmer, habe die Geschichte begonnen: «Sie begann mit der Idee, dass eine bestimmte Art von Gespräch zwischen zwei Menschen heilende Wirkung haben kann. Durch die seltsamen Effekte dessen, was Freud Übertragung nannte, haben unzählige Menschen erlebt, dass sie nach Sitzungen, in denen gesprochen und zugehört wird, ihr Leben besser meistern konnten.»

Das Sigmund Freund Museum erinnert an zwei einschneidende Ereignisse: Die Bergasse 19 ist der Ursprungsort der Psychoanalyse, die dem Menschen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eine neue Selbstsicht eröffnete, und die Adresse ist ein Mahnmal, das daran erinnert, wie unter dem Terrorregime des Nationalsozialismus Kultur und Menschlichkeit verloren gingen. Beide Ebenen bespielt das Buch. Anbwechslungsweise beseschreibt es ein Zimmer oder einen Bereich der Wohnung und ein historisches Thema. Auf das Vorzimmer der Familienwohnung folgt eine Einführung zu Sigmund Freuds Weg zur Psychoanalyse. Das Bade- und Ankleidezimmer führt zu einem Text über Sigmund Freuds Sexualtheorien und den Ödipuskomplex. Auf die Beschreibung des Schlafzimmers von Martha und Sigmund Freud folgt ein Aufsatz über Künste, Träume und Revolution. Das Schlafzimmer von Freuds Schwägerin Minna Bernays ebnet den Weg zur Beschreibung von Freuds Beschäftigung mit Hypnose und Hysterie. Minnas Salon, Wohnzimmer und Esszimmer bietet Gelegenheit, die Lebensläufe der Familienmitglieder zu erzählen. Das Wartezimmer von Sigmund Freuds Ordination leitet über zu den Anfängen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und der psychoanalytischen Bewegung. Gegenstände aus Sigmund Freuds Behandlungszimmer führen natürlich zu einem Text über die psychoanalytische Behandlungsmethode und Sigmund Freuds Praxisbetrieb in den Jahren 1910–1920. Die einzelnen Zimmer sind nicht einfach beschrieben, sondern werden durch Ausstellungsgegenstände aus dem Museum illustriert und dokumentiert. Pläne, Fotos und Skizzen geben darüber hinaus eine gute Vorstellung vom Haus an der Berggasse. Kurz: Das Buch bietet eine Art psychoanalytische Hintertreppe: den Zugang zu Freuds Gedanken und Ideen über sein Wohnhaus und seine Praxisräumlichkeiten. Spannend und anregend.

Monika Pessler, Daniela Finzi (Hrsg.): Freud, Berggasse 19 – Ursprungsort der Psychoanalyse. Hatje Cantz Verlag, 400 Seiten, 75.50 Franken; ISBN 978-3-7757-4734-9

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783775747349

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Buchtipp zum Wochenkommentar vom 14. August 2020: Warum Firmen nur mit neuen Ideen das Homeoffice überleben

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

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