Buchtipp

Nächster Tipp: Virus
Letzter Tipp: Kleine Geschichte des Rahmenabkommens

Frau Macht Medien

Publiziert am 18. Mai 2020 von Matthias Zehnder

Sexismus und Machtgehabe von Männern ist in den Medien immer wieder Thema. Allerdings nur dann, wenn es dabei nicht um die Medien selbst geht. Mindestens in der Schweiz war bisher die Gleichstellung in der Medienbranche kaum ein Thema. Grund genug für die beiden Basler Journalistinnen Nora Bader und Andrea Fopp, das Thema anzupacken. Sie haben mit fünfzehn Schweizer Journalistinnen Interviews über die Gleichstellung in der Medienbranche geführt. Die zentrale Frage dabei lautete: «Spielt das Geschlecht in Ihrem Berufsleben eine Rolle?» Entstanden ist eine Momentaufnahme des Schweizer Journalismus aus Frauensicht. Zu den Befragten gehören etwa Andrea Bleicher, die als Chefredaktorin die «SonntagsZeitung; und den «Blick» geführt hat, die Reportagejournalistin Margrit Sprecher, Patrizia Laeri, die soeben von SRF als Chefin zu «CNN Money» gewechselt hat, Steffi Buchli, Programmchefin MySports, die langjährige «WoZ»-Chefredaktorin Susan Boos und Judith Wittwer, Chefredaktorin des «Tages-Anzeiger».

Die Diagnosen fallen durchaus unterschiedlich aus. Andrea Bleicher etwa sagt, das «Hochstaplersyndrom» sei im Journalismus «besonders verbreitet. Es kommen immer wieder Leute in hohe Positionen, die eigentlich nie im Leben in eine Führungsposition gehören würden.» Sie sieht ein Problem darin, dass sich Frauen meistens viel weniger selbst loben. «Das äussert sich lange als Nachteil, weil man nicht auf sie aufmerksam wird.»

«Tages-Anzeiger»-Chefredaktorin Judith Wittwer sieht das anders. Sie sagt, die Durchsetzungskraft sei «keine Frage des Geschlechts. Das beste Argument gewinnt.» Wittwer reagiert denn auch etwas ungehalten auf die Fragen der beiden Autorinnen: «Wenn ich Ihnen zuhöre, bekomme ich den Eindruck, es sei ein riesiger Geschlechterkampf am Laufen. Den sehe ich einfach nicht.» Auch Katharina Fontana, die einzige Redaktorin bei der «Weltwoche», findet: «Es geht um das Produkt, nicht um das Geschlecht der Redaktoren.» Es gebe genügend Journalistinnen. «Aus meiner Sicht brauchen Frauen keine spezielle Förderung – sie sind ja keine behinderten Wesen.»

Die Mehrheit der Stimmen aber tönt anders. Steffi Buchli etwa sagt, es sei nicht einzusehen, weshalb es nicht mehr Sportreporterinnen gebe: «Wir sind gleich gut in Mathe, im Tonerwechseln und auch im Reden über Sport. Aber in unseren Köpfen sind wir vielleicht in Klischees gefangen.» Als Frau lande man schnell in der «Hexenecke». «Das können wir nur beheben, wenn das Widersprechen zum Standard wird», sagt Buchli. «Nur wenn die Hexenecke immer grösser wird, passiert etwas. Deshalb: Mehr Hexen braucht die Welt!»

Wie Medien mit Frauen umgehen, ist übrigens keine Frage der Medientechnik und auch keine Frage der politischen Ausrichtung. Susan Boos etwa, die 1991 zur linken «WoZ» gestossen ist, erzählt, damals sei die «WoZ» ein «absoluter Mackerclub» gewesen. «Für junge Frauen wirklich eine unangenehme Veranstaltung.» Wer am lautesten geschrien habe, habe recht erhalten. Mit der Zeit habe sie gemerkt, dass sie «auch als Frau einmal laut werden» könne. «Ich glaube, wir Frauen tun uns schwer damit, das zu lernen. Ich habe das dank der ‹WoZ› gelernt.»

Das war und ist nicht nur bei der «WoZ» so. Nora Bader und Andrea Fopp schreiben denn auch in ihrem Fazit, der journalistische Alltag auf vielen Redaktionen sei geprägt von einem von Männern dominierten Machtkampf: «Viele funktionieren wie Schimpansenrudel: Die Männchen kämpfen ständig darum, wer der Boss ist. Der Stärkste gewinnt», schreiben Bader und Fopp. Dazu kommen abschätzige Sprüche und übergriffige Berührungen, die offenbar bis heute in der Medienbranche Alltag sind. Bader und Fopp schreiben deshalb, dass in ihren Augen der Journalismus seine Aufgabe nur erfüllen könne, «wenn die Frauen – die Hälfte der Bevölkerung nota bene – in der Branche angemessen vertreten sind.» Dieses Buch formuliert auf diese Weise eine Art Machtanspruch der Frauen – spätestens an dieser Stelle wandelt es sich vom neutralen Report zum Manifest zweier Aktivistinnen. Trotzdem (oder vielleicht auch deswegen) gibt das Buch spannende Einblicke in eine Branche, die gerne harte Massstäbe an andere anlegt, bei sich selber aber auch grobe Schnitzer übersieht.

Nora Bader, Andrea Fopp: Frau Macht Medien. Warum die Schweiz mehr Journalistinnen braucht. Zytglogge, 200 Seiten, 32 Franken; ISBN 978-3-7296-5037-4

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783729650374

Wenn Sie das Buch lieber digital für Ihren Amazon Kindle beziehen möchten, klicken Sie hier: https://amzn.to/2y4QmqV

Buchtipp zum Wochenkommentar vom 15. Mai 2020: Tatsachen und Meinungen oder: Wie man einen Pudding an die Wand nagelt

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/