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Erasmus

Publiziert am 1. Dezember 2023 von Matthias Zehnder

Ah, so war das! Dieser Satz hat mich durch die Lektüre dieses Buch begleitet, das weit mehr als eine Biografie des legendären Humanisten ist. Die niederländische Historikerin Sandra Langereis zeichnet darin nicht nur das Leben von Erasmus nach, sondern entwirft drum herum ein präzises Bild der Welt im 15. und 16. Jahrhundert. Das Buch hat deshalb geradezu epische Ausmasse angenommen. Sandra Langereis versteht es, bis ins Detail spannend zu erklären, wie der europäische Humanismus entstanden ist. Ganz besonders interessiert hat mich dabei natürlich, was sie über Erasmus in Basel schreibt. Denn das ist ein Stück Mediengeschichte: Erasmus ist nicht der schönen Stadt wegen nach Basel gekommen, sondern weil da Froben arbeitete, einer der damals besten Drucker Europas. Froben war nicht besonders gebildet. Seine wahre Stärke lag im Handwerk. Er hatte die revolutionäre Idee, die Bibel nicht nur als teure Studienbibel zu drucken, sondern auch im preiswerten Taschenformat, um eine breitere Gruppe privater Leser zur Anschaffung einer wissenschaftlich fundierten Vulgata-Bibel zu bewegen. Froben avancierte damit zum wichtigsten Verleger diesseits der Alpen. Er druckte die Bibel nicht nur in gewesener Auflage, er baute auch ein schlagkräftiger Vertriebsnetz dafür auf. Damit machte er sich interessant für Erasmus. Auf den Basler Drucker ist Erasmus schon 1513 aufmerksam geworden: der Basler hatte einen Raubdruck eines Werks von Erasmus herausgebracht. Dieser Nachdruck der «Adagia» war aber so gut gemacht, dass er qualitativ das Original übertraf. Froben verfügte offensichtlich über grosse lateinische und griechische Letternsätze und beschäftigte kompetente Lektoren und Setzer für beide alten Sprachen: Denn Frobens Korrektoren hatten in der venezianischen Originalausgabe akribisch eine Menge Druckfehler aufgespürt und fein säuberlich korrigiert. Das überzeugte Erasmus, deshalb reiste er 1514 nach Basel. Sandra Langereis erzählt in ihrem Buch detailliert, wie die Zusammenarbeit zwischen Erasmus und Froben aussah, wie sie Bücher produzierten und gemeinsam auf den Markt brachten. Sie erzählt damit auch ein spannendes Stück Mediengeschichte.

Aber natürlich beginnt das Buch nicht in Basel es endet auch nicht da. Sandra Langereis beginnt ihr Bild der Renaissance mit der Weltumsegelung von Magellan, sie beendet es mit dem Tod von Erasmus: Er «starb nicht als Märtyrer. Er starb als Mensch. In seinem eigenen Bett.» Dazwischen zeichnet sie ein detailliertes Bild des Lebens von Erasmus. Verglichen mit anderen Persönlichkeiten des 15. Jahrhunderts ist über die Kindheit und Leben des berühmten Rotterdamers viel bekannt. Wir wissen zum Beispiel, dass er aus einer Beziehung unverheirateter Eltern hervorgegangen ist. Wir wissen, wo er geboren wurde, wer seine Eltern und Grosseltern waren, wo er die Schule besuchte, was er dort lernte und was er davon hielt. Wir wissen, dass er seine Eltern im Teenageralter verloren hat. Dass er daraufhin unter Vormundschaft gestellt und von seinen Vormündern in einem Konvikt untergebracht wurde, um dort von Klerikern aufgezogen zu werden. Wir wissen, dass er gegen seinen Willen in einem Kloster gelandet ist. Und wir wissen auch, dass er nach etwa fünf, sechs Jahren in die Welt hinauszog und nie wieder in seine Zelle zurückkehrte. Und natürlich kennen wir grosse Stücke einer Geistesgeschichte, wir wissen um seine Aufenthalte in England, in Basel und in Freiburg und wir kennen die Umstände seines Sterbens in Basel. Trotzdem war Erasmus für mich bisher ein zum Denkmal erstarrter Humanist. Sandra Langereis hat es mit ihrem Buch geschafft, ihn zum Leben zu erwecken. Ein ausführlicher Bildteil trägt dazu bei, dass wir uns im wörtlichen Sinne ein Bild des Gelehrten machen können.

Sandra Langereis: Erasmus. Biografie eines Freigeists. Propyläen, 976 Seiten, 65.90 Franken; ISBN 978-3-549-10064-6

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783549100646

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