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Eine Frage der Moral

Publiziert am 11. September 2018 von Matthias Zehnder

Politisch korrekte Sprache ist schon fast ein Schimpfwort, so heftig machen sich konservative Politiker über das Bemühen lustig, eine Sprache zu verwenden, die frei von Übergriffen ist. Kein Grund, sich der Auseinandersetzung um eine gute Sprache zu entziehen. Dabei ist das kleine Buch von Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hilfreich. Er zeigt nüchtern, was politisch korrekte Sprache ist, wie Sprache und Moral zusammenhängen und wie sich Sprache moralisch verwenden lässt.

Er zeigt zunächst, dass der Vorwurf der politischen Korrektheit eigentlich eine Diskreditierung der Bemühungen ist, frei von Diskriminierung zu sprechen und zu schreiben. Der Vorwurf, schreibt Stefanowitsch, ergebe sich aus dem dumpfen Gefühl, es wolle jemand Rücksicht auf eine Gruppe nehmen, der man diese Rücksicht nicht zugestehen will. Stefanowitsch macht klar, dass es bei der politisch korrekten Sprache nicht um eine Einschränkung der Freiheit geht, sondern um eine Frage der Moral. Es gehe schlicht darum, «sprachliche Ausdrucksformen genauso nach moralischen Gesichtspunkten zu bewerten wie andere Aspekte menschlichen Handelns.» Als goldene, moralische Sprachregel formuliert Stefanowitsch: «Stelle andere sprachlich stets so dar, wie du wollen würdest, dass man dich an ihrer Stelle darstelle.» Die Schwierigkeit ist dabei, dass es schwierig sein kann, sich in andere hineinzufühlen. Wie soll ein weisser Mann wissen, was für eine Frau oder einen Schwarzen eine erwünschte Darstellung ist? Doch dafür gibt es einen einfachen Ausweg: den Betroffenen zuhören, wenn sie darüber reden, was sie als diskriminierend empfinden. Stefanowitsch macht klar, dass es bei der politisch korrekten Sprache darum geht, strukturelle sprachliche Ungleichheiten zu beseitigen: «Diejenigen, die Hass empfinden und diesem Hass Ausdruck verleihen wollen, sollen das tun dürfen». Wichtig sei dabei, dass der Hass nicht sprachlich eingeschmuggelt werde, sondern explizit sichtbar sei und ausgedrückt werde. «Wer keinen Hass empfindet, für den sollte es selbstverständlich sein, sprachliche Ausdrücke zu meiden, die von anderen als hasserfüllt oder herabwürdigend empfunden werden.» Eine kluge Handreichung über das richtige Schreiben, die so selbstverständlich ins Büchergestell gehört wie die Anleitung zur Rechtschreibung.

Anatol Stefanowitsch: Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. 64 Seiten, 12.50 Franken ISBN 978-3-411-74358-2

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783411743582

Buchtipp zum Wochenkommentar vom 7. September 2018: Darf man das?

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp