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Du darfst nicht alles glauben, was Du denkst

Publiziert am 31. März 2022 von Matthias Zehnder

Alexander Bojcan ist ein deutscher Komiker. Besser bekannt ist er unter dem Namen seiner Kunstfigur Kurt Krömer. Der sieht aus wie ein durchschnittlicher Bankangestellter und gibt sich wie eine Mischung aus Louis de Funès und Klaus Kinski. Sagt Krömer. Bojcan (respektive Krömer) war erfolgreich: Er hatte eigene Shows in verschiedenen Fernsehsendern, etwa «Die Kurt Krömer Show» im rbb Fernsehen oder die  «Krömer – Late Night Show» in der ARD, er ging auf Tour und erhielt Preise, darunter den Deutschen Fernsehpreis, den Deutschen Kleinkunstpreis und, gleich zweimal, den Grimme-Preis. Im März 2021 erklärte Bojcan in seiner Sendung «Chez Krömer», dass er seit dreissig Jahren an einer Depression leide. Da setzt das Buch ein. Krömer berichtet von seinem «Coming Out», wie er es empfindet. Er gesteht, dass er seine Depression jahrelang mit Alkohol bekämpft hatte (das klappte gut, nur hatte er dann zwei Probleme, er war depressiv und Alkoholiker) und er erzählt, wie er sich mühsam dazu durchgerungen hatte, sich einzugestehen, dass er depressiv war. Das alles erzählt Krömer alias Bojcan in leichtem Ton und auf lustige Art und Weise. Denn, das wird offensichtlich: Krömer will nicht klagen, sondern Mut machen, sich seinen schwarzen Wolken zu stellen, weil sich das Leben, trotz allem, lohnt.

Krömer ist 47 Jahre alt, als er seine Depression gesteht. Er sagt, er habe sie dreissig Jahre lang mit sich herumgeschleppt, also sein ganzes Erwachsenenleben lang. Er hat jahrelang gelitten, bloss hat er nicht gemerkt, dass es sich dabei um eine Depression handelt, weil man über Depressionen nicht redet. Erst war es ein Burnout. Aber das war eigentlich logisch, denn Krömer hatte sich zu viel zugemutet. All die Shows im Fernsehen, dazu eine ausverkaufte Tournee mit vielen Vorstellungen, das Leben im Hotel, klar, dass das in ein Burnout mündete. Dann war er impotent. «Die Nudel hing, nichts ging mehr.» Erst konnte er sich das nicht erklären, dann war er sicher: Krebs im Endstadium. Er steigerte sich so in seine Angst hinein, dass der Urologe, den er konsultierte, richtig erschrak, als er ihn sah. Untenrum war alles in Ordung, doch Krömer konnte, typisch für einen depressiven Menschen, mit der guten Nachricht nicht umgehen: «Wer von euch depressiv ist oder das mal erlebt hat, der kann sicherlich nachvollziehen, dass man auch positive Nachrichten nicht annehmen kann», erzählt er. Er lässt sich weiter untersuchen. CT, MRI, andere Tests, alles gut. Doch die Nudel hängt weiter.

Also geht er zu einem Sexualtherapeuten. «Sie haben Stress», habe der Therapeut in der ersten Stunde gesagt. «Ich habe innerlich mit dem Kopf geschüttelt und dachte: ‹Ey Leute, was macht ihr eigentlich beruflich? Habt ihr das alle nicht studiert oder was? Das kann doch nicht sein. Ich habe doch keinen Stress. Ich bin einfach alleinerziehender Vater, habe vier Kinder und einen anstrengenden Job, das ist doch kein Stress.›»

Stress nicht, aber eine Depression. Bloss merkt er das zu diesem Zeitpunkt nicht und kann deshalb nicht loslassen: «Ein Depressiver, einer mit den unkontrollierten Raketen in der Gehirnfabrik, kann einfach nicht aufhören zu denken. Und das Schlimme an Depressionen ist, dass du denkst und denkst und denkst, aber nie zu einer Lösung kommst. Hunderttausend ungelöste Probleme schwirren dir durch den Kopf, die du andauernd durchgehst, und irgendwann schläfst du ein. Aber dann kommt der nächste Tag und dann geht alles wieder von vorne los.»

Das ist es, was dieses Buch lesenswert macht: Mit leichter Hand und durchaus unterhaltend beschreibt Krömer plastisch seine Seelenqual und ermöglicht es damit seinen Leser:innen, diese Qualen plastisch nachzuvollziehen – und allenfalls zu merken: genauso geht es mir auch. Vielleicht bin ich auch depressiv? Das ist auch der Grund, warum Krömer dieses Buch geschrieben hat. «Warum schreibe ich eigentlich dieses Buch? Was soll das?» fragt er selbst. «Mir war ja klar, dass das auf Interesse stoßen würde, wenn ein Prominenter die Hosen runterlässt, ach was, wenn er komplett blankzieht.» Das Problem ist, dass ein Prominenter, der «die Hosen runterlässt», für viele Menschen zur Ansprechperson wird. Aber Krömer ist kein Therapeut, er kann nicht helfen. «Deswegen schreibe ich dieses Buch, auf das ich die Leute verweisen kann, zusätzlich zur Telefonseelsorge und der Deutschen Depressionshilfe, bei der man übrigens auch einen Test machen kann, ob man depressiv ist und wie schwer.»

Kurt Krömer: Du darfst nicht alles glauben, was Du denkst. Meine Depression. Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 29.90 Franken; ISBN 978-3-462-00254-6

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783462002546

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