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Digital Republic
Die Römer hätten wohl gesagt: Res technica, res publica. Also: Das Digitale ist politisch. Dies gilt heute umso mehr, als die grossen Digitalunternehmen fast unbegrenzte Macht haben. Es gibt kaum Gesetze, die sie einschränken. Diese Konzerne werden auf diese Weise zur Gefahr für Freiheit und Demokratie. In diesem Buch geht es um die Frage, wie die Macht der Digitalkonzerne sinnvoll eingeschränkt und kontrolliert werden kann. Denn heute bieten uns Gesetze nicht den Schutz, den wir brauchen. Sie überlassen es dem Einzelnen, für sich selbst zu sorgen. Sie lassen Tech-Unternehmen mit schwerem Fehlverhalten davonkommen. Einige schützen Plattformen sogar vor gesetzlichen Haftpflichten, denen sie sonst unterliegen würden. Anders gesagt: Die zunehmende Macht der Tech-Branche ist nicht mit einer entsprechenden Zunahme der rechtlichen Verantwortung einhergegangen. Jamie Susskind zeigt in seinem Buch konkret, was juristisch und politisch getan werden kann, um die Tech-Branche in Zukunft besser zu regulieren. Er schlägt ganz konkret neue Rechtsnormen, neue öffentliche Einrichtungen und Institutionen, neue Pflichten für Plattformen und neue Rechte für normale Bürger vor. Ist das utopisch? Vermutlich. Aber nötig ist es trotzdem. Das Buch ist vielleicht ein erster Schritt auf dem Weg zu einer besser regulierten Tech-Branche.
Sein Anliegen, die Demokratie besser vor der Tech-Branche zu schützen, packt Jamie Susskind ganz konkret an. Er zeigt etwa, was «Ethics Washing» ist und warum das ein Problem ist. Er fragt sich, ob sich die digitale Technologie demokratisieren lässt und welche Regeln und Normen für wichtige Algorithmen gelten sollten. Er geht der Frage nach, ob die Mächtigen in der Tech-Branche auf ähnliche Weise reglementiert werden sollten wie Ärzte und Anwälte. Er zeigt, warum allgemeine Nutzungsbedingungen so nutzlos sind und warum das derzeitige Kartellrecht für diesen Anwendungsbereich kaum geeignet ist. Eine grosse Frage ist, ob die Tech-Branche global oder von einzelnen Staaten oder Regionen reguliert werden sollten. Und, die Kardinalsfrage: Können wir die sozialen Medien reglementieren, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken?
Immer mehr Länder suchen nach Antworten auf diese Fragen. In den letzten Jahren hat die EU in einigen Bereichen die Führung übernommen und eine Reihe von Gesetzes- und Regulierungsinitiativen lanciert. Auch an den Universitäten wird zunehmend zur Regulierung beziehungsweise Kontrolle digitaler Technologien geforscht. Es gibt also schon eine ganze Reihe von Antwortansätzen.
Jamie Susskind ist aber der Überzeugung, dass wir vorher noch einige grundlegendere Fragen klären müssen: Warum regulieren wir überhaupt Dinge? Welche Rolle spielen Gesetze und Regulierungen in einer freien und demokratischen Gesellschaft? Welchen Zweck verfolgen wir mit der Regulierung der digitalen Technologien? Was wollen wir damit erreichen? Mit seinem Buch bietet er eine Art Leitfaden für die Beantwortung dieser Fragen. Er schreibt: «In der Römischen Republik sah man die grösste Bedrohung für die Freiheit im Imperium: unkontrollierte Macht in den Händen des Staates. Jahrhunderte später ist diese Bedrohung immer noch nicht verschwunden. Im Staat konzentriert sich bis heute enorme Macht, und die digitale Technologie verstärkt diese Macht noch zusätzlich.»
Das moderne Imperium ist in der Hand der Manager digitaler Tech-Konzerne. Ziel muss es sein, zu verhindern, dass «die enorme Macht der digitalen Technologie den akzeptablen Kontrollgrenzen entgleitet, und dafür zu sorgen, dass die Tech-Branche nicht (weder gezielt noch unbeabsichtigt) die Werte einer freien und demokratischen Gesellschaft untergraben kann.»
Jamie Susskind entwickelt dafür vier Grundprinzipien, nach denen sich die künftige Regulierung in diesem Bereich richten sollte:
- Das Gesetz muss die grundlegenden Institutionen, die für eine freie Gesellschaft notwendig sind (wie ein funktionierendes demokratisches und juristisches System), bewahren.
- Das Gesetz sollte die unkontrollierte Macht derjenigen, die digitale Technologien entwickeln und kontrollieren, auf ein Minimum reduzieren.
- Das Gesetz sollte weitestmöglich sicherstellen, dass machtvolle Technologien die moralischen und staatsbürgerlichen Werte der Menschen widerspiegeln, die unter ihrer Macht leben.
- Das Gesetz sollte auch den Staat ebenso einschränken, und die Regulierung sollte immer so gestaltet sein, dass der Staat so wenig wie möglich eingreift.
Jamie Susskind entwirft auf diese Weise eine Vision für eine freiere und demokratischere Gesellschaft. Es zeichnet das Bild einer digitalen Republik. Denn das Digitale ist politisch.
Jamie Susskind: Digital Republic. Warum unsere neue Welt eine neue Ordnung braucht. Aus dem Englischen von Heike Schlatterer und Sigrid Schmid. Hoffmann und Campe. 544 Seiten, 38.50 Franken; ISBN 978-3-455-01332-0
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783455013320
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