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Die Erfindung der Hausfrau

Publiziert am 20. Januar 2022 von Matthias Zehnder

Woher kommt eigentlich dieser gesellschaftliche Anspruch an die Perfektion der Mutter und wie hängt er mit dem Modell der Hausfrau zusammen? Diese Frage stellt sich Evke Rulffes in ihrem Buch über die Erfindung der Hausfrau. Wie konnte es bloss dazu kommen, dass eine Arbeit (die Haus- und Care-Arbeit) mit einem Geschlecht und dem Familienstand (weiblich und in Partnerschaft / Mutter) verknüpft ist – und diese Arbeit dann auch noch gar nicht als Arbeit angesehen wird, weil sie nicht bezahlt wird? Und warum konnte sich dieses Konzept so völlig selbstverständlich und bis ins 20. Jahrhundert hinein unhinterfragt halten? Etwa die dümmste Antwort auf diese Frage lautet: «Das war schon immer so». Denn das war es nicht. Das zeigt Evke Rulffes in ihrem klugen Buch auf eindrückliche Art und Weise. Die Hausfrau ist quasi eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Sie hate eine Vorgängerin, die Hausmutter, aber das war nur ein Rollenmodell neben vielen anderen für Frauen vor der Zeit um 1800. Es ist keineswegs so, dass die Frauen «schon immer» für den Haushalt, also für das Sammeln und nicht das Jagen, zuständig waren. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Bild der ländlichen Hausmutter mit der bürgerlichen Ehefrau verknüpft und als Rollenmodell für alle Frauen propagiert, indem es zur «natürlichen Bestimmung der Frau» deklariert wurde. 

Und es ist keine Entlastung in Sicht. «Im 19. Jahrhundert sollten sich die bürgerlichen Ehefrauen noch die Liebe ihres Mannes erkochen, heute richtet sich diese von der Gesellschaft mit Argusaugen beobachtete und bewertete Liebe auf die Kinder», schreibt Evke Rulffes. Ihr Buch kreist mit vielen historischen Rückgriffen um die Frage, wie es zur Entwertung der Hausarbeit kommen konnte. Denn es ist keineswegs so, dass Hausarbeit immer Frauensache und quasi wertlos war. Rulffes zeigt, dass schon das Konzept der verheirateten Frau zu vielen Zeiten keine Selbstverständlichkeit war. Zudem arbeiteten auch Ehefrauen bis ins 18. Jahrhundert in allen möglichen Berufen. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts änderte sich das: es entstand ein neues, idyllisch verbrämtes Bild von Hausmutter, Ehefrau und Hausfrau, das zur «natürlichen Bestimmung der Frau» deklariert wurde.

«Das Konzept der bürgerlichen Hausfrau hat sich uns so nachhaltig eingeprägt, dass wir immer noch der Vorstellung anhängen, Frauen seien seit Urzeiten für den Haushalt zuständig, während die Männer durch eine körperlich oder intellektuell stärker fordernde ‹richtige› Arbeit für den Unterhalt der Familie sorgen», schreibt Rulffes. «Richtige Arbeit» meint in diesem Zusammenhang eine Arbeit für Geld oder kalorienhaltiges Fleisch. Auch wenn diese Vorstellung heute an Bedeutung verloren zu haben scheine, greife sie doch nach wie vor massiv in unsere Lebensrealitäten und – entwürfe ein. Dabei ist der Grund, warum Frauen zu Hause schon immer mehr arbeiten mussten, schlicht in der Verweigerung der Männer zu suchen, diese Arbeit zu machen. «Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gab es nur wenige Menschen, die es sich leisten konnten, nicht zum gemeinsamen Haushaltseinkommen beizutragen, ob Frauen, Männer oder Kinder.» Zu arbeiten, war selbstverständlich, durchaus auch zum Leidwesen der Haushaltsangehörigen. «Viele Betriebe waren Familienbetriebe und auf die unentgeltliche Mitarbeit aller Familienmitglieder angewiesen.» Anpacken war nicht nur willkommen, sondern lebensnotwendig.

Historisch sind die Frauen keineswegs so unterlegen, wie das im Rückblick aussieht. «Die im frühen Mittelalter entstehenden Städte, die über eigene Stadtrechte verfügten, waren die ersten, die Frauen ein vom Vater oder Ehemann unabhängiges Bürgerrecht zusprachen», schreibt Evke Rulffes. «Das geschah vor allem auf Drängen der Kaufleute, die den Reichtum dieser Städte begründeten. Denn die Händler waren die meiste Zeit auf Reisen, unterdessen mussten ihre Ehefrauen die Geschäfte vor Ort weiterführen.» Also erhielten die Frauen Bürgerrechte, damit sie zum Beispiel säumige Schuldner vor Gericht verklagen konnten. Darüber hinaus mussten die geschäftsführenden Ehefrauen lesen und schreiben können – auch auf Latein, der damals internationalen Sprache –, und vor allem das Rechnen beherrschen. «Die Kaufleute gründeten deshalb eigene Schulen, die auch ihren Töchtern offenstanden.» 

Es ist ein spannender Blick in die Geschichte der Stellung der Frau, den Evke Rulffes ermöglicht. Ein Blick, der so manches Vorurteil zu Fall bringt. Ein spannendes und übrigens gut lesbares Buch.

Evke Rulffes: Die Erfindung der Hausfrau – Geschichte einer Entwertung. HarperCollins, 288 Seiten, 31.90 Franken; ISBN 978-3-7499-0240-8

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783749902408

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