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Die Datendiktatur

Publiziert am 25. Februar 2020 von Matthias Zehnder

Sie ist die Frau, die Donald Trump zur Wahl und Boris Johnson zum Brexit verholfen hat: Drei Jahre lang hat Britanny Kaiser als Direktorin für Geschäftsentwicklung bei der Firma Cambridge Analytica gearbeitet. Mit Hilfe von missbräuchlich verwendeten Facebook-Datenprofilen hat die Firma ein datengetriebenes Werbemodell entwickelt und damit in 68 Ländern Wahlen und Abstimmungen «begleitet». Wie gross der Einfluss der Firma auf die Ergebnisse dieser Wahlen war, lässt sich bis heute nicht genau sagen. Das ändert aber nichts daran, dass sich der biographische Bericht von Britanny Kaiser spannend liest. Sie gibt darin einen auch für Laien verständlichen Einblick in die neuen, datengetriebenen Werbetechniken, wie sie auf Facebook und anderen Plattformen angewendet werden. Und was wäre beängstigend genug, auch ohne den Brexit und die Wahl von Trump.

Denn was Britanny Kaiser beschreibt, ist nichts weniger als eine Revolution: Die Abkehr von der «Pauschalwerbung», bei der wenige Sujets nach dem Giesskannenprinzip einem breiten Publikum gezeigt werden. Typischerweise versucht die Werbung dabei, den Medienkonsumenten einen Slogan oder eine Marke ins Hirn zu hämmern. Pauschalwerbung, schreibt Kaiser, sei viel zu unpräzise – verschwendetes Geld. Camebridge Analytica dagegen war auf Verhaltensbeeinflussung spezialisiert, auf «Behavioral Communications». Den Unterschied erklärt Kaiser mit einem Vergleich. Stellen Sie sich einen Strand am Meer vor. Im Sand steckt ein weisses Schild: «Ende des öffentlichen Strands». Würden Sie die Anweisung des Schilds befolgen? Jetzt stellen Sie sich denselben Strand vor, diesmal mit einem knallgelben, dreieckigen Schild: «Warnung. Hai-Alarm.» Würden Sie dieses Schild befolgen? Genau das ist der Unterschied zwischen plumpem Branding und einer Kampagne, die in der Lage ist, das Verhalten der Menschen zu beeinflussen, indem sie (zum Beispiel) Angst und Schrecken verbreitet. Genau so muss man sich den Unterschied zwischen den Kampagnen der EU-Befürworter und der Brexit-Promoter vorstellen – und den zwischen den Kampagnen für Hillary Clinton und Donald Trump.

Der eine Teil des Erfolgs dieser Kampagnen besteht also in einer effizienteren Ansprache des Publikums. Der andere Teil besteht in der gezielten Ansprache des Publikums. Anders als bei einem plumpen Werbeplakat (oder einer simplen Anzeige) werden nicht alle Menschen mit derselben Botschaft bearbeitet. Je nach Interessen und Verhalten in den sozialen Netzen werden ganz unterschiedliche Botschaften ausgespielt. Um im Bild zu bleiben: Je nachdem, ob Sie Angst haben vor Haien, vor Blitzeinschlägen oder vor Sandflöhen sehen Sie am Strand ein anderes Schild. Kaiser beschreibt in ihrem Buch, mit welchen Methoden Camebridge Analytica Informationen über Wählerinnen und Wähler gesammelt hat. Ein Teil dieser Methoden war illegal. In verschiedenen Ländern kam es deshalb zu Untersuchungen. Über Facebook lassen sich aber nach wie vor viele Daten sammeln, und zwar nicht nur über die Benutzer von Facebook. Die Werbemethoden, die Camebridge Analytica einsetzte, werden deshalb nach wie vor angewendet. Auch vor Wahlen.

Britanny Kaiser ist keine Republikanerin. Im Gegenteil: Sie hat im Wahlkampfteam von Barack Obama mitgearbeitet und ist eigentlich eine Liberale. Mit ihrem Whistleblowing versucht sie sich reinzuwaschen von der (vermeintlichen) Schuld am Brexit und der Wahl von Donald Trump. Ein Teil des Buchs besteht denn auch aus Selbstrechtfertigung und Selbstentschuldigung. Das macht das Buch zuweilen schwerfällig. Die Schilderungen der Trump- und der Brexit-Kampagne machen das aber mehr als wett. Wenn man nicht wüsste, dass es Steve Bannon, Corey Lewandowski und all die anderen, zweifelhaften Figuren wirklich gibt, würde man die Erzählungen als schlechten Thriller abtun. So ist es aber gleich auf mehreren Ebenen eine spannende Lektüre.

Brittany Kaiser: Die Datendiktatur. Wie Wahlen manipuliert werden. Harper Collins, 496 Seiten, 34.90 Franken; ISBN 978-3-95967-390-7

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783959673907/

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Buchtipp zum Wochenkommentar vom 21. Februar 2020: Das blinde Auge der Bürgerlichen

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

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