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Die Brandstifter

Publiziert am 21. Februar 2024 von Matthias Zehnder

«Wie konnte es so weit kommen?» Das fragen wir uns immer wieder, wenn wir in die USA blicken und zuschauen, wie sich die Republikanische Partei immer weiter vom liberalen Konservativismus ihrer Vergangenheit entfernt und immer stärker Züge einer rechtsextremen Partei annimmt. Einer Partei, die sich nicht vom Sturm auf das Kapitol distanziert. Die gezielt versucht, dafür zu sorgen, dass die USA in der Hand von weissen, christlichen Politikern bleibt. Das ist die Frage, die Annika Brockschmidt in diesem Buch zu beantworten versucht: «Wie konnte es passieren, dass die Republikanische Partei – die Partei Lincolns und der Sklavenbefreiung – zu einer Partei geworden ist, die Ausgrenzung, Nativismus, Rassismus und Hetze zu ihren Hauptmerkmalen zählt?» Sie konzentriert sich dabei auf den Zeitraum von der Mitte des letzten Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Die Geschichte ist atemberaubend: «Die Entwicklung der Republikanischen Partei in den zurückliegenden knapp 150 Jahren ist geprägt von unbedingtem Machtwillen, von einem politischen Establishment, das lange glaubte, die radikalen Elemente in den eigenen Reihen kontrollieren und für sich politisch nutzen zu können», schreibt Brockschmidt. Die Partei stehe zunehmend unter dem Einfluss rechtsextremer Kräfte, auf die die Parteiführung zur Mobilisierung einer über Jahrzehnte hinweg radikalisierten Basis angewiesen sei. «Die ideologische Brandstiftung hat lange vor Donald Trumps Erscheinen auf der politischen Bühne der USA begonnen und ihre verheerende Wirkung entfaltet.»

Allerdings waren die USA in den letzten 250 Jahren keineswegs immer eine funktionierende Demokratie im heutigen Sinn. Für sehr lange Zeit hatten nur weisse, christliche, Land besitzende Männer etwas zu sagen. «Wer nicht in diese Kategorie gehörte, für den war das Land alles andere als demokratisch: Schwarze, Frauen, nicht-weiss gelesene Einwanderer – sie alle hatten in unterschiedlichem Masse unter der herrschenden Klasse zu leiden», schreibt Brockschmidt. In der Tat vergessen wir nur allzu gern, dass bis in die 1950er-Jahre alle Schwarzen Bürger zweiter Klasse und Opfer eines brutalen Regimes von Polizeigewalt, Lynchjustiz und Segregation waren. «Das änderte sich erst mit der Bürgerrechtsbewegung, die in den 1950er und 1960er Jahren dafür kämpfte, die jahrhundertelange Unterdrückung der Schwarzen durch die weisse Bevölkerung zu beenden.» Es sei «kein Zufall, dass die konservative Bewegung in den USA zeitgleich damit begann, gegen die neuen bürgerrechtlichen Errungenschaften zu mobilisieren, gegen all diese Leute, die plötzlich auch ein Stück vom Kuchen abhaben wollten.» Das ist nicht nur in den USA so. «Zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus, der Gewalt oder die Androhung von Gewalt als legitimes politisches Mittel sieht, bestehen zwar Grenzen, diese können sich aber unter bestimmten Bedingungen verwischen», schreibt Brockschmidt.

Faschismus unterscheidet sich vom Konservatismus dadurch, dass er explizit revolutionär und gewaltsam ist: Während der Konservatismus nach seinem Selbstverständnis das alte System bewahren wolle, strebe der Faschismus eine komplett neue Herrschaftsform an: «Während der Konservatismus innerhalb eines demokratischen Spektrums existieren kann, agiert der Faschismus bewusst ausserhalb der Grenzen der Demokratie.» «Doch», schreibt Brockschmidt, «die gängige Charakterisierung des Konservatismus als dezidiert antirevolutionär übersieht meiner Ansicht nach, dass er unter bestimmten Umständen sehr wohl auch seine radikale und revolutionäre Seite zeigen kann. Zum Beispiel dann, wenn marginalisierte Gruppen den Platz in der gesellschaftlichen Ordnung verlassen, der ihnen von der materiell und religiös oder im konservativen Sinne ‹natürlich› begründeten Hierarchie zugewiesen wurde, oder wenn wirtschaftliche Krisen politische Bewegungen wie den Sozialismus erstarken lassen, die eine gerechtere Verteilung der Besitzverhältnisse fordern.»

Genau das ist heute der Fall. Rassismus und Ressentiments müssten sich heute in der Republikanischen Partei nicht mehr hinter einer bürgerlichen Fassade verbergen, weil sich die Rahmenbedingungen für den Konservatismus verändert haben. Den Boden dafür haben eine lange Reihe von «Brandstiftern» und eine immer extremer auseinanderklaffende Medienlandschaft gelegt. Brockschmidt beschreibt ausführlich die Wirkung von William F. Buckley, das Aufflackern des Extremismus unter Barry Goldwater und die Präsidentschaft von Richard Nixon. Der gab sich zwar nach aussen einigermassen moderat. Die Gespräche zwischen dem Präsidenten und seinen engsten Mitarbeitern im Weissen Haus waren aber von Antisemitismus, Rassismus und Verschwörungsdenken geprägt. Das beweisen die Aufzeichnungen und später veröffentlichte Tonbandaufnahmen.

Brockschmidt zeigt, welche Wirkung die Präsidentschaft von Ronald Reagan hatte. Wie er gezielt die exekutive Macht des Präsidenten ausdehnte. Reagan setzte auf «die Kombination aus freier Marktwirtschaft (mit Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen und möglichst wenig staatlicher Regulierung), Antikommunismus (mit hohen Verteidigungsausgaben und einem starken Militär) sowie konservativ-christlichen Werten (Ablehnung von Abtreibung und Homosexualität).» Ronald Reagan ist auch in Europa bekannt (und bewundert). Das direkte Vorbild für Donald Trump war aber Pat Buchanan: «Kaum jemand dürfte die immer weiter voranschreitende Radikalisierung der GOP in den zurückliegenden Jahrzehnten so stark mitgeprägt haben wie der 1938 geborene Pat Buchanan», schreibt Brockschmidt. Buchanan gehörte zwar zum Establishment der Partei, profilierte sich aber in den 90er Jahren als scharfer Kritiker von Präsident H. W. Bush: Amerika müsse sich wieder auf seine christlichen Wurzeln besinnen und ein christliches Land werden. Konkret forderte er, den «Wohlfahrtsstaat auf den Prüfstand zu stellen», den er für zerrüttete Familien, Drogen und Gewalt verantwortlich machte. Knapp dreissig Jahre vor Donald Trump warb Pat Buchanan sogar für eine Mauer an der Grenze zu Mexiko. Dieser «Buchanan-Zaun» sollte illegale Einwanderer aus dem Land halten. Folge der «illegalen Invasion» seien soziale und wirtschaftliche sowie Drogenprobleme. Diese seien letztlich schuld an der Rezession, in der das Land stecke. «Den wahren Grund – die gewaltigen Staatsschulden, die in den Reagan-Jahren aufgetürmt worden waren – klammerte er aus seiner Erzählung aus», schreibt Brockschmidt.

Als Mann, der die amerikanische Politik zerstört und den rechtsextremen Medien Aufwind gegeben hat, bezeichnet sie jedoch Newt Gingrich. Er habe Politik nicht als Wettbewerb der Ideen verstanden, sondern als «Blutsport». Unter seiner Führung wurden die Republikaner immer aggressiver und begannen die überparteiliche Zusammenarbeit zu verweigern. Kompromiss erachtete er als Schimpfwort. Den politischen Gegner beschimpfte er: Gingrich verteufelte die Demokraten als Partei der Korruption und legte damit den Grundstein für Verschwörungsmythen, die auch heute noch  kursieren und von Donald Trump und anderen Republikanern verbreitet werden.

Es blieb nicht bei den Mythen. Brockschmidt zeigt in ihrem Buch, wie der Extremismus in den letzten Jahren in den USA salonfähig wurde. Wie Verschwörungserzählungen sich verdichten, bis sie in Taten umgesetzt werden, etwa von rechtsextremen, bewaffneten Bürgergruppen.

Das Buch zeigt eindrücklich, dass Donald Trump und seine extremen Ansichten kein Ausrutscher sind, sondern die Folge von Jahren, ja Jahrzehnten immer extremerer Politik mit immer weniger Hemmungen. Deshalb würde es auch kaum etwas ändern, wenn Trump plötzlich aus der Politik verschwinden würde: Denn «die jahrzehntelange Radikalisierung – befeuert und unterstützt vom Partei-Establishment, wenn es ihm nützte – hat die aktive Basis der Partei so weit nach rechts getrieben, dass ein Ausweg kaum möglich scheint», schreibt Brockschmidt. Gefährlich ist das in den USA, weil durch die demographische Entwicklung der letzten Jahre eine konservative, ländliche Minderheit heute deutlich mehr Macht hat: Wie in der Schweiz sind in den USA bedingt durch Industrialisierung und Urbanisierung immer mehr Menschen in grosse Städte gezogen. Es entstanden Ballungsräume vor allem an den Küsten. Doch die Zusammensetzung des Senats blieb, wie in der Schweiz der Ständerat, unverändert: zwei Senatoren pro Staat, egal, wie viele Menschen darin leben. «Im Jahr 2000 hatte daher ein Wähler in Wisconsin fast 70-mal mehr Einfluss im US-Senat als einer aus Kalifornien», schreibt Brockschmidt. In den letzten Jahrzehnten seien die Demokraten mehr und mehr «zur Partei derer geworden, die in grösseren Städten wohnen, während Republikaner vor allem die weisse Bevölkerung aus spärlicher besiedelten Gegenden hinter sich versammeln.» Daraus resultiert ein struktureller Vorteil für die Republikaner in Institutionen wie dem Senat. Entscheidend ist das einer amerikanischen Spezialität wegen: Der Filibuster ermöglicht es einer radikalen Minderheit im Senat, ein Gesetzgebungsverfahren zu blockieren, auch wenn die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung es befürwortet. Aktuell braucht man im Senat 60 der 100 Stimmen, um eine Debatte über ein vorgelegtes Gesetz zu beenden und damit eine Abstimmung zu ermöglichen. «Der Filibuster ist heute ein Werkzeug, das von Konservativen gezielt genutzt wird, um Gesetze zu verhindern, die bei einer Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung auf Zustimmung treffen», schreibt Brockschmidt.

In ihrem Buch zeigt sie eindrücklich, wie radikal die Republikanische Partei heute ist. Im herkömmlichen Sinn konservative Politiker wie Bill Kristol, Tim Miller, Stuart Stevens, Adam Kinzinger und andere haben die Republikanische Partei mittlerweile verlassen, «weil sie erkannt haben, dass sie nicht zu retten ist – die Extremisten haben längst das Ruder übernommen.» Wer ist schuld daran? «Als Brandstifter an der Demokratie haben sich nicht nur die Extremisten betätigt, die die Partei heute führen, sondern auch das Partei-Establishment, das so lange willens war, mitzuzündeln, in dem Irrglauben, extreme Teile der Bewegung kontrollieren und von ihnen profitieren zu können», schreibt Brockenschmidt. Es sind, wir wissen es längst, nicht nur die schuld an einem Unrecht, die es begehen, sondern auch die, die es nicht verhindern. Brockenschmidt schreibt: «Es ist eine weit verbreitete Fehleinschätzung, dass Faschisten sich an die Macht putschen müssen. Viel häufiger kommen sie an die Macht, indem sie systematisch demokratische Institutionen untergraben, Schlupflöcher im demokratischen Webstoff der Gesellschaft suchen und über Wahlen den ‹legitimen› Weg gehen.»

Annika Brockschmidt: Die Brandstifter. Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen. Rowohlt, 368 Seiten, 34.90 Franken; ISBN 978-3-498-00330-2

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783498003302

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